Der Sturm - Mona Kraushaar inszeniert Shakespeares spätes Stück am Hamburger Ernst Deutsch Theater als kunstvolles Spiel der Zeichen
Ein Metasturm
von Falk Schreiber
Hamburg, 15. Oktober 2015. Auf der Bühne steht eine Windmaschine, und wenn man die einschaltet, dann hebt ein Sturm an. Das ist keine Zauberei, das ist Theatertechnik. Und gibt gleich zu Beginn die Richtung vor, mit der Mona Kraushaar Shakespeares spätes Drama am Hamburger Ernst Deutsch Theater zu fassen versucht: Prosperos Insel ist eine Bühne. Prospero, den Frank Röder mit wilder Lockenmähne, Drei-Tage-Bart und Nerdbrille recht jugendlich anlegt, ein Regisseur. Und Shakespeares schwer zugängliche, verrätselte Handlung – eine Inszenierung.
Von Genre zu Genre
"Der Sturm" erlebt gerade einen kleinen Boom an den deutschsprachigen Bühnen, auch in Hamburg: Erst vor knapp zwei Jahren zeigte Maja Kleczewska eine viel gescholtene Fassung am Deutschen Schauspielhaus. Aber Kraushaar versucht gar nicht erst, sich in Beziehung zu diesen Inszenierungen zu stellen, ihre Arbeit ist Metatheater, das in erster Linie über die eigenen Bedingungen nachdenkt. Das kann man so machen, zumal diese Lesart auch bei Shakespeare angelegt ist, bloß: Bei Shakespeare steht auch noch anderes, politischeres. In "Der Sturm" geht es um eine gewaltsame Landnahme, es geht um das Aufeinandertreffen einander fremder Kulturen, es geht um Kolonialismus. Alles Themen, die bei Kraushaars extremer Innensicht unter den Tisch fallen müssen. Dass Prospero ein harmonisierendes Ende nicht zuletzt damit konstruiert, dass er dem Eingeborenen Caliban (mit sensibler Körperlichkeit: Dimosthenis Papadopoulos) das Menschsein abspricht – geschenkt.
Was nicht heißt, dass Kraushaars Inszenierung nicht funktionieren würde. Nach ein paar lässlichen Holprigkeiten im ersten Drittel hat sich das Ensemble eingespielt, alles hängt marionettengleich an den Fingerspitzen Prosperos, wo man zwar keine eigene Haltung entwickelt, dafür aber die Haken, die die Vorlage bereithält, recht elegant mitschlagen kann. Kraushaars Stückzugriff schafft es so mühelos, von Genre zu Genre zu springen, was beim schwer in eine Schublade zu schiebenden "Sturm" schonmal die halbe Miete ist: Für Slapstick ist primär Claudiu Marc Draghici als ungeschickt-liebenswerter Fürstensohn Ferdinand zuständig, die politische Intrige wird als Burleske mit Felix Lohrengel und Jonas Anders als Stephano und Trinculo abgehandelt, und wenn Alexander Rainers Ariel auf einer glitzernden Discokugel über die Szene schwebt, wird aus Shakespeare schönster Camp (der auf Katrin Kerstens schlicht-dunkler Bühne gleich nochmal heller leuchtet).
Kaum auf die Erwartungshaltung des Publikums gesetzt
Ein lustvolles Spiel mit den Möglichkeiten des Theaters entspinnt sich hier, die Inszenierung macht Spaß, wenn auch um den Preis, dass man sie ausschließlich als Spiel liest. Alles ist Oberfläche. Selbst als sich Papadopoulos' Caliban nackt über die Bühne quält, ist das kein berührendes Bild der geschundenen Kreatur, sondern gerade mal ein besonders starkes Zeichen. Sobald aber ein ernsterer Ton angeschlagen wird, geht der Inszenierung die Luft aus. Man ahnt es angesichts der Lieblosigkeit, mit der das Zwischenmenschliche abgehandelt wird: Zwar verliebt sich Prosperos Tochter Miranda (Daniela Bjelobradic) in Ferdinand, aber nur, um die Handlung voranzutreiben, nicht weil man irgendein Interesse der Regie an der Liebesthematik spüren würde.
Kraushaar hat Erfahrung mit Shakespeare: Am Berliner Ensemble inszenierte sie "Romeo und Julia", in Innsbruck "Maß für Maß", und für "Was ihr wollt" am Ernst Deutsch Theater erhielt sie voriges Jahr den Rolf-Mares-Preis. Diese Erfahrung merkt man dem Hamburger "Sturm" an: Die Inszenierung will etwas, sie traut sich an einen eigenen Zugriff auf ein Stück, sie traut sich nicht zuletzt, die Konventionen des Privattheaters zu unterlaufen – dieser "Sturm" ist kluges Regietheater, das kaum auf die Erwartungshaltung des Publikums setzt, sondern vor allem auf die Stimmigkeit des eigenen Konzepts. Die Inszenierung setzt viel ein, und am Ende gewinnt sie auch viel. Aber es ist ein etwas unbefriedigender Gewinn, weil man spürt, dass noch viel mehr in diesem Stück steckt als nur Theater über Theater.
Der Sturm
Von William Shakespeare, Deutsch von Frank Günther
Regie: Mona Kraushaar, Bühne: Katrin Kersten, Kostüme: Nini von Selzam, Dramaturgie: Stefan Kroner.
Mit: Jonas Anders, Frank Auerbach, Daniela Bjelobradic, Claudiu Mark Draghici, Michael Gempart, Felix Lohrengel, Dimosthenis Papadopoulos, Alexander Rainer, Frank Röder.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.ernst-deutsch-theater.de
Von einem "starken Shakespeare-Abend" schreibt Heinrich Oehmsen im Hamburger Abendblatt (17.10.2015). Mona Kraushaar inszeniere den 'Sturm' als "mitreißendes und kluges Spiel im Geiste Shakespeares". Der Abend sei "modern und heutig ohne postdramatische Verrenkungen oder Einsatz von Videoprojektionen." Wundervoll eingefangen habe Kraushaar "auch die Liebesszenen zwischen Prosperos Tochter Miranda (Daniela Bjelobradic) und Alonsos Sohn Ferdinand (Claudiu Mark Draghici). Stotternd und stammelnd stehen die beiden Liebenden voreinander, überwältigt von dem Gefühl, das sie mit voller Wucht ins Herz trifft."
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(Werter Stritter, mein Shakespeare-Handbuch gibt Ihnen vollauf Recht und erwähnt auch noch "The Two Noble Kinsman", an dem Shakespeare mitschrieb, als späteren Text. Womöglich spukt bei uns allen, die wir "The Tempest" als letztes Werk führen, noch der Peter Greenaway mit "Prosperos Bücher" im Kopf herum, der den "Sturm" ja gleichsam als Abschluss des Lebenswerks von Shakespare inszenierte. In jedem Fall ist die Angabe in Dachzeile und im Text berichtigt worden. Mit besten Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
Ja, etwas zuviel Wasser auf die armen Schauspieler und etwas zu wenig Leidenschaftlichkeit in Mirandas Spiel. Aber mir hat die Inszenierung gefallen, besonders das Ende, weil es unklar bleibt, ob Prospero nun endlich Gerechtigkeit widerfahren wird - und wenn man von der realen Welt ausgeht, wäre das kaum wahrscheinlich.