Wohnst du noch oder lebst du schon?

von Georg Kasch

Berlin, 16. April 2007. "Unsere Ordnung gefällt euch nicht, aber was für eine Ordnung habt ihr euch ausgedacht?," fragt Maxim Gorki in seinem Stück "Die Kleinbürger". Es steht als Motto über dem dritten Teil von "Kinder der Sonne", jener Reihe, die das Berliner Gorki Studio in dieser Spielzeit mit vorrangig junger Dramatik füllt. Während im großen Haus des seit September 2006 von Armin Petras geleiteten Theaters die Klassiker dominieren, dürfen sich hier Nachwuchsregisseure an jungen Themen probieren. Teil 1 befasste sich mit Berliner (Sozial-)Geschichten, Teil 2 brachte unter dem Titel "Europa lesen" so unterschiedliche Stoffe wie Henrik Ibsens "Klein Eyolf" und Fatih Akins "Gegen die Wand" auf die Bühne. Der dritte Teil dieser Reihe, "Kloster der Wut", wurde nun mit Frank Abts Inszenierung von "Die fetten Jahre sind vorbei" eröffnet.

Hans Weingartner fragte in seinem erfolgreichen Film von 2004 mit den Jungstars Julia Jentsch, Stipe Erec und Daniel Brühl nach den Möglichkeiten von Widerstand in einer Zeit, da alle Optionen schon durchgespielt zu sein scheinen. Jan und Peter brechen in die Villen reicher Menschen ein, um die Möbel umzustellen und sie so zu verunsichern. Als sich Jan in Peters Freundin Jule verliebt und mit ihr in das Haus des Mannes einsteigt, der ihr Leben ruinierte, geht die Sache schief und mündet in einer Geiselnahme, die alle überfordert – emotional und ideologisch.

Here comes the sun

Weingartners Film hat zwei Probleme, die auch die Bühnenfassung von Gunnar Dreßler und die Inszenierung nicht lösen können. Zum einen sind die Dialoge hölzern und diskurslastig. Daran scheitern im Gorki Studio vor allem Iringó Réti als Jule und Maximilian Grill als Jan. Eine gute Viertelstunde quälen sich die  beiden mit dem Versuch, politisch ambitioniert und romantisch zugleich zu scheinen, bevor Gunnar Teuber in der Rolle des sprücheklopfenden Peter die Bühne betritt und der Szene Kontur verleiht. Markant und präsent ist er anders als im Film der einzig wirklich Erwachsene dieser Inszenierung, während Horst Kotterbas zurückhaltender Villenbewohner Hardenberg von Anfang an eher Mitleid und Verständnis als Wut erregt, auch, weil sein anfänglicher Trotz wie sein Revolutionsverständnis so kindlich wirken.

Zum anderen hat der Film mit der Besetzung einer Insel ein höchst unwahrscheinliches Ende. Frank Abt verweigert sich dieser revolutionsromantischen Utopie und setzt eine andere, auch nicht neue, hier aber ironisierte dagegen: Jan und Jule werden von der Liebe erlöst. Dazu singen die beiden "Here comes the sun", die Discokugel rotiert, Jule schiebt sich einen Schwangerschaftsbauch unter, und sie sagen eine Liste von Dingen auf, die die Welt verändern: Beim Zähneputzen den Wasserhahn zudrehen, jeden Tag ein Lächeln verschenken, einen Baum pflanzen etc.

Glück der kleinen Gesten

Der 1976 geborene Regisseur Frank Abt hat sich in den letzten Jahren als Meister der intimen Theaterprojekte erwiesen. Am Hamburger Thalia Theater erzählte er in seiner Reihe "Stadtnotizen" von Orten und Menschen in Hamburg; die zweite Episode über den Stadtteil Finkenwerder wurde zum Festival "radikal jung" nach München eingeladen. Seine "Glamourdramen" über Franziska van Almsick und Mariah Carey sind auch in Berlin zu sehen. Stets arbeitet er mit reduzierten Mitteln, und so sind es auch in "Die fetten Jahre sind vorbei" die kleinen Gesten, die an der Inszenierung beeindrucken. Wenn Jule beim Streichen ihrer Wohnung den klemmenden Reißverschluss von Jans Schutzanzug schließt, wenn Hardenberg, nachdem er seine Wohnung betreten hat, zunächst höchst konzentriert die Jackettknöpfe öffnet, bevor er etwas sagt. Oder wenn während Hardenbergs Verhör sich eine zweite Ebene der Blicke zwischen Jan, Peter und Jule eröffnet, die den ganzen Gefühlskonflikt wortlos erzählt. In diesen Momenten ist das Publikum, das hufeisenförmig um die Spielfläche herumsitzt, im doppelten Sinne ganz nah am Geschehen.

Bemerkenswert ist auch die Konsequenz, mit der Abt auf der Theaterrealität besteht und sich so von seiner Vorlage abgrenzt. Alle Schauspieler sitzen im Publikum, und wenn Jule Peter um Hilfe anfleht, weiß man zunächst nicht, ob der Hilferuf an die Zuschauer geht, bis sich Gunnar Teuber langsam erhebt. Eine Waschschüssel reicht aus als Swimmingpool, die Musik wird von den Schauspielern bedient, eine von Jan aufgehängte Diskokugel macht den Sternenhimmel.

Doch all diese Augenblicke wiegen den Umstand nicht auf, dass das emotionale Zentrum der Geschichte, die Beziehung zwischen Jan und Jule, leer bleibt. Ungespielt. Bis zum Schluss: Wenn Peter und Hardenberg gegangen sind und aller Druck von Jule und Jan abfällt, wenn diese Kinder von der Sonne singen und die Sterne durch den dunklen Raum flitzen, entsteht zwischen Iringó Réti und Maximilian Grill doch noch jene unschuldig-intime Spannung, auf die man eine Stunde lang vergeblich warten musste.

 

Die fetten Jahre sind vorbei
nach dem Film von Hans Weingartner
für die Bühne bearbeitet von Gunnar Dreßler
Regie: Frank Abt, Bühne: Annette Riedel, Kostüme: Maren Fischer
Mit: Iringó Réti, Maximilian Grill, Gunnar Teuber, Horst Kotterba

www.gorki.de

Kritikenrundschau

"Warum muss die behauptete Müdigkeit der Generation mit spielerischer Energielosigkeit ausgedrückt werden?" fragt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (19.4.2007). "Das frisch verliebte Paar - Maximilian Grill und Iringó Réti - hält sich wie Hänsel und Gretel bei den Händen und schleppt sich an den episch überladenen Dialogen ab. Der Macho-Revoluzzer Peter (Gunnar Teuber) hat einen komischen Durchblicker-Auftritt, geht aber bald wieder ab. Und weil Zu-Ende-Erzählen Mühe macht, entledigt sich der Manager (Horst Kotterba) problemlos seiner Fesseln und verabschiedet sich ins Bett. Unsere betretenen Umstürzler halten ihn nicht auf, finden aber immerhin noch genug Kraft, um sich zu erheben und zum Nettsein aufzurufen."

"Leider tänzelt die witzige Inszenierung um einen ziemlich schwachen Inhalt", stellt Cornelia Gellrich in der taz (19.4.2007) bedauernd fest. „Darin gleicht der Theaterabend dem Kinofilm. Dem coolen desillusionierten Peter, der die Liebe als vom Kampf ablenkend kritisiert, wird mit diesem Abend recht gegeben. Am Ende ist die Geisel nicht ins Zweifeln geraten, sondern nur etwas nostalgisch geworden angesichts des jungen Glücks. Jan und Jule sind glücklich miteinander und guter Hoffnung außerdem. Sie haben kein Problem mehr mit dem System, denn sie sind darin angekommen."

Im Tagesspiegel vermisst Andreas Schäfer (19.4.2007) sogar das Moment der Bedrohung: "Die revolutionären Einbrecher und der zu Geld gekommene Ex-68er bleiben einfach in dessen Zehlendorfer Villa sitzen und sagen sich dort, was sie sich zu sagen haben. Jan (Maximilian Grill): "Wir leben in einer Diktatur des Kapitals. Alles, was du besitzt, hast du gestohlen." Hardenberg (Horst Kotterba) "Wir leben in einer Demokratie. Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, dass ich Dinge besitze, für die ich bezahlt habe." Dann packt er sein Jackett und sagt: "Ich geh dann mal."

 

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