Die Präsidentinnen – David Bösch zeigt Werner Schwabs böses Putzfrauenstück im Wiener Akademietheater
Komödiensägenmassaker
von Martin Pesl
Wien, 3. Oktober 2015. Zunächst mal Stirnrunzeln: Schon wieder eine David-Bösch-Premiere? Gerade vor einer Woche war doch noch von Prinz Friedrich von Homburg in München zu lesen. Gut, es gibt so etwas wie Vorproben, und Bösch wird seine Wiener Inszenierung von Werner Schwabs "Die Präsidentinnen" wohl kaum in sechs Tagen gestemmt haben.
Moll-Lesart der Welt
Obwohl, wenn man den Abend dann gesehen hat, ist man schon geneigt, dem vielbeschäftigten Bösch ein gewisses Kalkül zu unterstellen: Ein moderner Klassiker, in dem von punktuellen Gewaltausbrüchen abgesehen eigentlich nur gesprochen und nicht gehandelt wird – "Die Sprache, die die Präsidentinnen erzeugen, sind sie selber", hat Autor Werner Schwab notiert –, dazu drei brillante Schauspielerinnen: Wie viel Aufwand kann das noch sein?
So ist als Inszenierungshandschrift tatsächlich nur die Ausstattung übriggeblieben. Die stammt von Böschs Stammbühnenbildner Patrick Bannwart und spiegelt konsequent die von diesem Leading Team bekannte Moll-Lesart der Welt wider: Die Bühne des Akademietheaters ist zu einem Quadrat verkleinert. Es beherbergt eine Putzfrauenwohnung, die an der professionellen Kompetenz ihrer Bewohnerin zweifeln lässt. Die Wände laborieren an Wasserflecken und Geschmiere: "MOTHER" steht da, offenbar ein Werk des alkoholkranken und enkelproduktionsunwilligen Sohnes, aber auch "SÜNDER", denn Mutter Erna ist eine brave Katholikin und sparsam. Das Klo (der Abort, wie Schwab ihn gerne nennt) hat keinen eigenen Raum, armselige Bildchen, eines davon den österreichischen Bundespräsidenten Waldheim zeigend, denn das Stück wurde 1990 uraufgeführt, machen den Raum kaum wohnlicher.
Immerhin hat sich Erna jetzt einen Farbfernseher geleistet und eine Pelzhaube im Müll gefunden und feiert das mit ihren Kolleginnen, der mit Ringen und Ketten behangenen, sich hofratswitwenhaft gebenden Grete und der kindlich naiven, bei Stefanie Dvorak geistig und auch körperlich in einer lieblichen Religionsunterrichtsdoktrin steckengebliebenen Mariedl. Während im ersten Akt die beiden älteren Damen das Leid klagen, das ihre Kinder ihnen verursachen, spinnen sich im zweiten alle drei gemeinsam, eigentlich aber jede für sich ihre eigene Fantasie zusammen, die auf einem Volksfest angesiedelt ist.
Momente gespenstischer Gewaltbereitschaft
Den Schauspielerinnen dabei zuzuschauen und zuzuhören ist ein reiner Genuss: Da ist Regina Fritschs salbungsvolles Roll-R, die angespannte Freude ihrer Erna, wenn sie sich die Vorstellung gönnt, mit dem keuschen Verehrer – dem Wurstverkäufer Karl Wotila, der fast so heißt wie der damalige Papst – zur Feier des Heiratsantrags noch ein hartes Ei dazuzubestellen, durchsetzt von Momenten gespenstischer Gewaltbereitschaft. Da ist Barbara Petritsch als Grete, "schon immer eine Lustige", wie Erna gehässig anmerkt. Ihren Zukünftigen erträumt sie sich als einen Tubaspieler, der ihr den Zeigefinger in den Hintern steckt, und sich das auszumalen raubt ihr vor Lust fast den Atem. In anderen Darstellungen geriete das schnell zur Schmiere, zum peinlichen Bruhaha, und man kann nur immer wieder staunen, dass das bei diesen Burgschauspielerinnen keineswegs der Fall ist.
Stefanie Dvoraks Mariedl entwickelt sich im Laufe des imaginierten Festes von der geschundenen, aber frohsinnigen Kindfrau in kurzen Hosen – die klassische Bösch-Rolle, die er an der Burg sonst meist mit Sarah Viktoria Frick besetzt, steht ihr hervorragend – zu einer Art Self-Made-Anti-Jeanne-d'Arc. Zunächst noch wähnt sie sich von allen dafür geliebt, dass sie bereit ist, verstopfte Toiletten auch ohne Gummihandschuhe zu reinigen, aber am Ende geht ihr der Knopf auf: Sie funktioniert die ringförmige Deckenleuchte, die darauf schon den ganzen Abend gewartet hat, zum Heiligenschein um und macht die sorgsam aufgebauten Illusionen der Erna und der Grete kaputt. Zum Dank machen die dann die Mariedl kaputt, ganz physisch und blutig, mit Elektromessern, zu einem eingespielten "Ave Mariedl"-Choral.
"Die Präsidentinnen" waren, wie Schwabs andere Fäkaliendramen auch, als provokanter Trash angelegt. 21 Jahre nach seinem Tod scheinen sie – ähnlich erstaunlich wie etwa die Dramen Thomas Bernhards – im vergnüglichen Komödienfach angekommen zu sein, wo die Schauspielerinnen lustvoll Pointen setzen und natürlich auch "Scheiße" sagen dürfen, weil es ja auch um Scheiße geht. Hier sorgen sie für einen alles andere als enttäuschenden, wenn auch erwartbaren Abend. David Böschs Kalkulation, sollte er sie wirklich angestellt haben, ist aufgegangen.
Die Präsidentinnen
von Werner Schwab
Regie: David Bösch, Bühne und Kostüme: Patrick Bannwart, Musik: Bernhard Moshammer, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Andreas Erdmann.
Mit: Stefanie Dvorak, Regina Fritsch, Barbara Petritsch
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
Im Wiener Standard (5.10.2015) schreibt Ronald Pohl: "Längere Zeit" bleibe "unklar, was Regisseur David Bösch zur Exhumierung des Gruseldramas bewogen" habe. Doch nach moderatem ersten Teil, nähme der Abend im zweiten "mächtig Fahrt auf". Man glaube sich in "das Ensemble-Spiel einer Jazz-Combo versetzt". Grete (Petritsch) wäre das Baritonsaxofon. Erna (Fritsch) ähnele dem Tenorsaxofon. Mariedl (Dvorak) aber sei die Klarinette. "In immer verzückteren Kadenzen schraubt sie sich dem Himmelreich auf Erden entgegen." Man habe Stefanie Dvorak noch nie "so bezwingend" gesehen, so "lind und leicht, mit rotgeränderten Augen überschnappend".
In der Wiener Presse (auf der Website am 4.10.2015) schreibt Norbert Mayer: Allein die Ausstattung dieser "prächtigen Inszenierung von David Bösch" sei ein "Kunstwerk". Die Regie halte sich "mit Mätzchen klug zurück". Das lasse "Bilder und die Sprache" umso stärker wirken. Nach einem "verhaltenen, noch suchenden Beginn" entwickele sich der Abend "furios". Dvorak entwickele ihre Rolle "einmalig". Das "Komödiantische" diene hier zur "subtilen Vorbereitung einer wirklich traurigen Geschichte". "Langer, starker Applaus."
"Bösch legt den klassischen Aufbau eines echten Königinnendramas frei", schreibt Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (8.10.2015). Die "Präsidentinnen" seien Ersatzmonarchinnen, "wirken grotesk im eingebildeten Dulderinnentum nach dem Bilderbuchvorbild der Kaiserin Zita", so Bahners: "Ihre schäbige Existenz spielt sich so tief unten ab, dass weiterer Fall nicht mehr vorstellbar scheint." Aber das täusche. Denn wenn beispielsweise Stefanie Dvorak als Klofräulein Mariedl "demonstriert, wie sie mit beherztem Griff in die Röhre die verstockteste Verstopfung beseitigt, macht sie ihren Arm so lang, als könnte sie eine eingepflanzte Prothese ausfahren, und stößt ihn ins Bodenlose." Hier und in noch anderen Momenten wirke "das Spektakel der heroischen Selbstbefleckung" (…) "auf unsere Drüsen, und uns überkommt eine Rührung, die kein ganz reines Gefühl sein kann."
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Stattdessen reduzieren sich die Damen Fritzsch, Petritsch, Dvorak sparsam aufs wesentlich Nötige, unbedingt gleichberechtigt im verlogenen Miteinander. Sie vertrauen uneitel den Worten. Verteidigen liebevoll einfach uneitel die Figuren, die Situation.
X sagt: Das alte Theater. Y sagt: Das andere Theater. Ich sage:
Die drei ziehen mich mit ihrem Zauber in den Bann ihrer Lebenslügenrealitäten.
Will sagen, einer kauft sich ne Karte, einer geht hoch, macht was vor, und alle fallen darauf rein.
Frau Fritsch,Frau Petritsch,Frau Dvorak,Herr Bösch -, ich verneige mich.