Auf der Insel

von Jan Oberländer

Reykjavik, 5. März 2008. Es gibt Pfannkuchen. Leckere, isländische Pfannkuchen mit genau richtig viel ungesüßter Sahne und dem genau richtig großen Klecks Pflaumenmus. Dafür allein lohnt es sich schon fast, der Einladung der Veranstalter zu folgen und für eine Woche nach Reykjavik zu reisen, wo vom 4. bis 10. März zum ersten Mal das privat veranstaltete "Lókal-international"-Festival stattfindet, das zugleich, wie die Organisatoren Ragnheiður Skúladottir, Bjarni Jónsson und Guðrún J. Guðmundsdóttir betonen, das erste internationale Theaterfestival Islands ist. 

Dessen Programm kann sich durchaus sehen lassen. Neben drei für die isländische Szene repräsentativen Stücken hat die Kuratorin Elena Krüskemper, die im Hauptberuf die Biennale Bonn leitet, vier Produktionen aus der weit- und weltläufigen Festivalszene auf die Nordmeerinsel geholt, um den lokalen Kreativen mal zu zeigen, was sonst noch so los ist in der Theaterwelt. Raus aus der Isolation, rein mit den neuen Ideen! 

Im Nordmeer, nicht hinterm Mond 

Dabei ist Island durchaus keine Theaterwüste, vor allem nicht die Hauptstadt, in der über ein Drittel aller Isländer leben, um die 120.000 Menschen. Die Reykjaviker Kunstakademie entlässt gerade die ersten Absolventen des neuen Fachbereichs "Theorie und Praxis des Theaters", als dessen Gäste auch schon die deutschen Performer von Rimini Protokoll den Studierenden Rede und Antwort standen. Am Nationaltheater in Reyjkavik hat der Regisseur Balthasar Kormákur ("101 Reyjkavik") gerade einen ambitionierten und viel gelobten "Iwanow" mit ein- und demselben Ensemble gleichzeitig als Schauspielstück (in historischen Kostümen) und als Spielfilm (als Aktualisierung) produziert. Und das Ensemble "Vesturport", das gerade unterstützt von dem mexikanischen Filmstar Gael García Bernal ("Motorcycle Diaries") im Reykjaviker Stadttheater Station macht, ist ohnehin längst ein internationaler Exportschlager.

Die isländische Theaterszene, das zeigt ein Blick ins "Lókal"-Programmheft nur umso pointierter, macht sich fit für die Zukunft. (So wie, das zeigen die Baustellen und schicken neuen Markenshops im Stadtzentrum, auch das übrige Land durchaus nicht stehenbleibt.) Auf dem neuen Festival werden etwa neue Formen des Zusammenspiels ausprobiert, wie in "Oþello, Desdemóna og Jágo", wo die drei Kernfiguren aus Shakespeares Drama je nur eine Darstellungssprache sprechen: Tanz, Sprechschauspiel, Gebärden. Oder der Blick geht auf der Suche nach Antworten für die Gegenwart in die Vergangenheit, wie in Stefán Jónssons Inszenierung von "Baðstofan", einem ätzenden Text des jungen Starautors Hugleikur Dagsson, der anhand des Motivs des historischen Gemeinschaftszimmers der Inselbevölkerung den isländischen Nationalcharakter aufs Korn nimmt – als Theater-Musik-Performance mit eigens angefertigten Fantasieinstrumenten. 

Freie Szene 

Der Einfluss der Medien auf alle Bereiche der Lebenswelt ist ein gängiges Thema in der isländischen freien Szene, die aus rund 50 Gruppen besteht, in wechselnden Konjunkturen und Konstellationen. "Hér & Nú" heißt die glitzernde Revue, die Regisseur Jón Páll Eyjólfsson und Musikchef Hallur Ingólfsson nach einer kürzlich eingestellten isländischen Trash-Illustrierten benannt haben, die über Magersucht genauso schrieb wie über B-Promis, über Missbrauch genauso wie über lustige Haustiere.

In ihrer Herangehensweise an deutsche Gruppen wie Gob Squad oder She She Pop erinnernd, zelebrieren die sechs Performer der Gruppe "Sokkabandið" die ironische Überaffirmation, indem sie als aufgebrezelte Möchtegern-Superstars auftreten, die keine Peinlichkeit scheuen, um die Gunst des Publikums zu erringen. Die Grenze zur Realität wird durch authentische Sponsorenverträge (Dessous, Sushi, Bier) verwischt, wobei allerdings zu befürchten steht, dass die Ironie klammheimlich auf der Strecke bleibt.

Zur Praxis. Die Pfannkuchen sind kaum verdaut, da hält das Shuttletaxi schon vor dem Hafnarfjarðarleikhúsið, einem kleinen Spielort vor den Toren der Stadt. "Ode to the man who kneels", das neue Stück des Autors/Regisseurs/Musikers Richard Maxwell und seiner "New York City Players", eröffnet das Festival. Man spricht Englisch. Die Bühne (von Sascha von Riel) ist karg: ein Stuhl, zwei Podeste. Der Cowboy trägt Hut und Zeigefingerrevolver. Seine Geisterstadt, sein Bewährungsort, seine Mondlandschaft, auf der im zitternden Spotlight einer selbst gebauten Lichtmaschine dieser existentialistische Minimal-Western stattfindet, heißt "Grid": Hier kommt niemand raus, außer mit den Stiefeln zuerst, das hat "the grid" wohl mit dem Leben gemeinsam.

Interesse an Überforderung 

Der "stehende Mann" (Jim Fletcher) ist derjenige, der an allen Kämpfen scheitert, auch an denen, die er gewinnt und an deren Ende sein jeweiliger Gegner die wiederkehrenden, von Maxwell an der Gitarre und Mike Iveson am Piano sehnsüchtig intonierten Americana-Lieder auf dem Rücken liegend mitschmettert: "Look how love-frozen cowboy stands". Erst schießt er dem "knienden Mann" eine Kugel in den Kopf, dann kniet er selbst vor der "weinenden Frau". Vier Mitfiguren hat der "stehende Mann" zum Schluss auf dem Gewissen, gewonnen aber hat er nichts, keine Liebe, keinen Frieden, kein neues Leben. Er bleibt in seinem von Maxwell gnadenlos präzise abgezirkelten Zwischenraum stehen, den Blick Richtung Sonnenuntergang, ins Scheinwerferlicht. 

Der für Maxwells Produktionen charakteristische, lakonische Performance-Stil, der so gar nichts mit eingefühltem Schauspielertheater zu tun hat, der selbstreflexive Text ("I am an actor!") und die sparsame Ausstattung der Bühne, überhaupt das Öffnen von Fantasieräumen, der Fokus auf die Aktivierung, die (Über-)Forderung des Zuschauers bei der Stückrezeption werden in Island, zumindest von den Theaterleuten, mit großem Interesse registriert, das zeigt das anschließende Publikumsgespräch mit Maxwell und seinen Performern. Nach dem Erfolg der Eröffnungsshow können auch die anderen internationalen Produktionen mit ihren reduzierten Ästhetiken, "L’effet de Serge" der Pariser Gruppe "Vivarium Studio" und "No Dice" der New Yorker Gruppe "Nature Theater of Oklahoma" darauf hoffen, in Reyjkavik zu Importschlagern zu werden.


Informationen und Programm unter www.lokal.is

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