Mania - Miloš Lolićs Bakchen-Bearbeitung am Berliner Maxim Gorki Theater
Der Gott ist ein DJ
von Georg Kasch
Berlin, 5. Juni 2015. Das geht in den Körper! Bumbumbumbum dröhnen die Bässe, sofort wippt der Fuß mit, bewegen sich die Muskeln, erinnern sich an die Räusche durchtanzter Nächte. Zumal die sieben Schauspieler da oben auf der Bühne im Schlabber-Schick genau das machen: Lässig vibrieren ihre Körper, stampfen ihre dick besohlten Laufschuhe auf den Grund. Aleksandar Radenković stemmt seine Arme wie ein Fitnesstrainer energiesparend Richtung Hüftgürtel, Dejan Bućin wirbelt mit den Händen animateurhaft durch die Luft, Sesede Terziyan lässt ihre angeklebten Rastazöpfe schwingen.
Durchgeknallte Party-People
Der Kopf allerdings ist ernsthaft genervt: Wie lange soll das noch wummern? (Dabei ist das für Club-Verhältnisse alles noch harmlos.) Es wird nicht besser, als Till Wonka ein magentafarbenes Mikrofon aus den Tiefen seiner Jogginghose kramt, seinen Dionysos-Monolog hineinstammelt und man kaum ein Wort versteht. Wer den Text nicht kennt und des Englischen nicht mächtig ist (im Gorki Theater werden alle Vorstellungen übertitelt), hat schlechte Karten – und das nicht nur am Beginn von "Mania".
Womit das Prinzip des Abends klar wäre: Hier Sinnlichkeit, da das Wort, hier Dionysos, der Gott des Tanzes, des Weins, des Rauschs, da Pentheus, der rationale Herrscher. Schließlich steckt im neuen Titel-Schlauch bewährter Wein. Euripides' "Die Bakchen", ordentlich gekürzt: Thebens Herrscher Penteus glaubt nicht an den jungen Gott Dionysos und seinen Kult, verbietet ihn, verspottet den gemeinsamen Großvater Kadmos (Dionysos ist ja als Sohn Semeles halb Mensch und nur deshalb ein Gott, weil Zeus ihn in seiner Wade ausbrütet) und lässt die Vogelschau des alten blinden Sehers Teiresias' zerstören (Antikenkenner wissen: großer Fehler!). Dionysos rächt sich, indem er Thebens Frauen derart verhext, dass sie als durchgeknallte Feier-Girls die Stadt verlassen und in ihrem Wahn Pentheus zerreißen, den sie für einen Löwen halten.
Die Stadt braucht Ordnung
Das Gorki hat ja den guten Ruf, sein Programm so zu gestalten, dass man die erzählten Geschichten auch ohne Vorbildung versteht. Diesmal aber werden zum Programmzettel auch Faltblätter verteilt, auf denen das Who is Who der Tragödie und ein paar Begriffe geklärt werden. Dass man so viel Begleitinfo wie möglich braucht, lieg aber auch an Miloš Lolićs Inszenierung. 2011 hatte der Regisseur beim Radikal jung-Festival in München seine beeindruckende Falk-Richter-Inszenierung Gott ist ein DJ aus Belgrad gezeigt. Auch jetzt ist sein Gott wieder ein DJ, dem er den Bürokraten Radenkovićs gegenüberstellt: "Diese Stadt braucht Ordnung!", knurrt er. Und dann sei Dionysos auch noch "ein Fremder!" Die anderen verknäulen sich derweil ganzkörperlich ineinander, versuchen, Radenković zu sich herunter zu ziehen.
Visuell ist die Sache schnell klar, akustisch so gar nicht. Oft ist man sich nicht sicher, ob gerade die Bässe zu laut dröhnen oder die Schauspieler nicht suggestiv genug erzählen (zumal dann, wenn Lars Wittershagens Soundkulisse pausiert). Einmal immerhin hört man mit Spannung zu: Da sitzen Radenković und Wonka ganz dicht nebeneinander, der Herrscher und der Gott, der sich als dessen Bote ausgibt, und ihr freundlich-entspanntes Geplänkel entwickelt sich zum Streitgespräch. Wenn Radenković fragt: "Wo ist denn dein Gott?", dann klingt das unglaublich heutig – und nach Gedankenkrimi. Auch szenisch verschwimmen die Grenzen, weil die Beziehung der beiden Alpha-Männer enorm körperlich ist, immer in Spannung zwischen Zärtlichkeit und Gewalt, voller Berührungen, Umarmungen, Ins-Ohr-Flüsterungen. Sind sich die beiden am Ende näher als sie denken?
Mit Jeff-Koons-Ballonhund
Eine These, für die das Ende spricht, als der Kampf Wums gegen Wort auch dem Gott selbst auf die Füße fällt: Während die anderen sich noch im rosa Schleim suhlen, der irgendwann von der Decke tropft und das Schmiermittel zum Schlammcatchen der finalen Frauen-Raserei liefert (da stecken die Schauspieler dann in Highheels, fleischfarbenen Bodysuits und billigen Perücken), zieht Dionysos den toten Pentheus nach vorne und versucht, seine Schlussworte zu sprechen. Da kann Till Wonka noch so brüllen, er dringt nicht durch. Die Party hat ihren göttlichen Sinn längst verloren, hat sich verselbstständigt zu einer Gedankenleere, für die auch der riesige Jeff-Koons-Ballonhund steht, der sich auf der Bühne dreht: oberflächenglänzend, aufgeblasen, hohl, ein silbernes Kalb unserer Zeit.
Mania
frei nach "Die Bakchen" von Euripides, in einer Übersetzung von Simon Werle
Regie: Miloš Lolić, Bühne: Evi Bauer, Kostüme: Jelena Miletić, Sound & Musik: Lars Wittershagen, Dramaturgie: Holger Kuhla.
Mit: Till Wonka, Aleksandar Radenković, Kostis Kallivretakis, Frank Seppeler, Aram Tafreshian, Dejan Bućin, Sesede Terziyan.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause.
www.gorki.de
"Krachmacher-Theater in Großbuchstaben" hat Dirk Pilz für die Berliner Zeitung (8.6.2015) am Gorki Theater erlebt. Nach schönem Anfang finde der Abend "in der betont ruppigen Regie von Miloš Lolić" im Gehopse der Dionysos-Jünger seine Dramaturgie: "hier das Wilde, dort das Wort. Hier Rausch, dort Rationalität." Lolić habe die "Doppelbödigkeit" von Euripides gekappt. "Bei ihm bleibt alles rein vertikaler Streit, ohne Ahnung für jede horizontale Tragik."
"Chapeau!" sagt Christine Wahl vom Tagesspiegel (7.6.2015) zur körperlichen Leistung des Ensembles. "Texthuberei hingegen rangiert – kleine Grußadresse an die altphilologische Fraktion – an diesem Abend eher im unteren Drittel des Anforderungsprofils." Muttersprachlern erschließ sich "der Sinn der englischen Übertitelung im Maxim Gorki Theater: Unter dem Bassgewummer versteht man kein Wort. Soll man auch nicht."
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Diese Ebene liegt vor allem in Wonkas und Radenkovićs Spiel, Lolićs Regie deutet sie bestenfalls an. Viel wichtiger erscheint, das Auswalzen der Ursprungsidee, die Übersetzung des antiken Bakchenkults in den vermeintlich selbstvergessenen Hedonismus von heute, für den das Durchtanzen der Nächte auch kein besonders neues Bild ist. Da wird die kollektive Rhythmus-Extase zur enthemmten Orgie, auf die dann noch rosa Schleim regnet. Platz für Zwischenräume ist da wenig, für Euripides’ Geschichte auch nicht, vor allem die rastagelockte Sesede Terziyan als den eigenen Sohn im Wahn mordende Königsmutter ist ein eher ärgerlicher Fremdkörper, der allerdings dann wiederum ganz gut in den Abend passt, da der Auftritt so wunderbar auf äußerliche Effekte setzt wie das Mania in seiner Gesamtheit tut. Dass da noch mehr sein könnte und uns der Abend womöglich sogar etwas sagen könnte, schwindet schnell im auch den Zuschauer einlullenden Techno-Dauergewitter.
Komplette kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/06/07/ballonhund-im-techno-rausch/
Nach zwanzig Minuten greift Aleksandar Radenković durch: Soll das hier die ganze Zeit so weiter gehen? Was soll das Ganze? Einige im Publikum glucksen, da er ihnen offensichtlich aus der Seele gesprochen hat. Er verkörpert Pentheus, die Stimme der Vernunft. Die bestehende Ordnung ist durch seinen Gegenspieler Dionysos bedroht, den Gott des Weines, der Freude und der Ekstase, der alle Frauen in Theben auf seine Seite gezogen hat.
In den restlichen drei Vierteln der knapp 80 Minuten setzen die Techno-Beats immer wieder kurz aus: dann liefern sich die beiden Hauptdarsteller an der Bühnenrampe ein zähes, körperbetontes, homoerotisch wirkendes Ringen, das von Wortgefechten begleitet wird. Die Textverständlichkeit bessert sich jedoch nicht spürbar. Die anderen Mitglieder des Ensembles nutzen die verdiente Pause, um möglichst viel Wasser zu trinken oder es sich über den Kopf zu schütten.
Wie bei den Bakchen, dem antiken Drama des Euripides, von dem sich dieser Mania-Abend inspirieren ließ, mischt sich Pentheus heimlich und verkleidet in die nächste Orgie, die hier wieder als Rave daherkommt. Die Kollegen (außer Sesede Terziyan stehen nur Männer auf der Bühne) haben sich inzwischen Perücken aufgesetzt, bis auf enge, hautfarbene Kostüme ausgezogen und schütteln Arme, Köpfe und Beine ekstatisch. Es kommt, wie es kommen muss: Der Rave versinkt in Matsch und Schleim, eine glibbrige rosa Masse wird von der Bühnendecke ausgekippt und Pentheus von der eigenen Mutter, die ihn nicht erkannt hat, brutal ermordet.
Das Licht geht aus, die Beats verstummen, zurück bleibt nur das Blinken des Ballonhundes im Stil des Millionenpudels von Jeff Koons , der 2013 für mehr als 43 Mio. € versteigert wurde. Er wurde bei dieser Techno-Party am Gorki als Goldenes Kalb umtanzt. Die mittlerweile schweißgebadeten Schauspieler dürfen endlich durchatmen, die Rastalocken und Bärte von Glibber-Schleim verklebt, das Publikum reagiert bis auf eine enthusiastische Bravo-Ruferin eher verhalten.
Draußen hat es sich zum Glück um ein paar Grad abgekühlt und es ist auch ein leichter Windhauch zu spüren: Zeus konnte und wollte anscheinend nicht mehr mitansehen, was Regisseur Miloš Lolić und der für Sound und Musik zuständige Lars Wittershagen aus dem griechischen Drama gemacht haben. Zornig ließ er während der Vorstellung Blitze zucken und Donner grollen. Die Pfützen und der durcheinandergewirbelte Kies auf dem Vorplatz sind die sichtbaren Spuren seines olympischen Wutausbrauchs.
http://kulturblog.e-politik.de/archives/25218-mania-am-gorki-euripides-ertrinkt-in-techno-beats-schleim-und-schweiss.html