Per Anhalter durch die Herzensgalaxien

von Jan Fischer

Bielefeld, 28. Mai 2015. Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2015. Dies sind die Abenteuer einer namenlosen Raumsonde, die mit fünf Menschen Besatzung unterwegs ist, um die Dunkle Materie Liebe zu erforschen. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt das Raumschiff in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Eigentlich wollten sie nur Pizza essen. Aber irgendetwas geht mit der Mikrowellenstrahlung schief, und da ist sie, die Wolke aus Dunkler Materie namens Liebe, sie fühlt sich an "wie ein schöner Hefeteig". Furchtlos stürzt sich die Schiffsbesatzung hinein.

Fünf Aeronauten und das Wurmloch

Das ist die Rahmenhandlung, die Tobias Rausch sich für sein Recherchestück "Dunkle Materie. Ein Weltraumabenteuer über Liebe" ausgedacht hat. Wobei, man muss das vorher sagen, Rauschs Recherche nicht versucht, Wirklichkeit abzubilden. Es gibt zwar 4000 Seiten Interviews als Grundlage – Rauschs Arbeitsprozess allerdings verformt sie in einem künstlerischen Wurmloch: Bei ihm werden Transkripte zu Diskussionen zu Improvisationen zu einem Stücktext. Jeder Schritt ist eine Transformation der Grundlage, eine weitere Spiegelung hin zum Kern der Geschichte.

Dunkle Materie 12 560 Philipp Ottendoerfer uRaumfahrtprogramm Liebe: Tobias Rauschs "Dunkle Materie" in Bielefeld
© Philipp Ottendörfer

Und also torkeln die fünf tapferen, so nennen sie sich, Aeronauten in ihren Raumanzügen mit riesigen Helmen vor einer Milchstraße aus LEDs, mit ihrem weißen Raumschiff, das vorne eine Kabine hat, hinten eine große Satellitenschüssel, und bei Bedarf einfach gedreht werden kann. Es gibt feindliche Übernahmen durch Pick-up-Artists, majestätische Gasgalaxien aus Oxytocin, Geschichten von der Liebe zu Männern, Frauen, zu beidem, gleichzeitig oder hintereinander, von der Liebe zu Kränen, und der Liebe zu Minderjährigen.

Beobachtung aus großer Distanz

Liebe, so will es die umspannende Metapher dieser Inszenierung, ist wie Dunkle Materie: überall um uns herum, nicht greifbar, und ob es sie gibt, darüber streiten sich selbst die klügsten Menschen. Deshalb ist Rauschs Herangehensweise konsequent: Er biegt nicht nur seine Recherchegrundlage wie die Dunkle Materie den Raum, er schickt seine Schauspieler auch auf eine Forschungsmission mitten hinein. Die Inszenierung konkretisiert nichts. Die Formen der Liebe werden beobachtet, wie man auch Dunkle Materie beobachtet: Man kann sie nicht direkt sehen, man kann nur von ihrer Wirkung darauf schließen, dass es eine Ursache geben muss.

Die Darsteller – oder besser vielleicht: Forscher – sind dabei immer wieder von den Geschichten überrascht, die auf sie einströmen, selbst wenn sie die Geschichten spielen und nicht nur nacherzählen. Sie sind nie dabei, nie drin, nie die Figuren selbst, sondern spielen eher nach, was sie finden, mit der Distanz eines Kindes, das etwas nachmacht, was Erwachsene tun, ohne es richtig zu verstehen. Hin und wieder formieren sie sich zu einem Trio mit Gitarre, Klavier und Cello und versuchen, der Liebe mit einem Lied auf die Spur zu kommen.

Trash und Tragik

Rausch veranstaltet seine Forschung dabei auf einem schmalen Grat. Einerseits ist die ganze Inszenierung ungeheuer trashig. Es gibt Musicalnummern. Wie in "Per Anhalter durch die Galaxis" tragen die Aeronauten öfter mal ein Handtuch durch die Gegend, wie in "Star Trek – Raumschiff Voyager" verschlägt es die Aeronauten versehentlich bis über die Grenzen des Universums hinaus. Es gibt mehrere "Star Trek – The Next Generation"-Anspielungen, und das Bühnenbild sieht sowieso aus wie ein Set aus der ersten "Raumschiff Enterprise"-Serie.

Dunkle Materie 15 560 Philipp Ottendoerfer u© Philipp Ottendörfer

Aber in dem ganzen Trash steckt dann auch wieder große Tragik, wie alle Liebesgeschichten irgendwann tragische Geschichten werden: Es geht um die Unmöglichkeit des "Ich liebe dich". Es gibt die Geschichte einer Frau, die einen Kran liebt, so lange, bis dieser ins Ausland verkauft wird und sie ihn nie wieder sieht; es gibt die Geschichte eines Mannes, der seine Familie verlässt, weil er homosexuell ist; es gibt eine Liebesgeschichte, die ein ganzes Leben umfasst – und jede einzelne davon endet mit einem gebrochenen Herzen oder mit der Ernüchterung, dass die Liebe doch nichts sei als pure Chemie und/oder eine Erfindung der kapitalistischen Gesellschaft.

Trash und Tragik fügen sich in Rauschs Forschungsprojekt ganz großartig zusammen. Er lässt die Facetten der Liebe – im Guten wie im Schlechten – im Weltraum schillern. Da werden Herzen gebrochen und vom Comic Relief gleich wieder gekittet, nur um wieder gebrochen zu werden. Und das alles, ohne jemals zu werten, ohne zu erklären. Einfach nur als staunender Beobachter, der mitten in seinem selbst gebauten Metaphernsturm der Liebe steht, und vorsichtig nach den Teilchen tastet, die da so hell strahlen.

 

Dunkle Materie. Ein Weltraumabenteuer über Liebe
von Tobias Rausch
Regie: Tobias Rausch, Bühne: Michael Böhler, Kostüme: Christa Beland, Musik: Matthias Herrmann, Recherche: Katharina Wessel, Patricia Bollschweiler, Sarah Pröllochs, Dramaturgie: Viktoria Göke.
Mit: Isabell Giebeler, Doreen Nixdorf, Georg Böhm, Stefan Imholz, Janco Lamprecht.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater-bielefeld.de

 

 

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