Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben - Esther Slevogt über das Anspruchsgehabe des Theaters in apokalyptischen Verhältnissen
Ab in den Plüschsessel!
von Esther Slevogt
15. September 2015. Letzthin wurde von Leserinnen und Lesern ja immer mal wieder Unzufriedenheit mit dem Kolumnenwesen auf nachtkritik.de zum Ausdruck gebracht. Mangelhafter, krampfhafter Humor wurde uns vorgeworfen, laue politische Milchmädchenrechnungen, und überhaupt: dass wir zu viel Senf zu vielen Themen dazugeben würden, von denen wir keine Ahnung hätten. Ja, wir geben es zu, wir sind nur eine Theaterseite. Aber der aktuelle Zustand dieser Welt kann einen schon ziemlich wuschig machen. Da reißt es uns eben doch gelegentlich aus dem Plüschsessel heraus. Man will sich einmischen. Irgendwie raus aus der Blase. Theater, päh! Wer kann in diesen Zeiten noch einfach ins Theater gehen?
Theatersputniks und Tribunale
Die Künstler, ja die Theater selber sind schließlich auch schon ganz wuschig. Operieren nicht erst neuerdings auf Geländen, die einstmals fest definierte Felder von Kirche, Politik oder Justiz gewesen sind. Die einen werden in diesen unheimlichen Zeiten zu Religionssuchern und schicken Theatersputniks in den leeren Himmel, in dem heutzutage nur noch lauter Dschihadisten jeglicher Couleur hausen. "Ist da noch wer?" ruft es, also das Theater. Und die Zuschauer krähen freundlich zurück: "Ja, wir! Wir sind da noch. Und du Theater, wo bist du?"
Die nächsten veranstalten Tribunale und tendieren dabei zu vergessen, dass sie ja nur Theater sind. So viel Ohnmacht vor den apokalyptischen Verhältnissen unserer Tage, dass ein einzelner Theatermacher in einem Akt theatralischer Selbstjustiz zum Rächer wird. Bloß, die apokalyptischen Verhältnisse bleiben davon völlig unbeeindruckt. Was das ganze selbstermächtigte und aufgeplusterte Anspruchsgehabe solcher Veranstaltungen dann ziemlich albern da stehen lässt. Ja, die gute alte moralische Anstalt ist in Gefahr, zum politischen Schönheitssalon zu verkommen.
Was kommt als nächstes?
Dabei ist die theatralische Kosmetikbehandlung zum Beispiel des Zentrums für Politische Schönheit durch besonders rabiate Behandlungs- und Peelingmethoden aufgefallen. Und zieht damit speziell jenes Klientel in seinen Bann, das auf rabiate wie verkürzte Perspektiven und Argumente steht. Mit calvinistischem Furor wurde beispielsweise zum öffentlichen Ausheben von symbolischen Flüchtlingsgräbern angestiftet. Zuletzt hat das Zentrum zur Tötung eines Schweizer Journalisten aufgerufen, den auch Tribunalveranstalter Milo Rau in seinen Zürcher Prozessen schon mal auf dem Kieker hatte. Ganz abgesehen davon, dass dieser Aufruf ein höchst billiges und dummes Schlingensief-Plagiat ist.
Ja mei, ist der Ausrottungswahn des IS denn ansteckend? Gäbe es denn nichts Wichtigeres zu tun, zum Beispiel der brutalisierten Zeit mit entbrutalisiertem Gestus gegenüberzutreten? Und vor allem: Was kommt als nächstes? Werden die neuen Kammerspiele in München nun vielleicht bald das Zentrum für politische, äh, Schönheit einladen, das Grab von Franz Josef Strauß zu schänden? Das ist doch das Niveau, auf das unsere rabiaten Zeiten das Theater herunterzubrechen droht. Da wird der Plüschsessel ja fast schon zum Mahnmal und Memento einer untergehenden Zivilisation, kann der simple Besuch einer Theaterveranstaltung zu einem Akt von zivilem Ungehorsam werden.
Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Zuletzt schrieb Esther Slevogt in ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben anlässlich der netzpolitik.org-Affäre über den Unterschied von Staats- und Dienstgeheimnissen.
Nej, nej, nej.
Ganz toll! Ein Esther-Slevogt-Bashing unter dem Decknamen eines nachtkritik-Kommentars, dass den Anspruch erhebt, "sich [bloß keine] Gedanken über künstlerische Reaktionen auf eine brutalisierte Zeit" zu machen. Wozu denn die Fragezeichen? - Ach, man soll all den rhetorischen Fragen auf den Leim gehen und ihrer polemischen ZPS-Verteidigung folgen? Dann hätte ja auch ein moralisches "Denkt doch mal an die Flüchtlinge" genügt. Dass Menschen mit vereinfachender Weltsicht das ZPS mögen, ist schließlich hinlänglich bekannt. Aber gut?!?!????!
@Ulf Dengler
Wenn ein Tötungsaufruf gegen Sie in der Zeitung auftaucht, dann können Sie sich ja nochmal überlegen, wie qualitativ herrausragend und intelligent das ist. Ach was, überlegen Sie sich das doch jetzt schon.
Schreibt mehr, denkt mehr, wir brauchen mehr Material, mehr Stoffe.