Die Schutzspirale

von Rupprecht Podszun

Berlin, 16. Mai 2015. Sabrina Setlur hat mal eine Platte gemacht, "Nur mir" hieß der Song, der seit 1999 bis heute (!) deutsche Gerichte beschäftigt. Ohne Zweifel zu viel der Ehre für das banale Aggro-Liedchen. Doch die Setlur, die Grande Dame des deutschen Raps, wurde von den legendären Elektropionieren Kraftwerk gehört. Kraftwerk fiel auf, dass Setlur-Produzent Moses Pelham eine kurze Sequenz aus dem Kraftwerk-Stück "Metall auf Metall" verwendet hatte, um es unter Setlurs Sprechgesang zu legen. Zwei Sekunden. Kein signature piece, kein Tristan-Akkord, einfach ein Takt, herauskopiert, eingefügt, gesampelt. Kraftwerk klagte. Das waren doch ihre zwei Sekunden, ihre Kreation, ihre Aufnahme. Pelham sollte zahlen.

Der Streit zog sich durch die deutschen Gerichtsinstanzen: Landgericht Hamburg. Oberlandesgericht Hamburg. Bundesgerichtshof. Zurück ans Oberlandesgericht. Wieder zum Bundesgerichtshof. Jetzt: Bundesverfassungsgericht. Sollte Kraftwerk Lizenzgebühren erhalten für die 2-Sekunden-Fledderei? Und wenn ja: Wäre das das Ende des Samplings? Das Urteil wird noch für dieses Jahr erwartet. Es könnte schwerwiegende Konsequenzen für die kulturelle Praxis haben. Dazu am Schluss mehr.

Libertinage der Mittel und Inhalte

Im Theater nennt man es nicht Sampling, sondern Collage. Oder, wenn es Helene Hegemann, macht: Remix. Bei Frank Castorf nennt man es "Libertinage der Mittel und Inhalte" (so die Theatertreffen-Jury), wenn er mit Copy & Paste Texte zusammensetzt und dann zum Beispiel einen sehr freien "Baal" unter dem Autorennamen "Bertolt Brecht" aufführt. Er darf das nicht, das hat ein Gerichtsverfahren ergeben, das mit einem Vergleich endete: Am 17. Mai 2015 läuft Castorfs "Baal" zum letzten Mal als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison auf dem Berliner Theatertreffen, als Zeugnis einer andauernden Schlacht zwischen dem Recht des Autors und der Freiheit seines Interpreten.

Das deutsche Urheberrechtsgesetz stammt von 1965. Das deutsche Regietheater wurde auch in jenen Jahren geboren (mit Protagonisten wie Peter Zadek, Klaus Michael Grüber, Peter Stein oder Claus Peymann). Beide sind Kinder derselben Zeit, doch während das Gesetz in seiner Methodik den Zustand davor konservierte, wuchs das Regietheater erst zu einer etablierten Kulturtechnik. Gerichte tun sich noch immer schwer, Regietheater und Urheberrecht miteinander zu versöhnen.

baal 560 thomasaurin uRingkampf mit dem Urheberrecht: Laut Gerichtsbeschluss läuft Frank Castorfs freie Münchner Interpretation des "Baal" von Bertolt Brecht letztmalig beim Berliner Theatertreffen 2015
© Thomas Aurin

Dass es nicht einfacher wird, liegt mal wieder am Internet. Internet und Internationalisierung, diese beiden weltverändernden Entwicklungen der letzten Jahre, haben in allen Rechtsgebieten für Verwerfungen gesorgt, doch in keinem haben sich die Gewichte so sehr verschoben wie im Urheber-recht. Die Gesetze, einst geschaffen, um die Kreativen zu belohnen, stehen längst einer Realität gegenüber, in der künstlerische Leistungen am Fließband produziert werden und überall in guter Qualität abrufbar sind.

Das Urheberrechtsgesetz und die internationalen Richtlinien und Verträge, die es prägen, sind gewachsen, ja, aber nur in die Richtung des 1965 tragenden Gedankens: Wer etwas schafft, kriegt ein Recht, das er unumstößlich für lange Zeit hält. Das kommt heute denen zugute, die den Kreativen ihre Rechte abkaufen, Software-Hersteller, große Musiklabels, Hollywood-Studios, Verlage – kurz: die globalen Medienkonzerne. Sie sammeln Rechte ein und setzen sie rigoros durch. Das ist vielleicht gar nichts Schlimmes. Fehl am Platz ist nur die Urheber-Romantik, die von manchen in diesen Auseinandersetzungen noch beschworen wird, obwohl es nur Krumen sind, die für die echten Künstler abfallen. Im Urheberrecht geht es um den großen Brotlaib, nicht um Kunst.

Theater taugt nicht für die große Verwertungskette

Das Theaterschaffen allerdings, das ist von diesen Diskussionen weitgehend verschont. Diese Kunstform taugt irgendwie nicht für die Verwertungskette in Großkonzernen, zumindest solange es sich nicht in Eventbuden oder Streamings verrennert. Der "Baal"-Prozess in München legte das prototypisch offen: Suhrkamp als Antragsteller hätte mehr Geld verdient, wenn "Baal" möglichst oft gezeigt worden wäre. Hier standen sich zwei Kunstauffassungen gegenüber, und Frank Castorf und Barbara Brecht-Schall sind beide störrisch genug, um an ihrer Vorstellung des Wahren, Schönen, Guten festzuhalten. Und damit entfaltete sich die volle Wucht des Dilemmas, das daraus erwächst, dass im Theater ein Regisseur selbst Kunst schaffen muss, die auf der Kunst eines Autors beruht. Im Recht verschlingen sich diese Ebenen manchmal undurchschaubar.

Der Autor hat ein Urheberrecht. Das ist unproblematisch. Sein Theatertext ist ein "Werk" im Sinne des Urheberrechtsgesetzes, also eine "persönliche geistige Schöpfung". Den Werk-Begriff haben der Europäische Gerichtshof und die deutschen Gerichte inzwischen bis zur Unkenntlichkeit entkernt – schon elf Wörter aus einem sachlichen Zeitungsartikel können für sich genommen Urheberrechtsschutz genießen. Da werden wohl die paar Tausend Wörter Durchschnittsdramentext auch eine eigene geistige Schöpfung darstellen.

Wer ein Urheberrecht an seiner Schöpfung hat, hat damit ein umfassendes Rechtebündel: Drucken oder aufführen darf bis zu siebzig Jahre nach dem Tod des Autors nur, wer eine Lizenz dafür bekommt. Die Lizenz erhält üblicherweise, wer eine Lizenzgebühr entrichtet. Aber es gibt Vertragsfreiheit: Jeder Autor (oder der Vertreter der Autorenrechte) darf Anforderungen stellen, sonst gibt es eben keine Lizenz. Dass die Brecht-Erben in dieser Hinsicht besonders nickelig sind, ist ja allgemein bekannt (außer bis vor kurzem vielleicht am Münchner Residenztheater). Für das, was nicht im Vertrag genauestens ausgehandelt wird, haben der Deutsche Bühnenverein und der Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage ein Muster entworfen, auf das regelmäßig verwiesen wird: die Regelsammlung Bühne. Sie galt auch für "Baal".

Spiegel 18Jan1971 Maske in Blau 560Alle straffällig: Der Spiegel berichtet am 18. Januar 1971 über das Urteil zu Alfred Kirchners freier Bremer Adaption der Operette "Maske in Blau".

In dieser Regelsammlung steht, was der Regisseur mit einem Stück machen darf: Änderungen des Werks bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags, es sei denn, dass der Verlag seine Zustimmung nicht nach Treu und Glauben verweigern darf. Anders gesagt: eigentlich darf an einem urheberrechtlich geschützten Text kein Jota verändert werden, wenn der Verlag als Vertreter des Autors nicht zustimmt. Nur kleinere, nicht allzu gravierende Änderungen, ein paar Striche hier, ein paar andere Wörter da, ein einzelner reingemogelter Fremdtext dort – das geht auch ohne Zustimmung. Die urheberrechtliche Grundentscheidung ist aber klar: Den Regieberserkern werden Fesseln angelegt, die sie natürlich stärker schmerzen, als denjenigen, der wortgetreu inszeniert.

Der Fall "Maske in Blau" in Bremen 1967 bis 1970

Das Regietheater erreichte den Bundesgerichtshof erstmals 1970, da hatte der für das Urheberrecht zuständige Senat zu entscheiden, wie eng diese Fesseln binden. Es ging um "Maske in Blau", eine Operette des Komponisten Fred Raymond mit Texten von Günther Schwenn und dem Theatermanager Heinz Hentschke. Raymond ist unsterblich geworden durch den Gassenhauer "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren", Schwenn hat den Text zu "Schnaps das war sein letztes Wort" geschrieben, das ist so die Liga der "Maske in Blau". Das Stück selbst hatte 1937 Uraufführung, Regie: Heinz Hentschke, eine "Festvorstellung zugunsten der Goebbels-Stiftung für Bühnenschaffende in der Reichstheaterkammer". Sowas ist 1967 in Bremen (bei Intendant Kurt Hübner!) bestens geeignetes Material, um hinter der Maske die Fratzen in Braun zu zeigen. Und so macht Alfred Kirchner, damals Anfang 30, das in Bremen auch. "Lautstarker Skandal", schreibt der Weser-Kurier, während das Hübner-Theater munter die Schlagzeile "Gekonnte Verhohnepiepelung der 'Maske in Blau'" tickerte. Heinz Hentschke, der damals Große Alte Mann der Operette, schäumte.

Wenn man heute im 55. Band der Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs diesen ersten Regietheaterfall nachliest, kriegt man Lust auf die Inszenierung, die übrigens auch Videoeinspielungen zeigte. Aus dem seriösen Majordomus hatte Kirchner einen Clown gemacht, ein harmlos romantisches Duett ins Bett verlegt, eine Balletteinlage zu Schrammelmusik präsentiert, den Radetzkymarsch gespielt und das Motiv der Fernsehserie "Stahlnetz" intoniert. Entstellend und verunglimpfend, so fand Hentschke das. Mit einer 1937-Festvorstellung hatte die Kirchner-Version 1967 nicht mehr viel zu tun.

Dabei ist es doch, so stellte es der Bundesgerichtshof heraus, Sache des Urhebers, "selbst darüber zu bestimmen, in welcher Gestalt sein geistiges Kind an die Öffentlichkeit treten soll". Doch die Richterinnen und Richter erkennen die Zeichen der Zeit und setzen diesem Grundsatz entgegen: Es habe sich "immer mehr die Auffassung durchgesetzt, dass der Regisseur nicht etwa nur Gehilfe des Werkautors ist, sondern bei der Umsetzung des Schriftwerkes von der begrifflichen in die sinnlich fassbare Sphäre durchaus schöpferische Tätigkeit entfalten kann, deren Eigenwert neben dem der Schöpfung des Schriftwerkes anzuerkennen ist." So schön hat wahrscheinlich noch niemand Herrn Castorf gesagt, was er tut.

DieWeber 560 HLBoehme uMit Wutchor: Volker Lösch inszeniert Gerhart Hauptmanns "Die Weber" 2005 in Dresden
© HL Böhme

Hentschke bekam trotzdem Recht, er starb wenige Wochen nach der Urteilsverkündung. Der Bundesgerichtshof meinte: "Wenn auch bei Bühnenaufführungen älterer Operetten wegen des Wandels des Zeitgeschmackes dem Regisseur ein weiter Spielraum für Werkänderungen einzuräumen ist, so ist ihm doch eine eigenmächtige Verfälschung der Charaktere der Hauptfiguren, die Streichung wesentlicher Musiknummern, die Einfügung mehrerer Musikstücke anderer Komponisten nicht gestattet." Und das, so die Richter, sei ja auch gar nicht schlimm: Schließlich könne der Regisseur sich ja im Lizenzvertrag entsprechende Rechte einräumen lassen, oder das Abenteuer von Anfang an sein lassen. Ach, hätte man doch im Residenztheater das alte Urteil einmal gelesen!

Hauptmanns "Die Weber" bei Volker Lösch in Dresden 2005

Noch 2005 allerdings tat sich auch das Kammergericht in Berlin schwer, das moderne Regietheater zu umarmen. Volker Lösch hatte mit seiner Dresdner Inszenierung der Hauptmannschen "Weber" für Aufsehen gesorgt. Da trat ein Chor der Arbeitslosen auf, der Texte skandierte, die offensichtlich nicht dem Original entstammten, etwa weil es darin um das "Verräterschwein" Gerhard Schröder oder um die Erschießung der Talktante Sabine Christiansen ging, die beide zu Lebzeiten Gerhart Hauptmanns noch gar nicht verraten bzw. getalkt hatten. Mit Tötungsfantasien und dergleichen, so das Kammergericht, müsse sich Gerhart Hauptmann nicht assoziieren lassen. Auch nicht im Namen der Kunst.

Mit "Maske in Blau" hatte der Bundesgerichtshof schon den Grundstein dafür gelegt, dass die Interessen des Regisseurs nicht einfach vom Tisch gewischt werden können – denn der macht ja auch in Kunst. Wie aber der Konflikt zwischen freier Bearbeitung, aus der ein eigenes Kunstwerk entsteht, und dem zugrundeliegenden Arbeitsmaterial aufzulösen ist, das steht in keinem Gesetz. Das müssen die Gerichte herausfinden, und sie haben sich bis heute nicht eindeutig zum Regietheater bekannt. Dabei gab es schöne Gelegenheiten.

Beschnittene Regisseure und ihr Leistungsschutzrecht

1975 hatte Peter Mussbach in Frankfurt eine "Götterdämmerung" inszeniert und sich mit der Opernleitung überworfen. Die wollte die "Götterdämmerung" in einer eingedampften Fassung weiterspielen – Mussbach klagte, das Theater habe kein Recht, seine Inszenierung ohne seine Zustimmung in veränderter Form zu übernehmen. Er sei schließlich der Urheber. Das Oberlandesgericht Frankfurt zierte sich. Ein Urheberrecht an einer Regieleistung sei ausnahmsweise möglich, "wenn es sich um eine grundlegende schöpferische Neugestaltung der bühnenmäßigen Ausdrucksmittel handelt und die Inszenierung dadurch über eine bloße Interpretenleistung hinaus einen selbständigen Aussagewert erhält".

Allen Ernstes verlangten die Richter, Mussbach hätte ein Sachverständigengutachten eines Theaterwissenschaftlers vorlegen müssen, der den "vorbekannten Formenschatz an Regielösungen" hätte darlegen und sich auch hätte äußern müssen, ob es sich bei Mussbachs Umsetzung nicht lediglich um eine "Manier" oder einen "Stil" handeln würde. Ohne jede Ironie verglich das Oberlandesgericht die Inszenierung der Wagner-Oper durch Mussbach mit der Herstellung von Hummelfiguren aus Porzellan auf Basis einer Zeichnung. Für die Theatergeschichtsschreibung wäre freilich ein gerichtsfestes Gutachten über den "vorbekannten Formenschatz an Regielösungen" aus dem Jahr 1975 von unschätzbarem Wert gewesen. Schade, dass Mussbach den Beweis nicht antrat.

DieCsardasfuerstin1 560 Erwin Doering SemperoperDresden uLeistungsschutzrecht für Regisseure: Peter Konwitschnys "Die Csàrdàsfürstin" an der Semperoper Dresden 1999 © Erwin Doering

Für die Semperoper in Dresden hatte Peter Konwitschny die Operette "Die Csàrdàsfürstin" inszeniert, verlegt auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. Der Intendant Christoph Albrecht ließ für die Aufführung in der Silvesternacht 1999 zwei Szenen streichen – wogegen Konwitschny klagte: sein Werk werde entstellt. Das OLG Dresden gab ihm Recht, gestand ihm zwar kein Urheberrecht, wohl aber ein sogenanntes Leistungsschutzrecht des ausübenden Künstlers zu, die kleine Schwester des Urheberrechts.

So hatte es auch schon das Oberlandesgericht München 1996 gelöst, als das Stadttheater Augsburg sich mit Wolfgang Trautwein stritt: Trautwein hatte Racines "Iphigenie in Aulis" mit einem Bewegungschor inszeniert. Als die dafür benötigten Statisten irgendwann zu teuer wurden, strickte das Haus die Inszenierung um und strich den Bewegungschor. Trautwein klagte, und das Oberlandesgericht gab ihm Recht: Zwar dürfe man einer Fortentwicklung der Inszenierung durch das Haus nicht mutwillig Steine in den Weg legen, aber wenn sich der Besucher späterer Aufführungen frage, wo denn die gerühmten Regie-Einfälle geblieben seien, dann gehe der Eingriff zu weit. Salomonisch setzt das Oberlandesgericht hinzu: "Ob der Regisseur Änderungen seiner Inszenierung hinnehmen muss oder nicht, hängt jeweils von den vertraglichen Abmachungen und den besonderen Umständen des Einzelfalls ab."

Kampf um die Textgestalt – von Max Frisch bis Heiner Müller

Geradezu kurios war ein Streit zwischen Rudolf Noelte und Max Frisch. Noelte sollte "Biografie: Ein Spiel" in Zürich inszenieren, er änderte den Text an unzähligen Stellen, irgendwann wurde es Frisch zu bunt, die Aufführung platzte. Doch Frisch überarbeitete seinen Text, brachte ihn als Buch heraus und übernahm 258 Änderungen von Noelte. Daraufhin verklagte dieser den Verlag, um als Mitautor genannt zu werden: Seine Änderungen seien eine so eigenständige Bearbeitung, dass er selbst wiederum Urheber im Sinne des Gesetzes geworden sei. Nein, nein, sagte der Bundesgerichtshof diesmal, was der Regisseur im Rahmen der Bühnenumsetzung verändert habe, seien doch eher Sprachglättungen, dürfe nicht überbewertet werden. "Biografie: Ein Spiel" blieb ein Stück von Max Frisch.

biographie1 560 arno declair hLaut Gerichtsurteil ein echter Max Frisch: "Biographie: ein Spiel", hier in der Inszenierung von Bastian Kraft am Deutschen Theater Berlin 2012
© Arno Declair

Fall für Fall müssen sich Regisseure also die rechtliche Anerkennung ihrer Leistung erkämpfen. Sind sie erfolgreich, so die zwingende Logik des Urheberrechts, haben auch sie wieder Verbietungsrechte gegen den nächsten, der auf ihrer kreativen Leistung aufbauen will. Das Urheberrecht eröffnet damit eine Schutzspirale, die am Ende allen die Freiheit der Kunst raubt.

Ach, die Kunst. Peter Raue, der gewiefte Berliner Anwalt, musste für Heiner Müllers Witwe bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen, auf dass in allen Entscheidungen zum Theater der Kunstfreiheit eine Gasse geschlagen wird. Das wegweisende Urteil "Germania 3" hat allerdings seine Tücken.

Heiner Müller hatte in "Germania 3 Gespenster am toten Mann" ausgiebig Brecht zitiert, nicht zuletzt um den Meister in seiner Haltung zum Ungarn-Aufstand 1956 zu entlarven. Diese Übernahmen ohne Genehmigung der Brecht-Erben hatte das Oberlandesgericht München auf deren Betreiben hin verboten. Das Bundesverfassungsgericht hingegen hielt mit Müller und buchstabierte Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes, den Schutz der Kunstfreiheit, aus. Müllers Arbeit sei vom Zitatrecht gedeckt. In der Kunst seien Zitate nicht nur als Belege zulässig, sondern auch für eine eigenständige künstlerische Betrachtung.

Und allen klagefreudigen Urhebern schrieben die Verfassungsrichter ins Poesiealbum: "Dabei ist grundlegend zu beachten, dass mit der Veröffentlichung ein Werk nicht mehr allein seinem Inhaber zur Verfügung steht. Vielmehr tritt es bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und kann damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden. Es löst sich mit der Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird geistiges und kulturelles Allgemeingut." Eine Watschen für das OLG München gab's von Karlsruhe auch noch: "Durch diese Handhabung verkennt das Oberlandesgericht grundlegend den durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gebotenen Schutz des Künstlers vor Beschränkungen". Ein Gericht, das ein Grundrecht grundlegend verkennt – autsch.

Germania3 BerlinerEnsemble1996 560 Bernd Uhlig hMüller +/-Brecht: "Germania 3" am Berliner Ensemble 1996 in der Regie von Martin Wuttke mit Margarita Broich, Christine Gloger und Ruth Glöss in den Rollen der Brecht-Witwen
© Bernd Uhlig

So weit, so seligmachend. Doch etwas aus dem Handgelenk heraus wird in den Kammerbeschluss ein unverdächtiger Satz geschrieben, eine Interessenabwägung, die Juristen so lieben: Die künstlerische Auseinandersetzung (Müller) verdrängt das Verwertungsinteresse der Urheberrechtsinhaber (Brecht) dann, wenn es sich um einen kleineren Eingriff handelt und keine wirtschaftlichen Nachteile drohen. Da schleicht es rein, das Geld.

Verkennt das Bundesverfassungsgericht nicht, dass seine Bezugnahme auf wirtschaftliche Nachteile und das Verwertungsinteresse in anderen Fällen die Tür öffnet, um große postmoderne Kunst zu verhindern?

Die Mashup-Moderne und das liebe Geld

Das Gericht entschied 2000. Heute spielen die Fälle in einer anderen Zeit. Remix, Mashup, Sampling, Collage – all das sind heute etablierte Kulturtechniken, für die es einen Markt gibt. 2000 konnte das Gericht anhand eines großartigen Falls mit großartigen Parteien in dubio pro arte entscheiden. Noch in diesem Jahr aber will das Gericht, wie eingangs berichtet, in der Sache "Metall auf Metall" entscheiden. Es geht um zwei Sekunden Kunst, aber vor allem um viel Geld.

Der Bundesgerichtshof hatte in der vorgelagerten Instanz ein gravierendes Urteil gefällt. Anschnallen bitte: Die Übernahme der Sequenz war unzulässig. Moses Pelham muss zahlen. Begründung: Die Übernahme verletzt das Tonträgerherstellerrecht. Es geht gar nicht um das Urheberrecht von Kraftwerk, sondern darum, dass Kraftwerk die, sagen wir, "2-Sekunden-Komposition" auf Platte gepresst hat. Eine besondere Volte schlägt der Bundesgerichtshof, in dem er festhält, dass diese Übernahme nur dann unzulässig ist, wenn es einem "durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten" möglich wäre, eine gleichwertige Sequenz herzustellen. Moses Pelham, ein wohl durchschnittlich ausgestatteter und befähigter Musikproduzent, hätte ja selber die zwei Sekunden um-tschick-um-tschick bauen können. Warum tut er das denn nicht, fragen sich offenbar die Richter am BGH. Beim Konzert am Sonntagnachmittag kommt ja auch keiner auf die Idee, die Cello-Line aus einer Platte herauszuschneiden und unterzulegen, wenn Herr von Rosen beim Streichquartett Opus 4 Nr. 37 von Arnold Schönberg gerade fehlt.

Wenn das Bundesverfassungsgericht der Kunstfreiheit zum Durchbruch verhelfen will, muss es die wirtschaftlichen Interessen von Kraftwerk ignorieren und dafür akzeptieren, dass Sampling oder auch "Libertinage der Mittel und Inhalte" eigene Kulturtechniken sind, die geschützt werden müssen. Das wird hart, zumal ganze Industrien hier handfeste Interessen haben. Kraftwerk klingt ja nach einem sympathischen Kläger gegen einen Moses Pelham, der immerhin mal Stefan Raab das Nasenbein gebrochen hatte (freilich ohne Aufforderung durch einen Volker-Lösch-Chor). Doch profitieren würden von einem Kraftwerk-Sieg eher die großen Unterhaltungskonzerne. Da ein Verfassungsgerichtsurteil grundlegende Bedeutung für alle Künste entfalten wird, dürfen Castorf-Fans in diesem Streit zu Moses Pelham halten.

 

Rupprecht Podszun uProf. Dr. Rupprecht Podszun ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Immaterialgüter- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bayreuth und Affiliated Research Fellow am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. Er befasst sich vor allem mit Kartellrecht, Wettbewerbsrecht und Urheberrecht.

 

Im Februar 2015 berichtete Rupprecht Podszun für nachtkritik.de vom Urheberrechtsprozess am Landgericht München 1 Suhrkamp gegen Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung am Münchner Residenztheater.

Alles über den "Baal"-Urheberrechtsstreit finden Sie im nachtkritik.de-Lexikon.

 

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