Weichzielverlustzirkus

von Kai Bremer

Münster, 22. Mai 2015. Intermediate Bulk Container sind – zumal in der Variante mit Stahlkäfig – eine feine Sache. Üblicherweise werden in ihnen sehr effizient Flüssigkeiten transportiert. Aber wenn man rund 60 von ihnen im Theater versetzt auftürmt, ergeben sie nicht nur eine tolle Kletterwand für akrobatisch talentierte Schauspieler, sondern zugleich auch einen gewissen proletarischen Flair. Da glaubt man Beckmann gleich, dass er im Hafen von Hamburg ist. Und die IBCs haben noch einen Vorteil: Wenn man sie anständig befüllt, stehen sie nicht nur stabil übereinander. Man kann zumindest aus einigen von ihnen Wassermassen auf die Bühne strömen lassen, die Beckmanns trauriges Heimkehrerdrama zu einer regelrechten Untergangsgeschichte verdichten.

Ein starkes Bühnenbild also, das David Hohmann in Münster für Bernadette Sonnenbichlers Inszenierung von Borcherts "Draußen vor der Tür" abliefert – zumal, da die Wasserfläche immer wieder so ausgeleuchtet wird, dass sich das Wasser auf den IBCs wie an Schiffsrümpfen spiegelt. Beeindruckend zudem, mit welcher Energie die drei Schauspieler Florian Steffens (Beckmann), Maike Jüttendonk (Elbe und alle anderen Frauenrollen) und Daniel Rothaug (der Andere und alle weiteren männlichen Figuren) fast die gesamte Zeit durchs Wasser robben, sich gegenseitig verzweifelt ins Wasser werfen oder von den Containerwänden ins Wasser stürzen. Da grenzt es fast schon an eine Unverschämtheit, wenn das Publikum zuletzt die sicherlich gänzlich durchgefrorenen Schauspieler frenetisch beklatscht und sie immer wieder auf die Bühne ruft statt ihnen endlich eine heiße Dusche und ein paar Handtücher zu gönnen.

Verdichtete Werktreue

Den visuellen Eindruck unterstützt, dass von Beginn an der eh schon dichte, allegorische Text Borcherts energisch aufs Wesentliche reduziert wird. So steht zwischenzeitlich der Verdacht im Raum, das Drama würde à la Thalheimer filetiert, wenn nicht gar skelettiert. Allerdings setzt Sonnenbichler nicht auf dessen vielfältigen Umgang mit der Sprache, sondern lässt insbesondere Beckmann die meiste Zeit sein großes Leid und seine Verzweiflung mit unendlich erschöpftem Blick, der obligatorischen Gasmaskenbrille auf der Nase und völlig durchnässt herausbrüllen. Ein eindringliches Bild des Elends.DraussenTuer 560a OliverBerg uDer buchtstäbliche Kampf gegen den Untergang: Florian Steffens als Beckmann
© Oliver Berg

Aber eben diese verdichtete Werktreue (wenn es so etwas denn gibt) droht zunehmend auch zum Problem des Abends zu werden. Beckmanns Geschichte ist inzwischen eben doch fast 70 Jahre alt, so dass es mehr braucht, als eine hervorragende Veranschaulichung des Heimkehrerelends, um eine Inszenierung des Stücks heute noch zu rechtfertigen. In letzter Zeit haben verschiedene namhafte Regisseure wie Volker Lösch an der Schaubühne oder Jürgen Kruse in Frankfurt versucht, dem Drama Gegenwart abzuringen.

Es ist Showtime!

Um dies zu erreichen, gibt Sonnenbichler dem Stück eine Art Zwischenspiel. In dem steigert sich Beckmann zunächst, Schnaps saufend, in eine besoffen glucksende Auflistung von Totenzahlen der Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg hinein. Sodann erklärt er vor den blutig-rot leuchtenden Containern, einen "Weichzielverlustzirkus" veranstalten zu wollen (mit dem zynisch-technokratischen Begriff "Weichzielverlust" sind im militärischen Alltag Kriegstote gemeint). Doch keine Zeit für Begriffskritik: Es ist Showtime! Vom Schnürboden senkt sich ein Mikro und Beckmann/Steffens verspricht Unterhaltung. Die gibt's in Form einer gepfefferten Salve gegen das Textbuch und in Gestalt einer Verneigung vor Schillers "Räubern". Nicht wenige im Publikum werden sich an die Münsteraner Inszenierung vor knapp drei Jahren und die damals folgende Besetzung der Bühne durch Occupy-Aktivisten erinnert haben. Steffens sicherlich, er gab damals den Franz. Vielleicht sollte "Draußen vor der Tür" daran anknüpfen.

Dass dieser Effekt ausbleibt, ist freilich weniger dem Umstand geschuldet, dass "Draußen vor der Tür" gänzlich anders gestrickt ist als "Die Räuber". Sonnenbichler kehrt nach dem metatheatralen Ausbruch wieder zum Stück zurück, um die Inszenierung mit denselben ästhetischen Mitteln abzuschließen, mit denen sie vor dem Zwischenspiel gearbeitet hat. So verpufft der "Weichzielverlustzirkus", der beim Publikum deutlich für Unruhe sorgt. Die Mehrzahl der Zuschauer hat sich daran aber nicht gestört und mit begeisterten Applaus nicht nur die physische Leistung der Schauspieler, sondern auch das hervorragend auf das Stück abgestimmte Bühnenbild und den selbstbewussten Umgang mit dem Dramentext jenseits des Zwischenspiels gefeiert.

 

Draußen vor der Tür
von Wolfgang Borchert
Regie: Bernadette Sonnenbichler, Bühne: David Hohmann, Kostüme: Kristofer Kempf, Musik: Cico Beck, Dramaturgie: Kathrin Mädler.
Mit: Maike Jüttendonk, Daniel Rothaug, Florian Steffens.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-muenster.com

 

Kritikenrundschau

Mit Blick auf das Kriegsende vor 70 Jahren "und eingedenk der Tatsache, dass wir in einer kriegerischen Welt leben", werde Borcherts autobiografischer Stoff brandaktuell, so Johannes Loy in den Westfälischen Nachrichten (26.5.2015). "Was hier verhandelt wird, ist also nicht weit weg. Und dass es geradezu krachend wieder ins Bewusstsein dringt, dafür sorgen die drei hervorragenden Darsteller des Abends, die in der schlüssigen Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler Grenzen ausloten".

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