Heilige Blasphemie

von Sascha Westphal

Münster, 29. Mai 2015. Am Anfang war die Finsternis. Die Dunkelheit umfängt die Bühne genauso wie die Zuschauerreihen. Um einen herum nur Schemen, Umrisse, die sich vage abzeichnen. Für einige Momente vergisst man sie ganz. Jeder ist mit sich alleine, wie abgeschnitten von der Welt. Und das ist in diesem Augenblick keinesfalls ein schlechtes Gefühl. Im Gegenteil: Es fällt leicht, sich in der allgegenwärtigen Schwärze geborgen zu fühlen.

In der Trance

Dann erklingt eine männliche Stimme und fordert einen in Englisch auf, es sich bequem zu machen, sich noch mehr zu entspannen. Ihr warmes Timbre und ihr leicht monotoner Duktus sind wie geschaffen, um einen in eine Art von Trance zu versetzen. Schon beginnt sie zu zählen, von Eins bis Zehn, und spricht dabei von einer magnetischen Wärme, die durch den Körper strömt. Wer hier gerade hypnotisiert werden soll, spielt kaum eine Rolle. Vielleicht gelten die Worte dem Publikum als kollektivem Körper. Vielleicht sind sie aber auch nur an den älteren Mann mit den roten High Heels und den schwarzen Lederhandschuhen gerichtet, der im Zentrum der Bühne auf einem schräg stehenden Metallbett sitzt.

MONKEY1 560 persfoto stef lernous uDer Traum der Vernunft: Chiel van Berkel auf seinem Bett © Stef Lernous

Ein einzelner Scheinwerfer hat Chiel van Berkel dem allgemeinen Dunkel entrissen. Das erst noch schwache, nach und nach immer gleißender werdende Licht fällt senkrecht von oben auf ihn herab und lenkt alle Blicke auf ihn. Alles, was nun geschehen wird, könnte sein Traum sein. Aber genauso gut könnte auch er nur ein Traumgebilde sein, auferstanden aus dem kollektiven Unterbewussten des Publikums. Gedanken wie dieser drängen sich praktisch auf.

In der Verführungs-Schlinge

Der belgische Theatermacher Stef Lernous und seine Truppe Abattoir Fermé schicken einen mit "Monkey", ihrer schon 2011 uraufgeführten und nun erstmals in Deutschland gezeigten Performance, auf einen Trip durch eine Zwischenwelt. Wachen und Schlafen, Begehren und Furcht, Wirklichkeit und Traum lassen sich in diesem Reich düsterer Visionen und berauschender Bilder nicht mehr voneinander scheiden. Hier fügt sich nichts zu einer Erzählung zusammen. Ein Panorama der Ausschweifungen und des Schmerzes folgt auf das andere.

Der Schlaf, oder in diesem Fall der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer. Vier bizarre Gestalten treten nacheinander in die verfallende Behausung des alten Mannes: Kirsten Pieters, deren Mund zu einem grotesken Grinsen eingefroren ist, Thomas van Ouwerkerk, der van Berkel seine vielleicht letzte Zigarette anbietet, Tine Van den Wyngaert, die sich mit ihrem Ganzkörperkostüm in ein gesichtsloses Schattenwesen verwandelt, und die Tänzerin Yumiko Funaya, deren laszive Bewegungen zugleich verführen und verstören. Schöne Erinnerungen schwingen in Funayas Posen mit. Aber das Begehren wird zum Schrecken. Und dann ist da plötzlich eine Schlinge über Chiel van Berkels Kopf. Das Weitere ist unvermeidlich. Der Mann hängt sich auf und wird wenig später in seinem Bett beerdigt, mit allem, was dazugehört: weißem Leichentuch, frischer Erde und zahlreichen Ästen.

Ein Angriff auf alle Sinne

Ein Kreislauf von Werden und Vergehen, Tod und Wiederauferstehung. Die Bilder und Szenen bleiben rätselhaft. Sie lassen sich nicht entschlüsseln, und gerade das verleiht ihnen eine ungeheure Macht. Immer wieder mischen sich christliche Symbole in diese Visionen. Sei es nun die Monstranz, die über Chiel van Berkels an der Wand hängt und für einen Moment zu einem strahlenden Zentrum des Lichts wird, der Rotwein, den Thomas van Ouwerkerk über Chiel van Berkels Kopf ausgießt, oder das Pietà-Tableau, das van Berkels Leidenden zur Christus-Figur werden lässt. Selbst in die am tiefsten verschütteten Sehnsüchte und Begierden mischen sich noch religiöse Motive. So radikal und unerbittlich hat sich das Christentum in die Psyche der westlichen Welt eingeschrieben. In "Monkey" ist jeder Exzess zugleich heilig und blasphemisch.

Aber Stef Lernous und seine Mitstreiter, zu denen neben den furchtlosen Performern auch der Musiker Kreng sowie der Licht-Designer und Bühnenbildner Sven Van Kuijk gehören, zelebrieren weit mehr als nur groteske Phantasien von Eros und Thanatos. Ihr Theater ist ein direkter Angriff auf alle Sinne. Neben Lernous’ von Horrorfilmen ebenso wie von klassischen Gemälden inspirierte Bilder entwickeln auch Krengs bedrohliche Klanglandschaften, die sich am Ende in einem wahren Electronic-Body-Music-Gewitter entladen, und Sven Van Kuijks mal traumhaft schöne, mal einfach nur grell-blendende Lichteffekte echtes Suchtpotential. So verlässt man das Theater schließlich überwältigt und erschöpft, den Geruch von Erde und Wein, Leben und Tod, noch in der Nase, und sehnt sich sogleich zurück in diesen schwarzen Raum der Seele.

 

Monkey
von Abattoir Fermé
Regie: Stef Lernous; Bühne & Licht: Sven Van Kuijk, Stef Lernous; Dramaturgie: Pol Dehert; Musik: Kreng.
Mit: Chiel van Berkel, Tine Van den Wyngaert, Kirsten Pieters, Yumiko Funaya, Thomas van Ouwerkerk.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.pumpenhaus.de

 

Kritikenrundschau

Für die Westfälischen Nachrichten (1.6.2015) hat Isabell Steinböck bei "Monkey" "surreale Szenen mit gewaltigen Bildern" gesehen, "die, cineastisch anmutend, keiner Sprache bedürfen." Dass "das Opfer über weite Strecken alles wie selbstverständlich" mitmache, trage "zur unwirklichen Atmosphäre bei und verleiht dem gruseligen Geschehen eine groteske Komik." Einen "tieferen Sinn" finde man "in diesen abgründigen Szenen selten, die eindringliche Ästhetik im kunstvollen Zusammenspiel aus Licht, Musik und Bewegung ist allerdings nachhaltig beeindruckend."

 

Kommentare  
Monkey, Münster: auch mit Humor
Tolle Performance, tolle Kritik. Nix hinzuzufügen, außer vielleicht, dass dem Nachtmahr auch eine gehörige Portion Humor beigemischt war.
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