Raspeln am gesellschaftlichen Zusammenhalt

von Johannes Siegmund

Wien, 22. November 2015. Am Höhepunkt des Abends hält der Diener Johann die Hasspredigt des verängstigten Wutbürgers und raspelt mit seiner Gesangsstimme am gesellschaftlichen Zusammenhalt herum. Das aggressive Alphabet des rechten Jargons wird unabgeschwächt ins Publikum geätzt. Von "Aufräumen der Gesellschaft" über "Lügenpresse" und "Sozialschmarotzer" bis "Volksverräter" wird in Couplets gereimt: "und die Freunde des Islam? – nach Pakistan." Mit dem Liedtext des Kolumnisten Hans Rauschers blitzt auf, was eine realistische Posse kann. In diesem Lied ist die Inszenierung von Susanne Lietzow so bissig und provokant, wie es Nestroys "Zu ebener Erd und erster Stock" zur Uraufführung 1835 vermutlich war.

Die Lokalposse wird mit großem Ensemble, Live-Musik, prachtvoller Maske und viel Kostüm am Volkstheater Wien gegeben. Nestroys Stück warnt heute wie damals vor dem Auseinanderfallen der Gesellschaft, indem es unverblümt gesellschaftliche Abgründe vorhält. Die von Nestroy aufgegriffenen Probleme, wie Wohnungsmangel, Armut, Korruption und unverantwortliche Spekulationen sind heute erstaunlich aktuell.

Mit spitzer Zunge

Der direkte Anschluss an aktuelle Debatten wird im Volkstheater allerdings fast nur in dem oben geschilderten Lied gesucht, ansonsten richtet sich die Inszenierung ein wenig zu wohlig mit den grotesken Figuren und ihren Bonmots in der Geschichte ein. Die Inszenierung ist schwungvoll, clownesk und üppig, hätte aber angereichert mit zusätzlichen satirisch-tagespolitischen Texten mehr Kraft entfalten können. Nestroy schrieb für das Stück immer wieder aktuelle Couplets oder improvisierte neue, wobei ihm eine spitzzüngige Improvisation sogar drei Tage Arrest einbrachte. Das Publikum ist teilweise im Pelz gekommen und etwas mehr Provokation wäre wohl auch im Sinne Nestroys gewesen.

Zu ebener Erde9 560 Lupi Spuma uDie da unten sieht man wohl, aber die Armen sind in Nestroys "Zu ebener Erde und erster
Stock" auch keine besseren Menschen © Lupi Spuma

Die Figuren der Posse haben keine inneren Widersprüche, keine Psychologie und sind dementsprechend flach. Daraus zaubern die Schauspieler*innen erstaunlich viel Humor, der von ausufernden Kotzorgien bis zu feinem Sprachwitz reicht. Sie setzen die Kalauer und Slapsticknummern mit großer Präzision, spielen körperbetontes Theater, singen abwechslungsreich und sprechen mit verschiedensten Akzenten wienerisch. Die Maske hat ihnen reichlich falsche Ohren, Nasen und Haare angeklebt, und kombiniert mit einigen Polstern unter den ausufernden Kostümen entstehen skurrile Typen. "Wiens emotionalste Garagepunkband" zuckelt wie ein alter Zug mit einer Patina aus allerlei Klangfarben mittendurch.

Lächerlichkeit Mensch

Die Bühne ist in zwei Teile geteilt. Im unteren Kabuff wohnt der arme Kleinwarenhändler Schlucker mit Großfamilie, unter anderem auch mit seinem Ziehsohn Adolph. Die Armen sind nicht edel, sondern egoistisch, rückgratlos und verwahrlost. Oben führen Bedienstete wie die treudoofe Fanny oder der impertinente und Geld veruntreuende Diener Johann den Haushalt. In den großen Räumen mit Biedermeiermöbeln ist die Bühne abschüssig und weist damit schon auf den Fall voraus. Bis dahin gibt es aber noch Einiges vorzubereiten, denn Herr von Goldfuchs schmeißt gerne Partys, auf denen er korrupte Geschäfte einleitet, wenn er nicht mit Geld oder mit der eigenen Tochter spekuliert.

Zu ebener Erde3 560 Lupi Spuma uGesellschaftspanorama mit bösem Frohsinn und komischen Abgründen © Lupi Spuma

Diese Tochter Emilie verweigert sich dann aber der Zwangsheirat, denn sie ist in den armen Adolph von unten verliebt. Selbst die Liebenden taugen allerdings nicht als Identifikationsfiguren, sie sind naiv und in ihren romantischen Verklärungen lächerlich. Die unvermeidbaren Wirren einiger Liebesbriefe führen zu allerlei Streitereien und Durcheinander. Schließlich verliert Goldfuchs sein Geld in einem Schiffbruch. Zudem stellt sich heraus, dass der arme Adolph Erbe eines reichen Kolonialisten aus Ostindien ist und damit wäre der Weg frei für die Liebe, wenn da nicht...

Fortuna versucht ihr Glück

Fortuna, die in der Inszenierung, anders als im Originaltext, als Figur auftritt, wirbelt alle kräftig durcheinander, denn "das Glück ist kugelrund". Sie stakst golden glitzernd über die Bühne, ein wenig prachtvoll androgyn, aber auch leicht debil. Klar ist: So wenig, wie die naiven Figuren irgendetwas zum Besseren wenden und so wenig sie gezielt gegen Armut, Ungerechtigkeit, Korruption und Egoismus angehen können, so wenig wird es das Schicksal richten.

Zu ebener Erde und erster Stock
von Johann Nestroy
Regie: Susanne Lietzow, Bühne: Aurel Lenfert, Kostüme: Marie-Luise Lichtenthal, Musikalische Leitung: Gilbert Handler, Dramaturgie: Mona Schwitzer, Musiker: Gilbert Handler, Paul Skrepek, Martin Zrost.
Mit: Sylvia Bra, Haymon Maria Buttinger, Thomas Frank, Günter Franzmeier, Rainer Galke, Lukas Holzhausen, Katharina Klar, Claudia Kottal, Steffi Krautz, Kaspar Locher, Sebastian Pass, Nadine Quittner, Christoph Rothenbuchner, Stefan Suske, Günther Wiederschwinger.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

Vieles stimme nicht in Suanne Lietzows Inszenierung, resümiert Ronald Pohl im Standard (23.11.2015). Nestroy habe die Verhältnisse aufzeigen können, "weil er sie beim Wort nahm. Lietzow dagegen glaubt, die Verhältnisse gröber machen zu müssen, als sie sind. Sie glaubt Nestroy kein einziges Wort." Bei ihr sage "die zähe, dauerschwangere Schluckerin (Steffi Krautz) zu ebener Erde den entlarvenden Satz: 'Jetzt red' ich auch schon so g'schissen daher!' Falsch: Nestroys Sprache ist kein Naturdünger, sondern ein Präzisionsinstrument. Man muss sie nur zu gebrauchen verstehen." Am Ende sei der Beifall "für eine dann doch gescheiterte Aufführung" recht armselig gewesen.

Norbert Mayer sieht das für die Presse (23.11.2015) ziemlich anders: Lietzow setze "den richtigen Akzent in einer mutigen, manchmal fahrigen Aufführung, die am Schluss im ausgiebigem Applaus mit einigen Buhrufen bedacht wurde." Die Inszenierung "mit ihren aktuellen Anspielungen auf Korruption und Dummheit" sei "gar nicht lieb, sie verbietet gallig das Süßliche, ist schwarz übermalt, ein Fest für Charakterköpfe". Bemerkenswert seien auch die Gesangseinlagen: "Hat Wien jetzt einen neuen Johann Nestroy namens Hans Rauscher?", fragt Mayer. "Das zu behaupten wäre so schrill wie diese Inszenierung", aber treffende Couplets gebe es doch.

 

 

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