Presseschau vom 4. Juli 2015 – Eine Seite Drei über Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit in der Süddeutschen Zeitung
Eine Art neuer Schlingensief
Eine Art neuer Schlingensief
4. Juli 2015. In der Süddeutschen Zeitung (4.7.2015) schreibt Evelyn Roll, die schon eine Biographie über La Merkel die Alternativlose geschrieben hat, ein Portrait über Philipp Ruch, das Mastermind des "Zentrums für Politische Schönheit". Naturgemäß ist die Seite 3 der Süddeutschen, das Renommierstück des Blattes, ziemlich lang. Wir geben deshalb hier nur Blitzlichter.
Biographisches
Ruch stammt aus Dresden. Vom Weißen Hirsch, dem Villenviertel ob der Elbe. Vater Schweizer, Mutter Dresdnerin. Ausreise 1989 in die Schweiz. Damals erfährt er zum ersten Mal von der Existenz der Mauer. In Zürich sah er 2001 Christoph Schlingensiefs "Hamlet", den mit den echten Neonazis 2001. Später ging er aufs Land, nach Ostdeutschland zum Schreiben, hielt das Gequake der Frösche nicht aus, lief schreiend weg und schrieb sich bei Herfried Münkler an der Berliner Humboldt Universität für Politische Philosophie ein. "Menschenrechte als die letzte, verbliebene Utopie". Ruch kenne "alle Fakten, Philosophen und politischen Theorien, argumentiert klug und kann sich beängstigend genau in die Interessen und Denknotwendigkeiten seines Gegenübers einfühlen". Ein "Menschenfischer". "Auch eine Art neuer Schlingensief." Schreibt Roll.
Motivation
Philipp Ruch habe einen dreijährigen Sohn. Und er möchte nicht einmal von seinem Kind gefragt werden: "Ihr hattet doch jeden Tag all diese Bilder von Genozid, Krieg, Vertreibung, Flucht und Tod im Mittelmeer. Warum habt ihr das also sehr sicher gewusst – und trotzdem nichts getan?" Also gründete Ruch "mit seiner Frau und ein paar Freunden vor sieben Jahren das 'Zentrum für Politische Schönheit' (ZPS)". Die Aktionen sind erfolgreich. In jeder Hinsicht. "Die Toten kommen" liegt schon ein bißchen zurück, aber "auf unknownrefugees.tumblr.com sieht man, dass immer noch überall in Deutschland neue, symbolische Gräber gebaut werden".
Für die "Kindertransporthilfe des Bundes" hat das ZfpS die Webseite der Familienministerin Manuela Schwesig "gekapert". Als der Vermögensberater, der gesagt hatte: "Ich habe schon drei Kinder, aber ich nehme noch eins", erfuhr, dass es sich um eine Kunstaktion gehandelt habe – "ist er sofort Fördermitglied geworden".
Vorbilder
Peter Bergson, der 1943 ganze Anzeigenseiten in der New York Times kaufte und die Amerikaner über "die geplante Vernichtung von Millionen Juden aufklärte". "Die Anzeigen erschienen. Und es geschah nichts." Schreibt Roll, die nicht sicher ist, ob Aufklärung die Menschen zum entschiedenen und richtigen Handeln bringt. Außerdem Varian Fry, der Tausenden Nazi-Gegnern die Flucht aus dem Vichy-Frankreich ermöglichte. Eli Wiesel. Rupert Neudeck. Christian Schwarz-Schilling, der 1992 als Postminister zurücktrat aus "Protest gegen die gleichgültige Haltung seiner Bundesregierung im Bosnien-Krieg". – "Nie wieder Auschwitz, das hat der ernst genommen. Ich nehme das auch ernst. Für mich ist Bosnien die Folie für das 21. Jahrhundert."
Kritik
Natürlich sei der Mann größenwahnsinnig, scheibt Roll. "Ohne das würde es nicht gehen." Follower könne man bei ihm mit "Jünger" übersetzen. Abtrünnige kritisieren, dass sich beim Zentrum für Politische Schönheit alles nur um Ruch drehe. "Er braucht Steigbügelhalter. Früher war das eine Zusammenarbeit der Vielen. Sektenhaft ist das alles geworden."
So endet hier die anreißende Zusammenfassung. Der Text von Roll endet anders.
(jnm)
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Eine vor Ort Lebende, die von mir bereits mehrfach genannte Biljana Srbljanovic, schrieb dazu folgendes (Theater der Zeit, Mai 2004, Heft Nr. 5):
"Wäre auch nur einer von ihnen (den Zivilisten, I.) außerhalb eines Kampfes, gegen die Regeln der Genfer Konvention aber auch gegen die Grundregeln der Menschlichkeit getötet worden, wäre das ein Massaker. Diese Logik taugt jedoch nur für Pazifisten, nicht aber für die kriegerisch-militärische Maschinerei der NATO. Denn für sie und ihre medialen Helfer, die globalen TV-Sender, zählt ein Zivilist nicht, selbst zehn sind noch zu wenig - und so bot das Spiel mit den großen Zahlen den Grund für das Einschreiten. Während Menschen im Kosovo litten, übte und sammelte man Erfahrungen, die nur wenige Jahre später bei ernsthafteren militärisch-politischen Auftritten im Irak, einem strategisch weit wichtigeren Gebiet, nützlich werden sollten."
PEACE NOW!
Aber warum kommen die Flüchtlinge nicht auch mal zu Wort bei einer Ruch-Aktion? Warum gibt es so wenige Journalisten, die diese Selbstinszenierung kritisch hinterfragen?
(...)
@grrlll: Ja, das ist wohl leider zwangsläufig die Entwicklung momentan. Aber es ist auch eine intellektuele Bankrotterklärung, wenn die Autonomie nicht mehr zu den journalistischen Tugenden zählt. Das sehen wir wohl nicht nur im Feuilleton, sondern auch in der täglichen Berichterstattung über Griechenland, wenn sich deutsche Journalisten nicht mal für die Argumente der griechischen Seite interessieren.
Aber ich fand Peter Laudenbachs Einwurf zum Dokumentartheater in der SZ letztens eine interessanten Beitrag zur Debatte, der sich doch niveauvoll vom Tonfall eines Bernd Stegemann abhob: Was will es überhaupt das Dokumentartheater? Im Fall von ZfPS würde ich sagen, es dient der Selbstinszenierung (vielmehr einer Anti-Selbstinszenierung, vergleichbar mit der von Sido in seinen Masken-Jahren oder der Gesichtslosigkeit eines PeterLicht)
https://www.youtube.com/watch?v=uMvX_btLdt4