Die Tragödie Sarkozy

von Simone Kaempf

8. März 2008. Namen, die immer wieder fallen: Henri, Laurent, Pierre, Élodie. Auf der Hälfte des Buchs blättert man im angehängten Personenregister, um Redenschreiber, Stabschef und Berater auseinander zu halten. Am Ende des Buchs rücken sie in den Hintergrund – wie jeder Hofstaat. "Kätzchen, die um ihn herum spielen", schreibt Yasmina Reza einmal über die Entourage auf dem Rückflug von einem Wahlkampftermin. Dazwischen: Sarkozy.

"Er lacht nicht, er gähnt, er hört zerstreut zu oder auch nicht." Es ist der Tag, an dem die Umfrage-Ergebnisse voraussagen, dass Sarkozy klar vor Ségolène Royal und damit der Sieg in der Luft liegt. Die Fotografin Élodie Grégoire, die ihn schon seit zehn Jahren begleitet, macht ein Bild, wie er mit den Zahlenzetteln in der Hand einschläft. Als er aufwacht, sagt Reza: "Élodie und ich haben dasselbe Foto gemacht. Nur ich habe es mit Worten gemacht."

Der Horizont der Macht

Reza hält einem die Bilder in "Frühmorgens, abends oder nachts" tatsächlich sehr plastisch vor Augen. Denn sie beschreibt genau, und sie beschreibt viel: Sarkozy übertrieben strahlend auf einem Gartenfest zum 14. Juli, auf einem Abendessen, bei dem er den Rücken seiner blonden Tischnachbarin zu streicheln beginnt, am Rand des Berliner Holocaust-Mahnmals, ohne einen Schritt durch das Stelenfeld zu machen, oder bei einer Veranstaltung auf dem Land, wo die verängstigten Ziegen wegrennen, als er auftaucht. Beschreibungen wechseln sich ab mit Gesprächsfetzen und Reflexionen – auch über ihre eigene Rolle.

Der Dramaturg Michael Eberth sagt in seinem Text über Yasmina Reza, dass ihr Stück "Kunst" die Frage nach Verblendung und Wahrheit nicht ideologisch diskutiere. Ähnlich verhält es sich in "Frühmorgens, abends oder nachts". Reza schreibt über Politik, ohne ideologisch zu argumentieren.

In Sarkozys Nähe bemerkt sie, von politischer Dramaturgie keine Ahnung zu haben. Notiert Sätze seiner Berater, dass Macht wie der Horizont sei, der immer mehr verschwindet, je näher man kommt. Das Amt des Präsidenten begreift sie selbst ohnehin nicht als höchste Macht. "Ganz nach oben? Gibt es im Menschenleben einen Raum, den man ganz oben nennen kann? Wie desillusionierend, wenn es so wäre."

Die Abgründe der Politik

Es ist eine vorgeschobene Naivität, mit der sich Reza der Politik nähert, aber eine, mit deren Hilfe sie an die Abgründe vorstößt. Man weiß bereits aus der Vorberichterstattung, wie Sarkozy reagierte, als Reza ihm vorschlug, seinen Wahlkampf zu begleiten. "Selbst wenn Sie mich verreißen, wird es zu meinem Ruhm sein", so ließ er sich auf ihre Anfrage ein. Daraus spricht der Größenwahn, nicht abschätzen zu können, was es heißt, dass sie immer dabei ist.

Reza scheut sich nicht, Sarkozy mit den Figuren aus ihren Theaterstücken zu vergleichen. "Im Werden zu bleiben ist die Obsession all derer, denen ich einen Namen und eine Stimme gegeben habe." Ihn zu beobachten heißt für sie, jemanden beim "Wollen am Werk" zuzuschauen. Aber dennoch ist er viel mehr als nur ein Charakter in einem Theaterstück. Dieser Vorwurf, der bereits geäußert wurde, greift schon deshalb nicht, weil es eine Realität außerhalb des Buchs gibt.

Blinde Willkür

In einer Szene erlebt man, wie Sarkozy den "Figaro" nimmt und die Titelseite studiert, auf der ein Artikel über Ahmadinedschad steht, außerdem einige kleinere Meldungen, darunter eine zu seiner Wahlkampftournee, und unten rechts Werbung. "Nachdem er die Seite ein paar Sekunden lang aufmerksam betrachtet hat, sagt er: 'Schön, die Rolex.'" Wie blind er den echten politischen Aufgaben gegenüber wirklich ist, weiß man, seit er die Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern aus Libyen inszenierte und kurz darauf dem unberechenbaren Revolutionsführer Gaddafi Nukleartechnik lieferte. Willkürlich griff er in die Krise im Tschad ein, Absprachen mit der EU werden nicht mehr getroffen, die deutsch-französischen Beziehungen sind auf dem Nullpunkt. Das steht nicht in dem Buch, aber im Wochenrhythmus kann man es in den Zeitungen lesen. Reza liefert einen Einblick, den ihre privilegierte Beobachtersituation ermöglicht, und damit nur einen Puzzlestein zu einem Gesamtbild.

"Meine Notizen der letzten Tage. Lauter Wiederholungen. In meinem Büchlein zerfallen und verschwimmen die Tage, eine monotone Raserei, dabei wird hier doch Geschichte geschrieben. Die Tragödie kennt keine Orte. Und auch keine Zeiten, nur frühmorgens, abends oder nachts." Nach dieser Reza'schen Beobachtung soll ihr Buch als Tragödie verstanden werden. So liest man es nicht, formal ist es das auch nicht, aber inhaltlich schon.

Sarkozy wurde legitim gewählt, aber längst herrscht Enttäuschung, und man bangt nun, dass der Schaden begrenzt bleiben möge. "Wenn einer vom Podium abtritt, dann weil er krank, alt oder geschlagen ist. Also abgewirtschaftet", sagt einer der Berater. Nimmt man das beim Wort, dann gibt es in der Politik kein versöhnliches Ende, für niemanden.


Yasmina Reza
Frühmorgens, abends oder nachts.
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel.
Hanser Verlag 2008.
208 Seiten. 17,90 Euro

 

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