Wir sind so alt wie der Krieg

von Valeria Heintges

Zürich, 10. August 2015. Sie sind zwei von einer Million Tamilen, die nicht in Sri Lanka leben. Sie sind zwei von zwei Millionen 20- bis 40-Jährigen, die in der Schweiz leben. Sie sind zwei von rund 200 Menschen im Theaterbau Süd auf der Landiwiese in Zürich. Sie sind Gayathri Sritharan und Patrick B. Yogarajan, sie spielen sich selbst in "The Camouflage Project", einer dokumentarischen Theaterperformance der Basler Truppe Firma für Zwischenbereiche. Sie stehen als zwei von 50.000 Tamilen in der Schweiz auf der Bühne, sagen: "Wir sind so alt wie der Krieg" – und zeigen doch gleichzeitig, auf welch unterschiedlichen Standpunkten sie sich befinden.

Miss Integration, Miss-Stimmung

Gayatrhi Sritharan ist 22 Jahre alt und wurde in der Schweiz geboren. Seit sie ein Kind ist, tanzt sie Bharatanatyam, den klassischen Tanz des Heimatlandes ihrer Eltern. "Ich kann mit Messer und Gabel essen", sagt sie, "ich kann aber auch mit den Fingern essen." Sie wird gelobt für ihr gutes "Baseldütsch", dabei ist es die Sprache, die sie im Kindergarten gelernt hat. "Ich bin ein Vorbild für die Schweizer – und ich bin ein Vorbild für die Tamilen." Alles gut also, zur Belohnung wird sie zur "Miss Integration" gewählt – und die Miss-Stimmung, die die Sprache verbreitet, mag Gaya gar nicht hören.

CamouflageProject1 560 ZTS ChristianAltorfer uPatrick B. Yogarajan und Gayathri Sritharan © ZTS Christian Altorfer

Patrick B. Yogarajan ist fast 35 Jahre alt und wurde in Sri Lanka geboren. Als der katholische Junge aus der Kirche kam, gefiel ihm das Kampflied vom Bus der Tamil Tigers so, dass er mitmachen wollte. Im Alter von zehn Jahren kommt er nach Deutschland – und kämpft nicht nur mit den Erinnerungen seiner Kindheit, sondern auch mit einem Vater, der ihn stramm und streng erzieht. Und gar nichts davon hält, dass der Junge Schauspieler werden will.

Vater-Perspektive im Sarong

Yogarajan erzählt seine Erziehung aus der Sicht seines Vaters. Auf der schrägen, rosa Rampe, die Martina Ehleiter auf die ansonsten leere Bühne gebaut hat, zieht er sich dabei die europäisch anmutende braune Hose und das blau-weisse Hemd aus und bindet sich einen Sarong um die Hüften, die traditionelle Bekleidung der Männer Sri Lankas. Dieser Perspektivenwechsel ist eine der wenigen theatralischen Aktionen, mit denen die Firma für Zwischenbereiche und ihre Regisseurin Ute Sengebusch den dokumentarischen Abend zur theatralen Aufführung werden lassen. Während seiner Erzählung verlässt Yogarajan immer mehr die Sichtweise des Vaters, um auch erzählen zu können, warum er, der Sohn, Schauspieler werden wollte.

Solche Ungenauigkeiten hat der Abend zu viele, sie werden zu Löchern und lassen Lücken: Warum kommt der zehnjährige Patrick nach Deutschland? Was passierte ihm in Sri Lanka zwischen dem Alter von fünf und zehn Jahren? Warum zog er weiter in die Schweiz? Und Gaya: Warum tanzt sie tamilische Tänze, scheut sich aber, die Eltern nach dem Krieg zu fragen? Welches Verhältnis hat sie wirklich zur Heimat ihrer Eltern?

Der Abend beginnt mit Gedankenspielen und Perspektivwechseln, geht zügig voran, wenn sich Gaya vor der Videokamera schminkt, dann immer wieder tanzt und später auf der Vina spielt, einer Art Laute. Aber dann zerfällt er zusehends und hängt am Ende ein wenig schulmeisterlich durch. Mehr Mut hätte ihm sehr gut getan.

 

The Camouflage Project
Konzept: Ute Sengebusch und Jessica Huber, Regie: Ute Sengebusch, Recherche & Künstlerische Mitarbeit: Jessica Huber, Dramaturgie: Corinne Maier, Ausstattung: Martina Ehleiter, Video & Sound: Olivia Suter, Licht: Michael Studer, Produktionsleitung: Miriam Haltiner
Mit: Gayathri Sritharan und Patrick B. Yogarajan
Koproduktion von Theater Roxy Birsfelden, Theater Tuchlaube Aarau und Zürcher Theater Spektakel
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theaterspektakel.ch

 

Kritikenrundschau

"Das Verdienst der Inszenierung ist, Probleme mit Leichtigkeit aufzugreifen", schreibt Katja Baiger von der Neuen Zürcher Zeitung  (12. 8. 2015) . Allerdings komme dieses Stück Dokumentartheater über Tamilien in der Schweiz allzu schlicht und statisch daher. "Etwas mehr Tiefgang und Interaktion des Duos hätte jedoch nicht geschadet."

 

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