Mörchen, der Märtyrer

von Georg Petermichl

Wien, 20. März 2008. Die Welt liebt Einzelkämpfer. Und: Bei jenen visionären Herzen, die nur noch für Größeres schlagen wollen, geben derzeit die Umweltkatastrophen-Aufzeiger den Ton an. Außerdem sind Hybridautos stylisch und halten auch noch die Polkappen zusammen. Was für ein Triumvirat: Ökonomischer Leichtsinn. Naturgewalt. Ökologischer Mitmach-Aktivismus. Mit all dem hat Mörchen was am Hut: Er kämpft gegen die irgendwann unaufhaltsam heranrollenden Wassermassen. Also für die absolute Absicherung des Eigenheims.

Allerdings ist individualistischer Eigennutz nicht unbedingt vorgesehen im Masterplan für Weltverbesserung. Mit Mörchen aus "Die Kaperer oder Reiß nieder das Haus und erbaue ein Schiff" haben wir es insofern mit der konservativsten Figur unter den naturbedachten Superhelden zu tun. Er ist Jung-Vater. Seine Frau, Tine, aufopfernd skeptisch. Das befreundete Ehepaar, Arne und Nele, unternehmerisch und freundschaftlich neoliberal. Und der ins Boot geholte Finanzier Hosenbein bebt ausschließlich für kassenschlagende Massentauglichkeit. Philipp Löhle hat mit Mörchen einen tragisch-komischen Monolithen in eine selbstgerechte Gummiwelt gesetzt, einen Beharrer, der seine Weltanschauung zwar mitteilen, aber nicht vermitteln kann.

Gewissermaßen die Phalanx des Theaterfortschritts

Der Autor, Jahrgang 1978, wird in der Shortlist der deutschen Dramatikerhoffnungen geführt, seitdem er beim Stückemarkt des letztjährigen Theatertreffens den von der Bundeszentrale für politische Bildung neu gestifteten Werkauftrag erhielt. Ursprünglich für die Uraufführung am Bayerischen Staatstheater München vorgesehen, kamen "Die Kaperer" jetzt am Wiener Schauspielhaus heraus, das sich unter der neuen Leitung vom ehemaligen Burgtheater-Dramaturgen Andreas Beck zu einer bemerkenswert frischen Stätte der Nachwuchsförderung entwickelt. In diesem Fahrwasser hat Beck für die Inszenierung Jette Steckel (Jahrgang 1982) engagiert, die 2007 von der Zeitschrift Theater heute zur Nachwuchsregisseurin gekürt wurde. In Wien ist damit gewissermaßen die Phalanx des deutschsprachigen Theaterfortschritts am Werk.

Auf der Bühne des Schauspielhauses kommt dieser Umstand zwar rasant, aber – um es vorwegzunehmen – nicht letztgültig überzeugend an. Zunächst aber: Mörchen (Max Mayer) hat nach der Idee von Bühnenbildnerin Sarah Isabel Sassen ein aus knall-pinken, überdimensionierten Styropor-Ziegelsteinen zusammengesetztes Einfamilienhaus, besser: dessen abstrakte Fassade im Bühnenhintergrund geschaffen. In dieser Welt für zu klein geratende Kleinbürger steht er als samtiger Nerd und quittiert sämtliche Einwände gegenüber seiner Erfindung mit Relativismus und messianischem Dauerlächeln.   

Ein Visionär inmitten von Beistandsversagern

Das Haus, dies Mörchens Erfindung!, setzt sich hydraulisch über Wassermassen hinweg und bedarf keiner Heizung. Blöd nur, dass der herrlichste Sonnenschein das Innere zur Sauna und die marktstrategisch sinnvolle Sintflut zur Utopie werden lässt. Sein Umfeld beschäftigt sich derweil damit, seine Entschiedenheit als Lebenseinbruch, und seine Handlungen als suizidal geformt zu lesen.

Da wäre zunächst die großartige Nicola Hirsch, die als Nele schrill, selbstsicher und möglichst altruistisch ihre zynischen Löcher in Mörchens Konzept bohrt. Ihr Mann Arne (Vincent Glander) bietet als zappeliger Opportunist auch keine Unterstützung. An der Seite des Visionärs steht seine grundverängstigte Tine. Bettina Kerl mimt sie souverän, gibt ihr jenen trotzigen Stolz, der in vehementer Kurzsicht nistet. In die Runde der Beistandsversager schmiert Stephan Lose als lässiger, überflexibler Unternehmergeist zusätzlichen Argwohn.
In Steckels fortschreitender Inszenierung legen nun all diese Gutmenschen Redeteppiche übereinander, sie reden exponential aneinander vorbei, verstehen sich falsch, missinterpretieren, verurteilen. Alleingelassen, hat Mörchen schließlich seine pinke Front an die Bühnenrampe verlegt.

Das Wasser kommt. Der Held ertrinkt. Sein Werk aber schwimmt. Steckel hat dieses Schicksal in eine temporeiche Aufführung gepackt, die gelungen zwischen den beiden Polen von Komödie und Tragödie flirren kann. Als atmosphärisches Rhythmusinstrument setzt sie den märchenhaft-allwissenden Chor ein; dafür lässt sie Glander, Hirsch und Kerl in gleißendem Licht erstarren. Und trotzdem: In Löhles Stoff könnte sich auch ein Held genau zwischen verkapptem Spinner und Märtyrer entfalten. Diese Extremzonen hat Steckel ausgeklammert. Der Abend bleibt damit als unterhaltsam in Erinnerung, mit dem fahlen Beigeschmack einer überblähten Milieustudie.  


Die Kaperer oder Reiß nieder das Haus und erbaue ein Schiff (UA)
von Philipp Löhle
Regie: Jette Steckel, Kostüme: Lilja Ruprecht, Bühne: Sarah Isabel Sassen.
Mit: Vincent Glander Bettina Kerl Nicola Kirsch Stephan Lohse Max Mayer.

www.schauspielhaus.at

 

Mehr zu Philipp Löhle: Genannt Gospodin in der Bochumer Uraufführungsinszenierung von Kristo Šagor.  Mehr zu Jette Steckel: Im Februar inszenierte sie Fremdes Haus von Dea Loher in Köln, im letzten November Edward Bonds Gerettet in Hamburg.

 

Kritikenrundschau 

"Ein aktuell derart breitgetretenes Thema" wie den Klimawandel als Sujet für ein Stück zu wählen, könne "ordentlich in die Hose gehen", meint Sebastian Fasthuber im Standard (22.3.2008) nach der Uraufführung von Philipp Löhles "Die Kaperer" am Wiener Schauspielhaus. "Tut es aber nicht, denn Löhle hat eine schöne Geschichte entwickelt." Löhles Versuch über das Heldenhafte sei "klug und witzig, mitunter auch einfach nur schön blöd. Dieser Autor kann junge Leute ins Theater holen." Text und Regie (Jette Steckel) unterstützten einander nach Kräften: "Dafür musste gerafft werden. Etwas unglücklich wirkt es, wenn die Figuren dem Publikum den Fortgang der Handlung erklären. Das Ensemble hat jedoch sichtlich Spaß an den dankbaren Rollen, die die Generation um die 30 heute in ihrem rasanten Stillstand einfangen." Fasthubers Fazit: "Fast uneingeschränkt empfohlen."

Eher "lieb gemeint als faszinierend" findet Norbert Mayer in der Presse (22.3.2008) Löhles Text, der Schluss sei "rasch absehbar". Es sei der "flotten Inszenierung der talentierten Jette Steckel und dem Können der fünf Schauspieler zu verdanken, dass die Uraufführung ... dennoch ein akzeptabler Erfolg wurde."

Für Eva Maria Klinger in der Wiener Zeitung (22.3.2008) sind Löhles "Kaperer" ein "erfrischendes Boulevardstück", zu dem "dem jungen Team um den neuen Schauspielhaus-Leiter Andreas Beck zu gratulieren" sei. Aus dem im Stück entfalteten "Widerspruch zwischen dem Retter der Welt und beschränkten Normalbürgern" habe die Regisseurin Jette Steckel eine Menge Komik herausgelesen, am Ende jedoch habe sie "die Tragik des Märtyrers aus den Augen" verloren: "die Erschütterung über das Scheitern eines Visionärs bei gleichzeitigem Sieg seiner Vision" hätte "Anstoß zur Selbstbefragung sein können". Eine Einschränkung, die das Vergnügen aber nicht mindere.

"Schnittig und flott" sei Jette Steckels Uraufführung von Löhles Text, meint Helmut Schödel in der Süddeutschen Zeitung (22.3.2008). Löhle trete "in seiner Klimakatastrophen-Komödie mit der realistischen These an: Es geht ums Überleben. Das adrette Oberflächentheater konnte der Radikalität der Behauptung aber nicht wirklich folgen. Die Schauspieler schmeißen sich eher dem Publikum in die Arme als auf das Thema. Das ist das Schicksal dieser Art von Theater, das politische Themen nicht wirklich verhandeln kann." Aber auch wenn man manches vermisse, sei dies "immerhin eine amüsante Aufführung, das gut gebaute Stück diskutierenswert und das Ganze ein Erfolg beim Publikum."

Kommentare  
Steckels Kaperer: witzig-geistreich
Ich finde es gerade richtig, dass Steckel nicht eine Ausnahmepersönlichkeit, einen Held aus Möhrchen gemacht hat in dem überweiten Feld der Ökologie. Die Durchschnittspersönlichkeit inmitten eines Durchschnittsmilieus dessen tägliches Mühen und Hoffen auf Erfolg und Bestätigung macht hier keine große Tragödie, erinnert aber doch welch große Pläne und Wünsche bei jedem Einzelnen "den Bach runtergegangen sind" und unter welchen Umständen. Welche Zugänge und Öffnungen zur Gesellschaft von der Gesellschaft selbst verschüttet wurden. Das fand ich witzig-geistreich und verbindend so wie den gemeinsamen Sekt am hoffnungsfrohen Beginn.
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