Presseschau vom 18. November 2015 – Die FAZ veröffentlicht Gerhard Stadelmaiers Schillerpreis-Laudatio auf Andrea Breth

Immer wie Uraufführungen

Immer wie Uraufführungen

18. November 2015. In der ersten Laudatio seines Lebens (zum Schillerpreis 2015 an Andrea Breth) porträtiert Gerhard Stadelmaier an einigen Beispielen und gewohnt sprachmächtig das "antikonventionelle Theater" der Andrea Breth. Und tritt dazu natürlich auch ordentlich in Richtung "konventionelles Theater" aus. Die FAZ, bei der Stadelmaier bis vor kurzem der Theaterkritiker war, veröffentlicht die Rede heute. (Und berichtete neulich schon über die Preisverleihung). Ein paar Schlaglichter:

In neunzig von hundert Inszenierungsfällen erlebe man heutzutage "Tempo-Rekorde", so Stadelmaier: "Schauspieler, die, nehmt alle nur in allem, wahnsinnig schnell sind. Nämlich schnell fertig." Mit "mehr oder weniger Blut und Hoden, mehr oder weniger Klamauk, mit mehr oder weniger dem, was dem Regisseur an Einfällen gerade durch die Konzeptionsrübe rauscht" erledigten sie ihre Figuren. "Das ungefähr ist die Konvention im deutschen Theater."

Bei Andrea Breth hingegen seien die Schauspieler "das Glücksferment", so Stadelmaier. "Es sind ganz ungewöhnliche Darstellungskünstler." Breths Inszenierungen seien "in dem Sinn freigebig, dass sie Freiräume schaffen. Fürs Unerhörte".

Breth unterwerfe sich nicht die Figuren und die Stück, sondern sie unterwerfe sich ihnen. "Sie gehorcht ihnen, wenn man 'Gehorchen' eben als Ohrenkunst versteht." Und zu ihr sprächen dann "nicht die Moden, die Tendenzen, die gerade noch durchs Dorf gejagten Aktualsäue, die dann zerhäckselgrunzend auf der Straße herumliegen und von schlechteren Regisseuren aufgeklaubt werden". Ihr Ohr sei vielmehr "ins Weite gerichtet. Von wo die Stimmen kommen, die ein ewiges, unbegreifliches Rätsel sind. Die Stimmen der Dichter und ihrer großen Figuren." Ihnen höre sie "so lange, so gründlich, so verzweifelt auch manchmal nach, bis sie Körper und Form annehmen und in die Phantasiekonturen ihrer Schauspieler schlüpfen. Als seien sie, so jahrhundertealt sie auch scheinen, eben erst geboren". Deshalb seien Breths Inszenierungen von alten Stücken, "wenn es gutgeht, immer wie Uraufführungen".

Stadelmaier reiht Breth schließlich in einen "Erlesenheitskreis" mit "den paar anderen großen europäischen Welttheaterregisseuren (...) Peter Stein, Peter Brook, Luc Bondy, Ariane Mnouchkine, Werner Düggelin, nicht zu vergessen die verstorbenen Patrice Chéreau, Klaus Michael Grüber und Peter Zadek" ein.

Und sagt zum Verhältnis Theatermacher und Theaterkritiker, dass "das einzige vernünftige Gespräch, das zwischen einem Theatermacher und einem Theaterkritiker stattfinden soll und darf, die jeweilige Aufführung ist beziehungsweise der jeweilige Versuch, auf sie schreibend zu reagieren."

(sd)

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