Kolumne: Zeug & Stücke - Teresa Präauer über amerikanische Newbies in Iowa City
Beginn
von Teresa Präauer
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8. September 2015. Jetzt, wo es Herbst wird und die Theatersaison wieder beginnt, sitze ich in Iowa City und schreibe diese Kolumne. Es ist spät, und bis der Text abgeschickt werden kann, wird es hier Mitternacht geworden sein, und dort, in Berlin, im Zimmer der verantwortlichen Redakteurin, bereits sieben Uhr morgens. Sie wird ihren Computer einschalten, und ich werde meinen ausschalten.
Mit dem Herbst sind auch die Aufnahmeprüfungen an den Schauspielschulen und den Kunstakademien abgeschlossen, ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Ich erinnere mich daran, wie ich damals nach der Aufnahmeprüfung in die Malereiklasse wie paralysiert gewesen bin. Wie sollte alles beginnen, wenn ich mich doch nicht mehr bewegen kann? – Beweglich hält man sich am Campus einer amerikanischen Universität hingegen in einem der Recreation Centers, und das Beginnen wird einem schmackhaft gemacht auf den Veranstaltungen der Sororities und Fraternities, den amerikanischen Studentenverbindungen. Aufgefallen sind mir bei einem Spaziergang durch Iowa City die vielen jungen Frauen, aufgereiht vor einem Haus einer Schwesternschaft posierend, alle in sehr gleichaussehenden kurzen Kleidchen und sehr hohen Schuhen, während die älteren Jahrgänge Cheers und Chants von sich geben, um die Neuankömmlinge für ihr Haus zu begeistern. Wer schließlich in die Verbindung aufgenommen wird, entscheiden die älteren Jahrgänge, und, sofern man endlich Mitglied bei Delta Zeta oder Phi Kappa Psi geworden ist, wird in einer darauffolgenden Hell Week alles durchlebt, was Gott und Staat verboten haben.
"You don't wanna know", sagt eine MFA-Studentin aus dem Writers' Workshop, die ich zu den Spielen dieser Initialwoche befrage, "sexual stuff and so ...". Oh, I would like to know! – Als es die letzte große Flut hier in der Stadt gegeben hat, erzählt sie weiter, hat das Wasser angeblich die vordere Mauer des Hauses einer Sorority komplett weggerissen, der Rest ist stehen geblieben wie bei einer Guckkastenbühne. Von außen erscheinen diese Häuser so prächtig, aber nach der Flut habe man gesehen, dass die Studentinnen zu acht oder zu zehnt in ihren Zimmern schlafen, übereinandergestapelt beinah.
Und dann gäbe es hier ein Gesetz für die Finanzierung des Wiederaufbaus nach der Katastrophe: alles exakt so, wie es gewesen ist, keinerlei Veränderung sei gestattet. Zurück an den Anfang. – "When is your reading?" Erst im Oktober. Auf englisch, whereas my work is so very based on the tricks of the German language. Did I translate this properly? Ist das Leben eine Abfolge von Anfängen und Aufnahmeprüfungen, und wir ewige Newbies, wie Absolute Beginner, die singen: "Jede Nacht, jeden Tag auf der Erde ...", schlafen gehen, aufstehen? Alpha und Omega auf dem T-Shirt meiner Sorority. – Eine neue Spielzeit beginnt, guten Morgen!
Teresa Präauer ist Autorin und Zeichnerin in Wien. Sie erhielt 2012 für den Roman "Für den Herrscher aus Übersee" den aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt. Aktuell macht sie sich, mit ihrem Roman "Johnny und Jean" im Gepäck, auf den Weg nach Iowa. In ihrer Kolumne Zeug & Stücke spürt sie den Einzelteilen nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.
Zuletzt schrieb Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" über das Wir, Masken und Smartphone-Fotografie auf der Bühne, über Aussprache, Schauspieler-Memoiren, Cosplayers auf der Leipziger Buchmesse und funkelnden Glitzer-Staub im Theater.
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