"Liste des Grauens"

Erfurt / Weimar, 20. August 2015. Die Theaterlandschaft in Thüringen soll neu strukturiert werden. Das berichtet Wolfgang Hirsch in der Thüringischen Landeszeitung. So solle das Deutsche Nationaltheater Weimar seine Opernsparte abwickeln, Eisenach die Landeskapelle auflösen, die Thüringen Philharmonie Gotha endgültig mit dem Orchester in Erfurt fusionieren. In Altenburg/Gera sollen die Theaterträger ein Drittel der Musikerstellen im Orchester abbauen. "Großer Gewinner in diesem Arrangement würde demnach die Stadt Erfurt: Das dortige Theater soll zur Staatsoper nominell aufgewertet werden und erhielte folglich deutlich mehr Geld aus der Landeskasse als bisher", so Hirsch, der in den Plänen eine "Liste des Grauens" sieht.

Die Neustrukturierungspläne des für die Kultur zuständigen Staatskanzleiministers Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) und seiner Staatssekretärin Babette Winter (SPD) sollten erst im September verkündet werden, waren aber jetzt schon durchgesickert. Ziel der Pläne sei es, "das Theaterland Thüringen für Jahre, Jahrzehnte fit" zu machen, sämtliche produzierende Standorte zu erhalten und die untertarifliche Bezahlung in einigen Thüringer Häusern abzuschaffen. Zugleich seien landesweit mehr Kooperationen vorgesehen, vor allem durch Gastbespielung und Koproduktion.

Die Theater und Orchester werden in Thüringen, das die weltweit höchste Dichte an Theatern aufweist, mit jährlich 65 Millionen Euro finanziert. Der Landes-Gesamthaushalt umfasst ein Volumen von 9,3 Milliarden Euro.

(TLZ / geka)

 

Kommentare  
Sparpläne Thüringen: frohe Botschaft
Die entlassenen und betriebsbedingt gekündigten, in die Erwerbsunfähidkeitsberentung drängenden Künstler aller Sparten werden frohgemut sein, dass dem verbleibenden Rest keine untertarifliche Bezahlung zugemutet wird.
Sparpläne Thüringen: Kopie Meck-Pomm
Das liest sich ja wie eine Kopie dessen, was in Mecklenburg - Vorpommern versucht wird - haargenau, bis zu den identischen, idiotischen Worthülsen und Phrasen.
Das wäre eine Schande für Thüringen, aber besonders für die Linke.
Sparpläne Thüringen: Entgegnung des Ministers
Entgegnung des Ministers im FREITAG unter: https://www.freitag.de/autoren/benjamin-immanuel-hoff/kein-lob-des-status-quo
Sparpläne Thüringen: Verluste auf allen Ebenen
Verluste auf allen Ebenen

1. Die Beträge, die das Land Thüringen für Kultur aufwendet sind im Vergleich zu anderen, nicht freiwilligen Positionen marginal. Die Einsparungen durch die vorgesehene Strukturreform sind es auch. Was zerstört wird, läßt sich zwar nicht kameralistisch gegen rechnen, aber die Kultursubstanz, ein Wert an sich, geht verloren, mit ihr Arbeitsplätze, mit ihr Attraktivitöt der Standorte und Touristen. Wir sprechen immer wieder davon, unseren Kindern alle Möglichkeiten für kulturelle Bildung zu eröffnen und kürzen diese in jeder Legislaturperiode ein.
2. Die viel zitierten Tariferhöhungen Werden den Verwaltungen des Landes und der Städte ohne mit der Wimper zu zucken gewährt, sie müßten eine Selbstverständlichkeit für die Mitarbeiter der Theater und Orchester sein, und keine Verhandlungsmasse. Es ist eine Unsitte, dass diese immer wieder zur Disposition gestellt werden.
Der Gedanke, über Personalabbau Einsparungen zu erzielen, ist kurzsichtig, da die Verträge der Mitarbeiter mit hohen Gehaltsgruppen (Verwaltung, Technik, Orchester) nicht oder nur verbunden mit hohen Abfindungen kündbar sind. Die Transaktionskosten werden über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren - nämlich dann, wenn die auch in den Theatern demografisch stärkste Gruppe der Babyboomer (geboren zwischen 1960 und 1970) in Rente geht - größer sein, als die Einsparungen.
3. Das "neue" Modell, das einem uralten, bereits von den CDU Vorgängern immer wieder aus der Schublade gezogenem ähnelt, zentralisiert beinahe ein Drittel der Theatermittel in Erfurt. Ein doch recht mittelmäßiges Opernhaus - seit 15 Jahren keine Nennung mehr in den Kritikerumfragen - wird aufmunitioniert, ein feudaler Prachtbau in der Landeshauptstadt wird gerechtfertigt. Es darf nicht zugunsten der Landeshauptstadt Kulturabbau in den Regionen stattfinden.
4. Jüngere kulturwirtschaftluche Untersuchungen haben ergeben, dass Kooperationen und Fusionen unter Theatern und Orchestern eben keine positiven ökonomische Effekte ergeben, weil immaterielle Kulturgüter nur schwierig zu exportieren oder zu übertragen sind. Man kann die Kultur eines Hauses wie Weimar nicht durch jene eines Hauses in Erfurt ersetzen. Die mißlungene Strukturreform der Theater in Mecklenburg Vorpommern, am grünen Tisch entwickelt, ist hier ein schlechtes Vorbild: die Reformen laufen unkoordiniert ab, die Kollateralschäden sind sehr hoch.
5. Die Ungleichheit zwischen den Mitarbeitern wird bei drei verschieden gestaffelten Tarifverträgen - niedrig dotierter Bühnenvertrag für Schauspieler, Sänger, Assistenten, öffentlicher Dienst-Vertrag für Verwaltung und Technik, Spezialtarifvertrag für Musiker mit Spitzengehältern, erst dann aufzuheben sein, wenn die Theater endlich Einheitstarifverträge bekommen. (So gehen junge Schauspieler und Assistenten, die nach zwei Jahren wieder gekündigt werden können mit 1.700 Brutto nach Hause, während ihre unkündbaren Kollegen im Orchester das bis zu Dreifache erhalten. Insbesondere die Künstlergagen müssten im Sinne einer Gerechtigkeit deutlich angehoben werden.)
6. Immer wieder werden die Mitarbeiter der Theater und Orchester und ihre Zuschauer bei den Diskussionen der neuen Theaterstrukturen vergessen. Der immer wieder avisierte Kreis von Ministern, Bürgermeister und Intendanten ist oft nur kurzfristig in der Verantwortung.
Sparpläne Thüringen: Orchester anders als Schauspiel + Chöre
Danke für die aufgelistete Sachlage, A. Cotard – ergänzend kann man den 2. und letzten Punkt Ihrer Ausführungen in den unguten politischen Zusammenhängen betrachten: eben weil es in den Orchestern, anders als im Schauspiel oder den Chören, eine gute tarifliche Sicherung bisher gab und die DOV eine relativ stark agierende Gewerkschaft ist, wird mit politischem Willen deren Arbeit sehr erfolgreich ausgehöhlt. Indem mit politischem Willen Situationen geschaffen werden, in denen BETRIEBSBEDINGTE Kündigungen ausgesprochen werden können. Da sind dann Klagen für höhere oder länger dauernde Abfindungen als Massenklage auch mit DOV-Beistand relativ gut abschmetterbar. Und die materiell zu tragenden Folgen sind in die sozialen Sicherungssysteme zurückverwiesen. Betriebsbedingte Kündigungen sind jedoch nur dann zu erreichen, WENN Standorte durch teure Neu-Bauten scheinbar so aufgewertet werden, dass sie durch künstlerische „Verbundssysteme“ bespielt werden. Die dann den ein oder anderen bisherigen Fest-Standort eines Orchesters und Mehrsparten-Theaters überflüssig machen. Im Zuge der Opernsparten-Abwicklung kann man sehr schnell zwei von drei in der Region wirksamen Chören abwickeln. Und mindestens eins von drei Orchestern, von denen dann eines ein „Staatsorchester“ bleiben darf und das andere in die reine GmbH-Gründung gezwungen wird. Die Auflösung der Sparten schwächen die regionalen Theater so sehr, dass in der Folge die Schauspielensembles leicht gänzlich in Frage gestellt werden können usw. Das wurde übrigens nicht in Mecklenburg-Vorpommern erfunden! Vorreiter für diese politische Entwicklung war einst das Land Brandenburg. Womit wir bei der kurzfristigen Verantwortung wären. Die ja eigentlich nur deshalb eine kurzfristige ist, weil die Medien, die uns die politischen Lagen schildern, relativ kurzfristig recherchieren und deshalb Verantwortung eher kurzfristig verorten… So hatte der gestaltungswillige ehemalige Kulturminister des Landes Brandenburg Hinrich Enderlein (FDP) den kreativen gestalterischen Willen, ausgerechnet das B-Orchester in Frankfurt/Oder zu einem „kulturellen Brückenkopf nach Polen“ umzugestalten. Vielleicht, weil es äußerst mühsam war, das inzwischen zur Brandenburgischen Philharmonie gewordene, aus dem ehemaligen DEFA-Sinfonieorchester nach der Privatisierung der DEFA und dem ehemaligen Orchester des Hans Otto Theaters (mit seinem breiten tatsächlichen Arbeitsspektrum Opern-, Bühnenmusik, Sinfoniekonzert in häufiger Abfolge, Kammeroper) fusionierten und dem neuen Babelsberger Filmorchester korrekt qualitativ beurteilend zu vermitteln. Die Lösung für die angestrengte Politik war gefunden, als eine kluge Frau auf die Idee kam, die beliebte Opernsparte des HOT abzuwickeln und dem modischen Trend nach nur noch die Barockoper in Sanssoucci von dort bespielen zu lassen. Der Chor war somit überflüssig und die Countertenöre konnte man international einkaufen. Da war das Sängerensemble und das fusionierte A-Orchester als Landesorchester auch nicht mehr nötig an das Theater fest gebunden zu arbeiten. Welch ein Gewinn!. Nun konnte also Frankfurt. Brückenkopf. Kulturell. Das war schwer zu argumentieren bei einer Brandenburgischen Philharmonie im Vergleich zu einem damals rein Städtischen Orchester. Weil aber in Potsdam Straßenbahnen fehlten und die Brandenburgische Philharmonie so viel Geld kostete, dass die Stadt sich partout keine Straßenbahnen kaufen konnte, wird jeder vernünftige Mensch einsehen können, dass Straßenbahnen wichtiger als ein Orchester sind. Und es wurde deshalb abgeschafft, so wahnsinnig leid es den Politkern wie z.B. Herrn Platzeck tat. (Forts. folgt)
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