Die wackelige Mitte der Asymmetrien

von Janis El-Bira

Berlin, Oktober 2015. "Also ich bin Zahnarzt", sagt Pouya. Der aus Afghanistan stammende Mann sitzt am Samstagnachmittag zusammen mit anderen in einem Raum der Berliner Universität der Künste auf dem Boden inmitten eines Stuhlkreises. "Nein, ich war Zahnarzt. Jetzt natürlich nicht mehr." Mit den meisten der Menschen neben ihm teilt er die beschämende Existenz in der Schwebe zwischen "nicht mehr" und "noch nicht".

Flüchtlingsdebatte und Fremdheitskonstruktionen

Shakib Pouya aus Herat, Afghanistan, engagiert sich im Augsburger Grandhotel Cosmopolis

Es sind großenteils Geflüchtete, die sich im Berliner Refugee Club Impulse oder, wie Pouya, im Augsburger Grandhotel Cosmopolis engagieren. So lange sie in Deutschland bloß Nummern in "unabgeschlossenen Verfahren" sind, machen diese Ärzte und Ingenieure im Land ihrer Zuflucht eben Kunst und Theater. Pouya übersetzt außerdem für andere Geflüchtete in sechs verschiedene Sprachen, darunter längst auch Deutsch. Dass diesem Mann trotzdem etliche Hürden auf dem Weg zu einer geregelten Tätigkeit errichtet werden, erscheint wie ein himmelschreiender Skandal.

Aber es gibt noch einen anderen, leiseren Skandal. Er liegt darin, dass wir alle als nachhaltigen Stimulus der Helferreflexe unserer "Willkommenskultur" offenbar Fallbeispiele wie dieses brauchen. Irgendwo, tief vergraben, sitzt das nicht totzukriegende Wundern darüber, dass es im nur von langbärtigen Gotteskriegern bevölkerten Afghanistan einen Mann geben soll, der Zahnarzt ist, sich für Theater begeistert und sechs Sprachen spricht. Einer wie "wir", sozusagen, kann und soll doch hier arbeiten! Wie hochgetürmt eine Fremdheitskonstruktion gewesen sein muss, zeigt sich auch im Maß der Erleichterung, wenn sie in sich zusammenfällt. Deshalb muss auch und gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise über Rassismus gesprochen werden. Nicht bloß über jenen, der sich in brennenden Wohnheimen seine hässlichste Fratze gibt, sondern auch über seine stillere Form, tagtäglich manifestiert in unseren Verwaltungen, auf unseren Bühnen und in unseren Köpfen.

willkommenskultur 560 ChristianSchnettelker flickd.comCC2.0 ujpgFallbeispiele als Empathiehilfe © Christian Schnettelke / flickr.com CC 2.0

Emotional besetzte Themenfelder

In Berlin haben sich an diesem Wochenende drei nicht organisatorisch, aber thematisch verwandte Veranstaltungen dieses Themas vor allem mit Blick auf den Kulturbetrieb angenommen. Am Freitagabend war damit auf dem Branchentreff der Freien Darstellenden Künste im Aufbauhaus unter der Frage "'Einwanderungsland' als Aufgabe der Kultur" begonnen worden. Der ungeschriebenen Dramaturgie des Wochenendes tat es gut, dass am Anfang ein Vortrag der empirisch forschenden Politologin Naika Foroutan stand, und dass somit Zahlen genannt und Begrifflichkeiten geklärt wurden, ehe das hochemotional besetzte Themenfeld nach und nach seine Kräfte entfesseln durfte.

Foroutan geht es um das politisch-soziale Narrativ vom "Einwanderungsland" und um die "kritische Masse" jener 40 Prozent der deutschen Bevölkerung, die den Status quo in der Flüchtlingspolitik insgesamt für "in Ordnung" hält, und deshalb potentiell sowohl durch die "besorgten Bürger" wie durch die große Welle an Solidarität emotional einnehmbar bleibt. Und sie fragt, wie eigentlich die Selbstbeschreibung jenes "Wir" lautet, das in Statistiken um seine Meinung gebeten wird: "Wir", das sind natürlich "wir Deutschen" oder "die deutsche Kultur", nicht aber etwa "wir Nicht-Muslime" oder gar "wir Christen". "Wir" sind noch immer vor allem "nicht die Anderen", auf die so ziemlich alles externalisiert wird, was man bei sich selbst nicht haben will.

Autonomes Empowerment

Flucht Symbolbild 280 S Hofschlaeger pixelio.deBraucht es mehr Bilder von Vätern mit Kindern auf dem Arm? © S. Hofschläger / pixelio.deEs ist das Moment der Selbstkonstruktion in Abgrenzung vom Fremden, von dem Foroutan meint, es müsse mit den gleichen emotionalen Impulsen im Positiven gefüttert werden, von denen es auch im Negativen zehrt: Deshalb brauche es in den Medien und auf den Bühnen mehr Bilder muslimischer Väter, die mit ihren Kindern im Arm auf der Flucht sind, um mit gängigen Vorurteilen über den "muslimischen Mann" aufzuräumen. Das ist gut und richtig. Die dahinter steckende Verzweiflung ist allerdings kaum zu übersehen. Sie sagt, dass gefühlig erreicht werden muss, was als Projekt der Vernunft längst aufgegeben scheint. Wieder benötigt es erst einen "Die sind ja doch wie wir!"-Augenblick, damit "wir" uns erbarmen.

Die Mitte des Wochenendes, die Konferenz "Vernetzt euch!" der losen aktivistischen "Mind the Trap"-Gruppe, die 2014 aufmerksamkeitswirksam eine Fachtagung am Deutschen Theater crashte, tritt dagegen mit dem Vorsatz an, auch derlei positiver Stereotypenbildung mit den harten Zangen der Aufklärung den Zahn zu ziehen. Die Veranstaltung über "Strategien für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene" in der Universität der Künste versammelt vor allem jene, die mindestens knietief in den Diskursen um gender equality und die (fehlende) Repräsentation von Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund und people of colour stehen.

In Sachen Expertise schien man hier weitgehend unter sich zu sein und wie am ganzen Wochenende war frappierend zu sehen, dass die Diskussion offenbar das fast völlige Desinteresse der Generation "Ü45" erntet. Dass "Vernetzt euch!" deshalb weitgehend eine an Kontroversen arme Kuschelkiste war, ändert nichts daran, dass hier die richtigen Impulse gesetzt wurden. Im Zentrum standen dabei der Prozess des autonomen Empowerment und der sich in der Mehrheitsgesellschaft nur sehr langsam vollziehende Schritt vom Mitleiden über die Solidarität hin zur reziprok verantwortungsbewussten Normalität.

Sichtbarkeit behaupten

Dass es etwa immer Geld für "Integrationsprojekte" gebe, die "sonstige" künstlerische Arbeit von people of colour aber ungesehen an den Fördertöpfen vorbeizöge, wie Joshua Kwesi Aikins und Daniel Gyamerah herausstellten, ist das institutionelle Echo dessen, was Ahmed Shah vom Refugee Club Impulse zuvor in einem Workshop verdeutlich hatte: "Du bist nur so lange geduldet, wie du ein netter Ausländer bist." Wer Forderungen stellt, die sich über diesen Status des geduldeten Gastseins erheben, fällt in Deutschland nicht nur auf, sondern leider auch zwischen alle Stühle. Gerade deshalb gilt es, Räume und Infrastrukturen zu beanspruchen und Sichtbarkeit "from within" zu behaupten.

Wer nun dachte, dass bei so viel produktiver Sachlichkeit in ausgerechnet diesem verminten Terrain doch irgendwas nicht stimmen kann, wurde am Montagabend im Ballhaus Naunynstraße bestätigt. Dabei war hier alles bestens angerichtet. Unter der Frage "Wie geht es weiter?" war eine Panel-Diskussion über "(Un)sichtbarkeiten im Theater" angesetzt worden und genau das Publikum erschienen, das alle gerne hätten, und kaum jemand bekommt: unverschämt jung, beispiellos divers und offenkundig gebildet. Das "Problem" war hier der Mut, das Panel auch mit zwei Personen zu besetzen, die vom stets involvierten Auditorium schnell als Repräsentanten eines weißen, bürgerlichen Establishments ausgemacht wurden. Es waren die Kritikerin und Theatertreffen-Jurorin Barbara Burckhardt und Helge Rehders von der Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten. Vor allem Burckhardt hatte hier als glühende Verteidigerin von Nicolas Stemanns an diesem Ort sehr ungeliebter (und meist wohl ungesehener) "Schutzbefohlenen"-Inszenierung einen schweren Stand.

Bei der Pressekonferenz zur Theatertreffen-Auswahl am 4. Februar 2015 spricht Jurorin Barbara Burckhardt über "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek in der Regie von Nicolas Stemann.
Video: Berliner Festspiele / Youtube

Aggressionsgeladene Rekapitulation

Nach einem performativ an- und dahingehauchten Vortrag von Grada Kilomba über Narziss' Liebe zu seinem Spiegelbild als Symbol einer allein um die "reproduction of its own image" bemühten "whiteness", flogen so richtig die Fetzen, als die leider sehr wenig um Moderation bemühte Gesprächsleiterin Onur Suzan Nobrega das Stichwort "Blackfacing" ins Spiel brachte. Dabei konnten Burckhardt und Rehders Bedenkenswertes sagen, so viel sie wollten, sie blieben reduziert auf ihre Rollen, ihr Weißsein und die ihnen unterstellte Macht. Vieles hätte hier konstruktiv besprochen werden können, etwa, wie das genau funktionieren soll mit der kulturellen Teilhabe aller, mit dem Aufbrechen des Mainstream-Publikums und der schrittweisen Entsorgung all der institutionalisierten Großfische, die vom Kopf her stinken.

Leider blieb es bei einer ziemlich aggressionsgeladenen Rekapitulation der allseits bekannten Missstände. Am Samstagnachmittag hatte dagegen Ahmed Shah vom Refugee Club noch etwas ungemein Kluges gesagt, was dieser Abend hätte leisten können: Im großen, alle betreffenden Projekt der Integration und ihrer Fortsetzung in der Kultur geht es darum, "die Asymmetrie des Wissens" auszuhalten. Es gibt jene, die biographische Erfahrungen mit sich tragen, einige, die diskursive Expertise besitzen, und auch solche, die vor allem Kunst machen. Kaum jemand vereint alles auf sich. In der wackligen Mitte dieser Asymmetrien wird man nicht umhin kommen, miteinander zu sprechen.

 

3. Branchentreff der Freien Darstellenen Künste
"Einwanderungsland" als Aufgabe der Kultur
Mit: Boris Vormann (Moderation), Naika Foroutan (Vortrag), Barbara Meyer, Çığır Özyurt, Onur Suzan Nobrega
8.-10. Oktober 2015
Aufbauhaus Berlin

www.laft-berlin.de

"Vernetzt Euch!"
Strategien und Visionen für eine diskriminierungskritische Kunst- und Kulturszene
Kuratiert und organisiert von: Sandrine Micossé-Aikins, Luis Ortiz, Mirjam Pleines, Lisa Scheibner, Baharesh Sharifi
10. & 11. Oktober 2015
Universität der Künste Berlin

www.vernetzt-euch.org

"Wie geht es weiter?"
Paneldiskussion über (Un)Sichtbarkeiten im Theater
Mit: Grada Kilomba (Vortrag), Onur Suzan Nobrega (Moderation), Barbara Burckhardt, Atif Mohammed Nor Hussein, Helge Rehders, Thandi Sebe
12. Oktober 2015
Ballhaus Naunynstraße Berlin

www.ballhausnaunynstrasse.de

 

Alles zur Blackfacing-Diskussion im entsprechenden Lexikoneintrag. Auf nachtkritik.de wurde sie u.a. mit Debattenbeiträgen von Ulf Schmidt, Lara-Sophie Milagro und Nikolaus Merck begleitet. Im September 2014 berichtete Elena Philipp über die Podiumsdiskussion Rassismus im Kulturbetrieb im Berliner Ballhaus Naunynstraße.

Nicolas Stemanns Jelinek-Inszenierung Die Schutzbefohlenen war schon bei ihrer Mannheimer Premiere umstritten und wurde auch beim Theatertreffen-Gastspiel im Mai 2015 heftig diskutiert: Unser Bericht vom Theatertreffen-Thementag zu Flucht, Einwanderungspolitik und Asylgesetzgebung, eine Presseschau zur Diskussion um "Die Schutzbefohlenen", Rassismus, Flucht und Asyl, ein Bericht über den Thementag zu Theater und Postkolonialismus sowie eine Presseschau zum Interview mit Nicolas Stemann zu den Rassismus-Vorwürfen.

 

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Kommentare  
Kulturaufgabe Einwanderung: Titeländerung?
warum wurde der titel dieses beitrags geändert?

(Werter k.t.,

der Titel im Beitrag selbst wurde nicht geändert, allerdings wurde am zweiten Veröffentlichungstag die Betitelung über dem Teaser auf der Übersicht ausgetauscht, ebenso wie das Bild, um noch mal eine andere zentrale Frage des Textes, die nach dem "Wir", in den Fokus zu rücken.

MfG, Georg Kasch / Redaktion)
Kulturaufgabe Einwanderung: Gefühlsmanipulation
"Es ist das Moment der Selbstkonstruktion in Abgrenzung vom Fremden, von dem Foroutan meint, es müsse mit den gleichen emotionalen Impulsen im Positiven gefüttert werden, von denen es auch im Negativen zehrt: Deshalb brauche es in den Medien und auf den Bühnen mehr Bilder muslimischer Väter, die mit ihren Kindern im Arm auf der Flucht sind, um mit gängigen Vorurteilen über den "muslimischen Mann" aufzuräumen. Das ist gut und richtig. "

Ah so. Es müssen mehr Bilder muslimischer Väter mit Kindern auf der Flucht gezeigt werden. Wegen der positiven emotionalen Impulse. 80% der Flüchtlinge sind aber in Wahrheit alleinreisende junge Männer.

Im unverschwurbelten Klartext: Frau Foroutan will also die Öffentlichkeit mit der "Konstruktion" verfälschender bzw. glatt lügender Bildern gezielt täuschen und emotional manipulieren. Und die nachtkritik-Journalistin heißt das auch noch ausdrücklich gut.

"Sie sagt, dass gefühlig erreicht werden muss, was als Projekt der Vernunft längst aufgegeben scheint."

Nun, ARD und ZDF machen das doch die ganze Zeit schon - sie zeigen vor allem gefühlige syrische "Kulleraugenkinder" auf Väterarmen, wie ein ARD-Oberer unlängst selbstkritisch zugab, und NICHT die herbe Wirklichkeit. Wirklichkeit scheint Frau Foroutan nicht zu behagen: Man muß ganz gezielt mehr aufs Gefühl drücken, fordert sie. Positiven Kulleraugen-Input zwecks Gefühlsmanipulation. Alles täuschende Simulation der Wirklichkeit - aber natürlich zu einem edlen Zweck.

Aber in einem hat sie recht: Das Projekt der Vernunft ist längst gescheitert: Die ist in Gefühligkeit ersoffen.
Kulturaufgabe Einwanderung: argumentativer Kurzschluss
Werter Herr Reinhardt,

Sie erlauben, dass ich auf einen Kurzschluss in Ihrer Argumentation eingehe: Die Statistik, dass rund 78 % der Asylantragsteller in Deutschland in den vergangenen Monaten männlich waren (worauf Sie sich mit "80 % der Flüchtlinge" offenbar beziehen), würde durch die genannten Bilder weder "verfälscht" werden, noch wäre damit "glatt gelogen". Denn über die Statistik machen diese Bilder zunächst einmal gar keine Aussage. Diese ist für jeden frei zugänglich und wird offen über die Medien kommuniziert. Bei den Bildern handelt es sich freilich um eine Schwerpunktsetzung, wie sie selbstverständlich überall geschieht. Zum Vergleich: Sehr viel mehr als "80 %" der Dresdnerinnen und Dresdner ziehen montagsabends nicht mit putzigen Leuchtekruzifixen vor die Semperoper. Trotzdem werden Sie mir wahrscheinlich darin zustimmen, dass die dominante Berichterstattung über den zahlenmäßig nicht-repräsentativen Teil, der es eben doch tut, ihren Sinn hat.
Journalisten - und das überrascht Sie hoffentlich nicht - berichten über das, was sie berichtenswert finden. Ich denke, es gibt gute Gründe dafür, von Menschen zu berichten, die mit jeder Menge Verantwortung für Familie und Kinder im Gepäck in dieses Land kommen.

Eine letzte Sache: Die "nachtkritik-Journalistin" ist in Wahrheit ein nachtkritik-Journalist. Aber das ist nicht schlimm.
Kulturaufgabe Einwanderung: verfälschende Darstellung
Lieber Herr El-Bira,

verzeihen Sie mir bitte meinen Lapsus.

" Die Statistik, dass rund 78 % der Asylantragsteller in Deutschland in den vergangenen Monaten männlich waren (worauf Sie sich mit "80 % der Flüchtlinge" offenbar beziehen), würde durch die genannten Bilder weder "verfälscht" werden, noch wäre damit "glatt gelogen". Denn über die Statistik machen diese Bilder zunächst einmal gar keine Aussage."

Um das mal vom Kopf auf die Füße zu stellen: Nicht die Statistik wird durch die "Kulleraugenkinder"-Bilder verfälscht, wie Sie mir unterstellen, behauptet zu haben, sondern die Vorstellungen von der Realität werden durch solche Bilder verfälscht. Es wird damit in der Tat glatt gelogen, als sie als repräsentativ für "die Flüchtlinge" verkauft werden. Die Minderheit von 20% Familien mit Kindern wird bildlich in den Vordergrund gerückt, während die vierfache Mehrheit von alleinreisenden jungen, kräftigen Männern in den Hintergrund gerückt, bzw. visuell ausgeblendet wird. Die Bilder machen in der Tat keine Aussage über die Statistik, denn sie sollen ja ganz im Gegenteil die unangenehme Statistik vergessen machen. Wenn ca. 90 % der Bilder nur Familien mit Kinder zeigen und nur 10% Bilder der jungen Männer, so ist das selbstverständlich eine mediale Verfälschung der Wirklichkeit zwecks Propaganda und Manipulation der Öffentlichkeit.
Ihr Hinweis, die Information über die 80% seien ja "frei zugänglich und offen über die Medien kommuniziert" erscheinen etwas naiv blauäugig: Ihnen als Journalisten muß man ja hoffentlich nicht die Redaktionsbinsenwahrheit erklären, daß ein Bild mehr sagt als tausend Worte? Und was ist eine trockene Statistik gegen das Bild vom frierenden armen Mädchen mit seinem kleinen Hündchen im Matsch?

"Bei den Bildern handelt es sich freilich um eine Schwerpunktsetzung, wie sie selbstverständlich überall geschieht".

Nun müßten Sie allerdings erklären, warum die "Schwerpunktsetzung" sich ausgerechnet um die Minderheit von Familien mit kleinen Kindern kümmert und die viermal so große Mehrheit von 80% kräftigen, trainierten jungen Männern, die den eigentlichen Kern der Zuwanderung ausmachen, schwerpunktmäßig eher stiefmütterlich behandelt.

"Zum Vergleich: Sehr viel mehr als "80 %" der Dresdnerinnen und Dresdner ziehen montagsabends nicht mit putzigen Leuchtekruzifixen vor die Semperoper. Trotzdem werden Sie mir wahrscheinlich darin zustimmen, dass die dominante Berichterstattung über den zahlenmäßig nicht-repräsentativen Teil, der es eben doch tut, ihren Sinn hat."

Verdrehende Rabulistik. Die Flüchtlingskinder und die Randalierer als "Schwerpunkthemen" gleichzusetzen, heißt Äpfel mit Pferdeäpfeln vergleichen. Berichtet wird normalerweise über das, was auffällig und berichtenswert ist: 80% friedliche, unauffällige Dresdner sind nicht besonders berichtenswert; 20% Pegia-Nazi-Schreier SIND berichtenswert, selbstverständlich. 80% junge Männer im Migrationsstrom sind nach Ihrer verdrehten Logik folglich nicht berichtenswert, 20% Familien mit Kinder aber müssen "dominant" dargestellt werden. Warum? Welcher "Sinn" liegt darin?

" Journalisten - und das überrascht Sie hoffentlich nicht - berichten über das, was sie berichtenswert finden."

Nein, das überrrascht mich nicht, das ist eine Binse. Interessant ist dabei aber, WAS Sie hier berichtenswert finden.

Es ging eigentlich um etwas anderes - Frau Foroutan hat, Ihrer lobenden Schilderung nach, argumentiert:

"Es ist das Moment der Selbstkonstruktion in Abgrenzung vom Fremden, von dem Foroutan meint, es müsse mit den gleichen emotionalen Impulsen im Positiven gefüttert werden, von denen es auch im Negativen zehrt: Deshalb brauche es in den Medien und auf den Bühnen mehr Bilder muslimischer Väter, die mit ihren Kindern im Arm auf der Flucht sind, um mit gängigen Vorurteilen über den "muslimischen Mann" aufzuräumen. Das ist gut und richtig."

Ich habe selten einen unverblümteren Aufruf zur Volksumerziehung gelesen. Sie halten solche medialen Manipulationen offenbar auch noch für eine journalistische Pflicht.

Zur Erinnerung an das kleine journalistische Einmaleins:

Wikipedia: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ ist ein Sprichwort und eine Metapher für den Mehrwert von Bildern gegenüber ausschließlichem Text. Es bezieht sich darauf, dass komplizierte Sachverhalte oft mit einem Bild oder einer Darstellung sehr einfach erklärt werden können und ein Bild meist einen stärkeren Eindruck auf den Betrachter ausübt als ein umfangreicher Text." (Soll von P.J. Reuter, dem Gründer der gleichnamigen Nachrichtenagentur, stammen.)

Kompliziertes sehr einfach erklären - daraus kann auch was anderes werden: Eine komplexe Wirklichkeit einseitig versimplifizierend und damit verfälschend darstellen - wobei es sich dann eben NICHT mehr um einen Journalismus handelt, der um Objektivität bei der Nachrichtenübermittlung bemüht ist: Wie z.B. ARD und ZDF nur die tränengasverschießenden ungarischen Grenzpolizisten zeigten, während BBC und andere englische Sender ZUERST zeigten, wie die Flüchtlinge gewaltsam die Grenzabsperrung zu Ungarn eintraten, demolierten und gewaltsam über die Staatsgrenze nach Ungarn eindrangen, und DANN erst die Polizei (die in der Minderzahl war) zum Tränengas gegriffen hat.

Hanns Joachim Friedrichsen: Ein Journalist soll sich nie mit einer Sache gemein machen - auch nicht mit einer guten.
Kulturaufgabe Einwanderung: ums Ausblenden kommt man nicht herum
Lieber Herr Reinhardt,

kein Problem.

Ein Letztes in dieser Sache: Ich fürchte, Sie müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass irgendwer da draußen im Besitz der vollen, umfänglichen Wahrheit ist, geschweige denn, sie abbilden kann. Auch die BBC wird in ihrem Bericht über den "gewaltsamen" Grenzübertritt in Ungarn wahrscheinlich nicht zuvor den Fluchtweg der Menschen oder gar die Pulverisierung ihrer Häuser und Dörfer durch (mitunter auch britische) Kampfflugzeuge in den vorangegangenen Jahren dokumentiert haben. Das kann man auch nicht immer und an jedem Ort verlangen, denn man landete schnell bei einem infiniten Regress. Deshalb können Sie sich noch so sehr um Ausgewogenheit und Differenzierung bemühen - um das zeitwilige Ausblenden von Option A in der Realisation von Option B kommen Sie nicht herum. Das ist im Journalismus nicht anders als in den Wissenschaften (übrigens auch den empirischen).
Problematisch wird es m.E. allerdings dort, wo man, wie Sie, offensiv für maximale Objektivität und die Bedeutsamkeit statistischer Erhebungen wirbt, den quantitativen Charakter letzterer dann aber plötzlich mit qualitativen Implikationen auflädt.
Oder was genau lässt Sie wissen, dass die "80 %" männlichen Flüchtlinge für eine "herbe Wirklichkeit" stehen, die offenbar so gar nicht vergleichbar mit jener der "80 % friedlichen, unauffälligen Dresdner" ist? Sind Sie sicher, dass es sich bei diesen "80 %" durch die Bank weg um "kräftige", gar "trainierte" Jungspunde handelt? Und kann es vielleicht sein, dass Ihnen so viel fremde Männlichkeit irgendwie Unbehagen bereitet?

Mit diesen Fragen widmet sich nun wieder der "Volksumerziehung":
Ihr Journalist
Einwanderung als Kulturaufgabe: Ihr Vorschlag?
@ Ernst Reinhardt

Das Wort "Volksumerziehung" zeigt sehr deutlich, wessen Geistes Kind Sie sind.
Für Menschen wie Sie, sind nur die Abbildungen wahr , die Ihren Vorurteilen entsprechen.

Was wäre denn Ihr Vorschlag zu diesem Thema? Was soll man mit den Flüchtlingen machen?
Kulturaufgabe Einwanderung: Ankommende
Meister Reinhardt,
sie würden auch gegen die Flüchtlinge argumentieren, wenn nur Frauen und Kinder kämen. Aber in Wahrheit sind all diese Menschen Ankommende, Menschen, die in der Realität angekommen sind, aus der sie zu fliehen versuchen. Der wahre Flüchtling sind sie selbst.
Kulturaufgabe Einwanderung: einfacher dargestellt
Lieber Herr El-Bira, #5

offenbar drücke ich mich unverständlich aus. Die Alternative, daß Sie mich nicht verstehen WOLLEN, schließe ich selbstverständlich aus.

Vielleicht gelingt es den Kollegen vom FOCUS, das eigentlich recht einfache Thema für Sie verstehbar darzustellen:

http://www.focus.de/kultur/medien/tagesschau-und-tagesthemen-ard-raeumt-falsches-fluechtlingsbild-ein_id_5001222.html

Und Ihre abschließende Frage zu beantworten: Ja, so viel "fremde Männlichkeit", die durchaus bereit ist, Staatsgrenzen mit Gewalt zu durchbrechen und zu überqueren, beunruhigt mich.

Ansonsten möchte ich Sie aber keinesfalls noch länger bei Ihrer volkspädagogischen Mission zur Entwicklung des korrekten Bürgerbewußtseins verunsichern - Sie dienen ja einer edlen Sache - und verbleibe mit freundlichen Grüßen

ER

#6 klara
Liebe Klara, wes Geistes Kind bin ich denn, wenn ich bei anderen Leuten "Volksumerziehung" konstatiere?

#baucks
Lieber Martin Baucks, es wäre interessant, wenn Sie mir aufzeigen könnten, wo ich gegen Flüchtlinge argumentiert hatte. Ich habe gegen Journalismus argumentiert, der bewußt falsche Bilder der Realität produziert, um die Bevölkerung aus edlen Zwecken medial zu beeinflussen bzw. hinter die Fichte zu führen. Ich hoffe, der Unterschied ist für Sie nachvollziehbar.

Mfg
ER
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