Das schwarze Gold des Ruhrgebiets

von Regine Müller

Bochum, 12. September 2015. Als Willy Decker vor vier Jahren Richard Wagners "Tristan und Isolde" bei der Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle inszenierte, ließ er sich von Wolfgang Gussmann auf halber Höhe eine wuchtig breite Bühne bauen, und das Orchester mehr oder weniger darunter verschwinden. Damit ergab sich trotz der majestätischen Weite der Industriehalle, die für atemberaubende Ausblicke und Fernsichten weidlich genutzt wurde, eine klassischen Guckkasten-Bühnensituation, in der Wagners "wissendes Orchester" quasi unsichtbar blieb.

Dampfender, fauchender Motor

Johan Simons wählt nun bei "Das Rheingold" einen anderen Weg: Die Bühne der Jahrhunderthalle besetzt in voller Breite das mehr als 100 Musiker starke Orchester MusicAeterna – allein die sechs Harfen sind ein imposanter Anblick – während das Spiel um Gold, Macht und Liebe davor auf ebener Erde, dahinter auf erhöhtem Podest, auf dem alles umgebenden Baugerüst und auch gelegentlich zwischen den Musikern und auf der Publikumstribüne stattfindet.

Mit dieser Raumanordnung wird das Orchester selbst zum Akteur, zur treibenden Kraft und zum dampfenden, fauchenden Motor von Wagners Überwältigungs-Theater. Teodor Currentzis, der exzentrische Dirigent am Pult des Orchesters aus dem fernen Perm im Ural, weiß das zu nutzen, und lässt die Musiker an den Stellen, wo sich die Musik orgiastisch entfesselt, kurzerhand aufstehen, um den Klangwellen eine Tsunami-artige Gewalt zu verleihen.

Reingoldx 560 mMichaelKneffel Ruhrtriennale uHinten das Orchester, vorne die Rheintöchter mit Alberich © Michael Kneffel | Ruhrtriennale

Und als würde das noch nicht reichen, wird Wagner in der Bochumer Spielart noch ergänzt, beziehungsweise aufgebrochen durch elektronische Zutaten des finnischen Klangkünstlers Mika Vainio, dessen leise wummernde, dröhnende Sounds bereits vor Beginn durch das Foyer wabern. Nach Alberichs Fluch unterbrechen explosionsartige Geräusche Wagners durchkomponierte Partitur und in der Nibelheim-Szene setzt sich das komponierte Gehämmer im Orchester noch minutenlang in der ganzen Halle in einer Art martialischem Loop fort. Dieses für Wagnerianer sicher als Sakrileg begriffene Aufbrechen der Partitur ist nicht ohne Wirkung, aber eigentlich überflüssig, denn den eigentlichen Schock des Geräusch-Einbruchs beschert immer noch Wagner selbst.

Radikale Kapitalismus-Kritik

Johan Simons hatte im Vorfeld zu Protokoll gegeben, er habe Sorge, Wagner zu wenig entgegen setzen zu können und sich dem Sog der Musik kampflos auszuliefern. Diese Gefahr hat er sich mit in Bettina Pommers Setting eigentlich erst recht selbst eingebrockt. Aber er entgeht ihr doch und nutzt insbesondere die Szenen, die vor dem Orchester in intimer Nähe zur Publikumstribüne spielen zu hoch differenzierter Personenführung, die von der handverlesenen Schar seiner Sänger-Darsteller in höchster Intensität beglaubigt wird. Anders als bei seiner Pasolini-Adaption Accattone zum Auftakt der Ruhrtriennale, bei der die von Philippe Herreweghe so keusch musizierte Bach-Kantaten-Musik Pasolinis Nihilismus allzu fromm begütigte und mit der Welt versöhnte, zündet hier das räumliche Ineinander von Bühne und Musik.

Simons begreift den Wagner der "Rheingold"-Zeit als Barrikaden-Revolutionär, als Zeitgenossen von Marx’ "Kapital“ und Freund Bakunins und den Vorabend des "Ring" als radikale Kapitalismus-Kritik. Das Gold in den Tiefen des Rheins übersetzt Simons mit der Kohle des Ruhrgebiets und das unterirdische Nibelheim mit der Untertage-Arbeit in den Zechen.

Auf dem Boden vor dem Orchester steht eine zerborstene Stuckdecke auf dem Kopf, ein Kronleuchter ragt steif in die Höhe, Wasser und Geröll sind eingedrungen. In den Wasserlachen liegen zu Beginn, während des berühmten 136-taktigen Es-Dur-Vorspiels leicht bekleidete weibliche Körper, die sich aus der Entfernung nicht auf Anhieb als Puppen identifizieren lassen. Sie sind aber nur die Dummies der Rheintöchter, die zunächst neben dem Orchester konzertant agieren, bevor sie hinabsteigen in den Geröll-Matsch, der Alberichs Biotop ist und mit ihm ihr grausames Lock-Spiel treiben.

Rheingold 560 JU.Ruhrtriennale uWaten im  Zechengeröll   ©  JU | Ruhrtriennale

Dabei werden die Rheintöchter hier endlich einmal nicht als im Schnürkorsett stöckelnde Bordsteinschwalben gezeigt, sondern bleiben mit Gummistiefeln im schlichten blauen Gewand ziemlich hoch geschlossen. Leigh Melrose als Alberich lässt sich stattdessen mit den Gummi-Puppen hereinlegen, zeigt überhaupt den unseligen Nachtalb als geifernd und zappelnd Getriebenen, und schafft es doch, Wagners Schlüsselfigur nicht zu verheizen und in ihrer ganzen Vielschichtigkeit darzustellen.

Heimlicher Star: ein Mystiker ohne Taktstock

Die Götterwelt ist zeitlich im mittleren 20. Jahrhundert angesiedelt: Hoch über dem Orchester ist eine weiße, klassizistische Wand mit Türen aufgebaut, deren Schlüssellöcher offenbar einen verlockenden Einblick auf die Baustelle (?) von Walhall gestatten. Wotan trägt braunen Anzug (Kostüme: Teresa Vergho) und Kassenbrille, sein wehrhafter Speer ist ein goldener Kugelschreiber, der anscheinend auch als Injektions-Spritze taugt, wenn er Alberich den Ring wieder abjagt. Fricka trägt ein knappes Kostüm der 1940er Jahre, Freia abwechselnd Fetisch-Leder-Dessous und ein fließendes Gewand, Donner und Froh ähnlich neutrale Anzüge wie Feuergott Loge, die Riesen Fasolt und Fafner heutige Arbeitskleidung des Metallurgie-Gewerbes.

Für eine weitere Brechung sorgt der Schauspieler Stefan Hunstein, der als Sintolt der Hegeling und Diener allgegenwärtig ist und in der Nibelheim-Szene einen apokalyptischen, den Kapitalismus geißelnden Jelinek-Text herausschreit. Auch das ist eindrucksvoll, aber wiederum etwas überdeutlich.

Aus der Schar der Sänger-Darsteller ragt stimmlich Mika Kares' balsamisch markanter Wotan heraus, gefolgt von Leigh Melroses Alberich, der Wagners Diktum des von der Sprache gesteuerten Gesangs geradezu exemplarisch vorführt und in dieser Kunst dicht gefolgt ist von Peter Bronders schillerndem Loge. Jane Henschel hat als Erda einen Gala-Auftritt ohne jede gutturale Orgelei, die man sonst in dieser Partie zumeist erlebt. Der heimliche Star aber der Abends ist Teodor Currentzis, der Mystiker aus dem Ural, der ohne Taktstock auskommt und Wagner eine eigenwillige Terrassen-Dynamik einschreibt. Dass es dabei bisweilen etwas grob zugeht, ist vermutlich auch der nötigen Verstärkung zuzuschreiben, ohne die der Hallen-Akustik wohl nicht zu begegnen wäre.

 

Das Rheingold
von Richard Wagner
Regie: Johan Simons, Musikalische Leitung: Teodor Currentzis, Elektronische Musik: Mika Vainio, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Teresa Vergho, Licht, Wolfgang Göbel, Sounddesign; Will-Jan Pielage, Dramaturgie: Tobias Staab und Jan Vandenhouwe.
Mit: Mika Kares, Andrew Lee Foster-Williams, Rolf Romei, Peter Bronder, Leigh Melrose, Elmar Gilbertsson, Frank van Hove, Peter Lobert, Maria Riccarda Wesseling, Agneta Eigenholz, Jane Henschel, Anna Patalong, Dorottya Láng, Jurgita Adamonytė, Stefan Hunstein, MuciAeterna.
Dauer: 3 Stunden, keine Pause

www.ruhrtriennale.de

 

Auch Frank Castorf las Richard Wagners Das Rheingold 2014 in seinem Bayreuther Ring-Zyklus kapitalismuskritisch.

Kritikenrundschau

"'Rheingold' soll hier sozusagen revolutioniert werden, als Revolutionsoper, die sie war und als die man sie eigentlich immer gehört hat. Nackig gemacht von all dem Mythengeschwurbel, gegen das selbst Frank Castorf in Bayreuth am Ende machtlos war", schreibt . "Simons und Currentzis wollen tiefer hinunter in die Minenfelder des Stückes, zu den zeitlosen Urgründen". Ihr Fahrstuhl "ein letzter realistischer Vergleich sei erlaubt – ist die Partitur". Elektronische Variationen wummern "rund um die und in der Halle über das fast schon nicht mehr hörbare Contra-Es". Das würde auch konzertant funktionieren, bräuchte theoretisch gar kein Spiel. "Simons hat trotzdem eins entwickelt. Eine bürgerliche Götterpassion, sehr genau aus dem Text entwickelt. Ein gewissermaßen protestantisches Mysterienspiel."

"Wie bereits mit 'Accattone' hat es Regisseur und Festspielleiter Johan Simons darauf angelegt, Werk und Spielort engstens aufeinander zu beziehen", so Markus Schwering in der Frankfurter Rundschau (14.9.2015). Dass sich an Simons' Ideen auch Widersprüche rieben, tue "der Wucht" seiner Bilder keinen Abbruch. "Und die Musik ist vom Feinsten. Currentzis und seine Musiker agieren großartig, neben brachialen Attacken gibt es, bei meist kammermusikalischer Durchhörbarkeit des Klangs, viel instrumentalen Charme."

Man könne nicht sagen, ob die Sänger "idiomatisch schön und klar gesungen haben", aber "sie haben uns doch erfolgreich in den Sitz gedrückt, mit sportlichem Einsatz, mit Effekten", findet Eleonore Büning in der FAZ (14.9.2015). Simons habe sich einige Regie-Ideen aus Bayreuth geliehen, und "Currentzis ist kein Kapellmeister, sondern ein Musikdarsteller. Als solcher ist er genial." Er dirigiere zwar "dem Schlag hinterher", aber er tanze und tobe und treibe unermüdlich seine Truppe an. Fazit: "In Bochum wurde wieder der große Kübel mit politischem Wagner-Rezeptionsmüll ausgeleert. Mit diesem Ballast beschwert, klingt die Musik wie eine Überwältigungsdroge. Und alles, was man so weiß darüber und noch einmal gesagt haben will, etwa über den kapitalistischen Bombast, den Plüsch, die Heuchelei, das Maschinenzeitalter und die Tatsache, dass Geld zwar glücklich macht, aber nicht jeden, wurde nochmals gesagt. Das wissen wir nun. Das erleben wir jeden Tag. Dafür müssen wir nicht in die Oper gehen."

Michael Stallknecht in der Süddeutschen Zeitung (14.9.2015) findet, dass Teodor Currentzis und Johan Simons am "Rheingold" scheitern. Eine revolutionäre Deutung hätten sie versprochen, Alberich avanciere zum heimlichen Zentrum der Aufführung. "Das Orchester ist ins Bühnenbild integriert, die Götterburg Walhall ist eine Industriellenvilla. Doch bleibt das alles so harmlos und klassizistisch wie die gesamte Inszenierung. Sogar die Industrial-Klänge beschränken sich weitgehend auf ein undefiniertes Wummern zu einem knappen Text von Elfriede Jelinek, den der Schauspieler Stefan Hunstein zwischen dem zweiten und dem dritten Bild brüllen darf. Dafür verlieren sich die (mit Mikrofonen verstärkten) Sänger in dem übergroßen Raum." Fazit: "So bleibt am Ende allenfalls ein seltsam leerer Abend."

"Überwältigungstheater" sah Edda Breski im Westfälischen Anzeiger (14.9.2015). Currentzis wisse gut, was Klang bewirken kann. "Als beim Riesen-Thema Bläser und Schlagwerk den Klang von hinten aufzurollen drohen, lässt er Violinen und Bratschen aufstehen. Das Ergebnis raubt den Atem." Es falle auf, dass Simons sich kapitalismuskritisch gibt, aber eine nostalgische Ruhrgebiets-Ikonografie benutze: "unten die Malocher, oben die, die durch Kohle reich wurden. Sex und Gewalt sind Symbole. Migranten kommen nicht vor. Fazit: "Simons bleibt lieber bei seinem 'Sei umschlungen, Ruhrgebiet'-Motto, wissend, wie stark die Kohle-Nostalgie noch wirkt. Das ist nicht radikal, sondern Zucker für die Eingeborenen."

Intendant Johan Simons, klug genug, das ohne Anbiederung zu tun, verbindet die Mythenwelt des Rheingoldes mit dem Faszinosum Kohle – wie es diese Region vor 200 Jahren neu erfand. Da wundert es nicht, dass in drei großen Wasserbecken am Fuß des Bühnenbildes, Lüster und Stuckdecke Kopf stehen, gestrig brüchig, und dem gierigen Zwerg Alberich die schwarzen Brocken unter der Erde noch ein bisschen lieber sind als Gold. Links Alberich, rechts Urmutter Erda, mittig die Rheintöchter: ein sprechendes Triptychon aus Gier, Untergangswissen und Unschuld.

Während Simons die Götterszenen mal im Slapstick händelt, mal heftig symbolschwanger (Wotans Speer ist ein goldener Füller), mitunter auch etwas hilflos (Freias Lösegold-Szene), hat der Abend seine begeisternden Szenen tief unten. Wann sah man die Niederlage ei­nes Triumphs so rührend wie hier, da der Riese Fafner seinen Bruder erschlägt, und dann – den dicken Schatz in der Lederschürze kosend – doch zum traurigen, dicken Kind schrumpft?
Nicht einmal für Götter bessere Welten

Sieger gibt es in Simons Sicht ohnehin nicht. Er misstraut Wotans Worten über Walhall: „Vollendet das ewige Werk“. Nein, nicht einmal für Götter gibt es eine bessere Welt. Am Ende hämmern sie verzweifelt gegen die Türen ihrer eigenen Utopie: ergebnislos.

Es ist ein fast dreistündiger (keine Pause!), fein gearbeiteter, sinnlicher Opernabend. Johan Simons ergründet in Wagners märchenkostümierter Ökonomiekritik noch in der Unterdrückung klug das individuelle Leid. Allein die angekündigte „Kreation“ gerät fad, weniger wegen eines eingeschobenen Wut-Monologes, den Stefan Hunstein tapfer trompetet, als dank Mika Vainios Elektromusik. Die hustet kaum mehr als serielle Atmosphäre auf die Bühne. Mit so etwas „Das Rheingold“ zeitgenössisch zu stimulieren, gleicht dem Versuch, die Cheopspyramide mittels einer Diskokugel zu erhellen.
Gibt es bei der Triennale den ganzen „Ring“?

Man baut – bis auf die wundervolle, als greise Schaffnerin durchs Grauen irrlichternde Erda Jane Henschels (63!) – auf junge Sänger. Es gibt fabelhaft singende Rheintöchter; Mika Kares’ Wotan ist von strömenender Autorität, doch kein Charismatiker. Leigh Melroses spielt einen Alberich von extremer Glut. Wer fürchtete sich nicht vor einem Riesen wie Peter Lobert bei so pechschwarzem Bass? Am Pult der MusicAeterna tobt Teodor Currentzis mit Lust am Extremen wie ein Pyromane. Das elektrisiert die Ohren, birgt aber hörbar die Gefahr eines reinen Effektdirigats.

Fußtrampelnd, als könne es gar nicht abwarten, die Triennale zum Spielort des ganzen „Ring“ zu machen, jubelt das Publikum. Ob der clevere Johan Simons das einkalkuliert? Denn der „Ring“ hat vier Teile, eine Intendanz drei Jahre – bisher . . . Seinen Wagner hat der Niederländer ja gelesen: „Was du bist, bist du nur durch Verträge.“

Lars von der Gönna

Wagners „Rheingold“ bei Ruhrtriennale bejubelt | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/kultur/goetter-die-auf-kohle-stehen-id11085806.html#plx1333866223

"Intendant Johan Simons verbindet die Mythenwelt des Rheingoldes mit dem Faszinosum Kohle", schreibt Lars von der Gönna im WAZ-Portal derwesten.de (14.9.2015). Während er die Götterszenen mal im Slapstick händele, mal heftig symbolschwanger, mitunter auch etwas hilflos, "hat der Abend seine begeisternden Szenen tief unten. Wann sah man die Niederlage ei­nes Triumphs so rührend wie hier, da der Riese Fafner seinen Bruder erschlägt." Fazit: "Ein fein gearbeiteter, sinnlicher Opernabend."

Intendant Johan Simons, klug genug, das ohne Anbiederung zu tun, verbindet die Mythenwelt des Rheingoldes mit dem Faszinosum Kohle – wie es diese Region vor 200 Jahren neu erfand. Da wundert es nicht, dass in drei großen Wasserbecken am Fuß des Bühnenbildes, Lüster und Stuckdecke Kopf stehen, gestrig brüchig, und dem gierigen Zwerg Alberich die schwarzen Brocken unter der Erde noch ein bisschen lieber sind als Gold. Links Alberich, rechts Urmutter Erda, mittig die Rheintöchter: ein sprechendes Triptychon aus Gier, Untergangswissen und Unschuld.

Während Simons die Götterszenen mal im Slapstick händelt, mal heftig symbolschwanger (Wotans Speer ist ein goldener Füller), mitunter auch etwas hilflos (Freias Lösegold-Szene), hat der Abend seine begeisternden Szenen tief unten. Wann sah man die Niederlage ei­nes Triumphs so rührend wie hier, da der Riese Fafner seinen Bruder erschlägt, und dann – den dicken Schatz in der Lederschürze kosend – doch zum traurigen, dicken Kind schrumpft?
Nicht einmal für Götter bessere Welten

Sieger gibt es in Simons Sicht ohnehin nicht. Er misstraut Wotans Worten über Walhall: „Vollendet das ewige Werk“. Nein, nicht einmal für Götter gibt es eine bessere Welt. Am Ende hämmern sie verzweifelt gegen die Türen ihrer eigenen Utopie: ergebnislos.

Es ist ein fast dreistündiger (keine Pause!), fein gearbeiteter, sinnlicher Opernabend. Johan Simons ergründet in Wagners märchenkostümierter Ökonomiekritik noch in der Unterdrückung klug das individuelle Leid. Allein die angekündigte „Kreation“ gerät fad, weniger wegen eines eingeschobenen Wut-Monologes, den Stefan Hunstein tapfer trompetet, als dank Mika Vainios Elektromusik. Die hustet kaum mehr als serielle Atmosphäre auf die Bühne. Mit so etwas „Das Rheingold“ zeitgenössisch zu stimulieren, gleicht dem Versuch, die Cheopspyramide mittels einer Diskokugel zu erhellen.
Gibt es bei der Triennale den ganzen „Ring“?

Man baut – bis auf die wundervolle, als greise Schaffnerin durchs Grauen irrlichternde Erda Jane Henschels (63!) – auf junge Sänger. Es gibt fabelhaft singende Rheintöchter; Mika Kares’ Wotan ist von strömenender Autorität, doch kein Charismatiker. Leigh Melroses spielt einen Alberich von extremer Glut. Wer fürchtete sich nicht vor einem Riesen wie Peter Lobert bei so pechschwarzem Bass? Am Pult der MusicAeterna tobt Teodor Currentzis mit Lust am Extremen wie ein Pyromane. Das elektrisiert die Ohren, birgt aber hörbar die Gefahr eines reinen Effektdirigats.

Fußtrampelnd, als könne es gar nicht abwarten, die Triennale zum Spielort des ganzen „Ring“ zu machen, jubelt das Publikum. Ob der clevere Johan Simons das einkalkuliert? Denn der „Ring“ hat vier Teile, eine Intendanz drei Jahre – bisher . . . Seinen Wagner hat der Niederländer ja gelesen: „Was du bist, bist du nur durch Verträge.“

Lars von der Gönna

Wagners „Rheingold“ bei Ruhrtriennale bejubelt | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
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