Stochern in der Datenwolke

von Tobias Prüwer

Leipzig, 11. Juni 2015. 60 Menschen, 60 Telefone, eine Videoleinwand und 90 Minuten. Das ist der Stoff aus dem "To like or not to like" ist. Als "Big-Data-Spiel", als "partizipatives Theaterspiel" wird die Produktion der Berliner Gruppe Interrobang angekündigt. Mitmachtheater muss man also schon mögen, um der Teilhabe-Inszenierung Vergnügen abgewinnen zu können.

Beim Eintreten wird jeder Zuschauer mit der Tablet-Kamera fotografiert und bekommt auf der Tribüne einen Sitz mit eigenem Telefonapparat zugewiesen. Auf einer Leinwand vorn werden die Porträts als herumwabernde Blasen projiziert. Erste Lacher von Menschen, die sich erkennen, erschallen. Dann soll man die Hörer abnehmen, der Telefonstimme lauschen. Sie stellt vielerlei Fragen zu jeweils wechselnden als Projektion gezeigten Porträts und Situationen. Man soll etwa schätzen, von wem man sich gern bekochen lassen würde, wer eine Einführung in die antike Philosophie vertragen könnte oder hinter wem sich der Kopf einer terroristischen Vereinigung versteckt. Das ist witzig schon allein deshalb, weil die meisten Fotos so unvorteilhaft wirken.

Glückskeksmoment – und aus

Beim vielen Ja/Nein-Tippen dämmert es rasch, dass diese Art Vorspiel der Datensammlung dient. Um die auszuwerten, braucht es einen Moment Zeit, weshalb dann jeweils zwei Gesprächspartner im Saal miteinander verbunden werden und gemeinsam über Freud und Leid der Digitalisierung plaudern sollen. Die Paare werden nochmals gemischt. Das Gespräch über das eigene Nutzerverhalten plätschert dahin, man will ja nicht unhöflich sein. Überall ist Gemurmel zu vernehmen. Das hat was von diesen Flirtbars mit Tischtelefonen, die im Zuge der Retrowelle wieder angesagt sein sollen; ist nur weniger peinlich, weil man hier ja an einem Kunstprojekt teilnimmt.

interrobang1 560 RolfArnold uDiagramm der Zuschauerdaten © Rolf Arnold

Dann kommt der als aufklärerischer Moment vorgesehene Mittelteil: Zwei Moderatoren illustrieren an Diagrammen die gesammelten Klicks, visualisieren Verknüpfungen der Gesprächspartner. Man lernt, welche Überraschung: Herr über die persönlichen Daten zu sein, ist nicht leicht. Zwischendurch stürzt das System ab, das gehört aber vielleicht auch zur Inszenierung. Schließlich soll man sich mit einem individualisierten Computerprogramm Delphi Fox – fürs Motto "Erkenne dich selbst!" wurde tief in die Kiste humanistischen Wissens gegriffen – übers Telefon austauschen. Allerlei Fragen werden gestellt, ein Persönlichkeitsprofil wird versucht, und schließlich wird einem ein Sprüchlein mit auf den Weg gegeben. Glückskeksmoment und aus.

Ausrufe-Fragezeichen

Interrobang bezeichnet im Englischen ein Symbol, das Ausrufe- und Fragezeichen miteinander kombiniert. Das trifft die Stimmung ganz gut, mit der man den Saal verlässt. Augenreiben, Kopfkratzen. Das interessante Ausgangssetting hat keine geringe Fallhöhe aufgebaut, der verfliegende Anfangswitz macht Platz für zähes Nichts. Der letzte Teil des Abends fühlt sich an wie Prokrastinationsspielchen im Internet: "Welche Farbe bist du?", "Welcher Fußballspieler entspricht deiner Persönlichkeit.", "Werden wir alle sterben?" So technisch aufwendig das Programmieren dieses Spiels sicherlich gewesen ist, so gering ist schlussendlich seine Wirkung. Natürlich kann man das possierliche Telefonmiteinander intellektuell aufblasen, hier würden Fragen einer narzisstischen Zeit verhandelt und dergleichen, wie es im Programmheft heißt. Aber dafür bleibt dieser Abend zu nett und harmlos, verpufft der Reiz und man hat Teil an einem lustlosen Herumstochern in der Datenwolke.

 

To Like or Not to Like
Ein Big-Data-Spiel von Interrobang
Von und mit: Till Müller-Klug, Lajos Talamonti, Nina Tecklenburg; Dramaturgie: Kaja Jakstat, Telefoninstallation und Datenbankprogrammierung: Georg Werner; Video, Sound und Programmierung: Florian Fischer, Bühnenbild und Kostüm: Sandra Fox, Musik: Joschka Eikel.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 


Kritikenrundschau

Einen "klug konstruierten und phasenweise hoch komischen Abend", dessen Spannungskurve allerdings verflache, hätten Interrobang geschaffen, schreibt Dimo Riess in der Leipziger Volkszeitung (13./14.6.2015). Das Spiel mit der Identifizierung von Meinungen im Publikum "mit einem Hauch Voyeurismus und dem Kitzel, nicht zu wissen, in welchem Szenario das eigene Gesicht auftaucht“, sei "lustig", auch wenn große "Aha-Effekte" ausblieben.

Die Theatermacher*innen von Interrobang geben "kein Statement ab und geben nicht vor, welche Einstellung man gegenüber Big Data einnehmen soll", berichtet Dora Midré für Radio Mephisto 97.6 (15.6.2015). "Die Teilnahme der Zuschauer ist rege, gerade am Anfang wird oft gelacht, auch, weil man etwas verlegen auf die Bewertungen, die anonym abgegeben werden, reagiert. So zeigt sich, wie oberflächlich diese Analysen der Persönlichkeit, durchgeführt durch andere Personen oder einen Computer, sein können und wie sie die Wahrheit verzerren und Klischees bekräftigen."

 

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