Rent a Queer!

von Georg Kasch

Berlin, 18. August 2015. Frauen, ja, klar, aber seien wir ehrlich: Mit Frauen allein kann man heute nichts mehr reißen. Gerade schrieb ein Kollege über das Zentrum für politische Schönheit (ZPS): "Die Aktivisten und die Aktivistinnen wirken insgesamt sehr smart, sehen gut aus und könnten genauso gut einem Prospekt der Sparkasse, der Jugendgruppe der Liberalen oder der Grünen entstammen. Sie wirken jedenfalls kein bisschen queer." 

Für einen CDU-Ortsverein mag es reichen: Mit ein, zwei Frauen hat man da schon ein modernes, weltzugewandtes Image weg. Aber im Dunstkreis des Theaters? Hallo? Hat das ZPS noch nie was von Streetcredibility gehört? Ein bisschen Randgruppen-Flair gehört da einfach zum guten Ton. Wo bleibt denn die vielbeschworene Kreativität der Aktionskünstler? Irgendwo wird doch noch ein queerer Mensch fürs Gruppenfoto aufzutreiben sein!

Die Quoten-Sieg-Strategie

Falls nicht: Ich kann helfen. Ich hab ja schon länger über ein zweites Standbein nachgedacht. Und so eine schnucklige Diversity-Agentur läuft bestimmt nebenbei: "Nie mehr Kummer mit der Quote: Rent a Queer!"

kolumne georgNatürlich muss man entsprechend kundensensibel sein. Dem ZPS beispielsweise würde ich nie eine Glamourdragqueen vermitteln, das ist eher was für angegraute Berufspolitiker, die ein bisschen Glanz brauchen für den Liveball- oder CSD-Besuch. Auch ein Durchschnittshomo wäre die falsche Wahl – wie soll da einer den Unterschied erkennen? Aber mit einer Polittrümmertunte, mit Marx in der Handtasche und Butler im Kopf, da könnte das ZPS was reißen.

Die Wiederauferstehung von Charleys Tante

Wobei das Problem mit der mangelnden Queerability nicht einzugrenzen ist auf einzelne Künstlergruppen. Das Theater hält sich ja traditionell für wahnsinnig liberal. Und natürlich käme ich nie auf die Idee, da irgendwem schwule Schauspieler, Regisseure oder Intendanten anzudrehen – Eulen nach Athen, eh klar. Aber wo sind die lesbischen Intendantinnen? Wo die Transgender-Pförtner? Die genderqueeren Dramaturgen? Sehen Sie? Da geht noch was. Gerade die Häuser, die gerne von der lässigen Aura des Berliner Gorki-Theaters profitieren würden, sich aber nicht trauen, ihren Abonnenten Schauspieler*innen mit Migrationshintergrund vorzusetzen, können sich so trotzdem ein fortschrittliches Image verpassen, ohne dass das dem Bildungsbürgernazi vor Ort gleich ins Gesicht springt.

Das geniale an meinem Geschäftsmodell: Selbst wenn alle Theater und Gruppen erfolgreich pinkwashed sind – unterrepräsentierte Randgruppen, auf die man ausweichen könnte, gibt's genug. Blöd wäre allerdings, wenn sich das Theater auf seine alte Stärke besänne: Verkleidung statt Authentizität, queer- statt straight-acting. Ein bisschen Rouge statt Kohle, für die Damen wahlweise eine Sinead-O'Conor-Gedächtnisglatze, alle zusammen perlmuttfarbene Fingernägel oder irgendein weich fallender Unisex-Look im Corporate-Identity-Design des Hauses, voilà: Charleys Tante des 21. Jahrhunderts. Und niemand meckert mehr über den Sparkassen-Appeal. Für den Fall, dass doch wer meckert, zum Beispiel wegen Pink-Facing, keine Sorge: Ähnliches hat das Theater schon zu ganz anderen Gelegenheiten erfolgreich ausgesessen.

 

gkportraitGeorg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" versucht er, jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt zu blicken.


In der letzten Kolumne "Queer Royal" ging es um das intimste Theaterereignis in Georg Kaschs Leben.

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