Performerin mit klarer politischer Botschaft

von Georg Kasch

Berlin, 25. November 2015. "Home is where the heart is", steht auf der Fußmatte vor der Wohnungstür von Fatuma Musa. Ein etwas gefühliger Spruch. Aber vermutlich hat er eine tiefere Bedeutung, wenn man tausende Kilometer geflüchtet ist und ein Leben in Aufnahmeunterkünften hinter sich hat. Musa wurde in Somalia geboren, ist in Kenia aufgewachsen, studierte Stadtentwicklung, Gender-Projektmanagement und Entwicklungsforschung. Nach ihrer Flucht kam der Schock: "Zuhause war ich jemand", sagt Musa. "Hier war ich nichts."

FatumaMusa 280 geka uFatuma Musa © gekaEine typische Erfahrung der neuen Deutschen: Denn die deutsche Asylgesetzgebung macht die Flüchtenden zu Wohlfahrtsempfängern, statt sie beim Aufbau einer Existenz zu unterstützen. Sie werden gezwungen, in umzäunten Gemeinschaftsunterkünften zu leben, bekommen oft Sachleistungen statt Geld – und werden so zu einer Unmündigkeit und Untätigkeit verdammt, die Jahre dauern kann.

Wie es ist, in einer Flüchtlingsunterkunft zu hausen, kennt Musa aus eigener Erfahrung im brandenburgischen Bestensee: "Die Leute sind depressiv oder betrunken. Die einzigen Freunde, die man da hat, sind der Krankenwagen und das Polizeiauto." Wenn man nicht kämpfe, sich nicht wehre, passiere nichts. In dieser Situation habe sie sich gefragt: "Wie kann ich etwas schaffen, um mich zu beschäftigen und nebenbei auch noch etwas zu verändern?"

"Das greift uns körperlich und psychisch an!"

Seitdem ist sie Aktivistin und Motivational Speaker – eine Performerin mit einer klaren politischen Botschaft, was sich mit Motivationsrednerin nur ungenau übersetzen lässt. Diplomatisches Abwägen ist dabei nicht ihre Stärke, eher das eindringliche Appellieren, getrieben von einer Empörung, die von Erfahrung gesättigt ist. Neulich trat sie bei einer Diskussion am Berliner Heimathafen nach einer Vorstellung von Ultima Ratio auf, davor u.a. im Grand Hotel Cosmopolis in Augsburg und bei einer Mahnwache für ertrunkene Flüchtlinge in Mainz.

Dabei setzt sich ihr Publikum aus zwei Gruppen zusammen: Einerseits erklärt die 26-Jährige in hart artikuliertem, rasanten Englisch den Deutschen, wie es sich anfühlt, hier als Flüchtling in überfüllte Heime gestopft und zur Untätigkeit gezwungen zu werden. Andererseits bietet sie den neuen Deutschen Hilfe zur Selbsthilfe: Musa will Flüchtende ermutigen, geht dazu in Aufnahmelager, versucht, psychologische Hilfe zu geben. Viele seien enttäuscht und mutlos, sagt sie: "Wir haben kein Recht auf Arbeit, kein Recht, die Universität zu besuchen, keine Bewegungsfreiheit. Das greift uns körperlich, emotional und psychisch enorm an!"

Was aber kann man konkret tun? Solange sie in den Flüchtlingsunterkünften seien: "Nicht viel", sagt Musa. Außer "den Wohnbereich im Heim sauber halten". Und sich informieren. "Ich möchte den Menschen vermitteln: Auch wenn die Umstände katastrophal sind – verliert nicht eure Würde! Seid ihr selbst!" Ein wichtiger Schritt sei es, sich miteinander zu vernetzen und sich in die Gesellschaft zu integrieren – mit den Berufen und Talenten, die jeder mitbringt, die aber oft nicht (an-)erkannt werden. Dazu hat sie zum Beispiel eine Facebook-Gruppe gegründet. Auf How to get up at your feet nehmen Flüchtende miteinander Kontakt auf, teilen ihre Erfahrungen, geben einander Ratschläge. Hier werden aber auch Zimmer vermittelt oder Freiwillige für Hilfsprojekte gesucht.

Studium an der Flüchtlings-Uni Kiron

Musa hat den Weg aus der Flüchtlingsunterkunft geschafft. Heute lebt sie in ihrer eigenen Ein-Zimmer-Wohnung im Berliner Sharehaus Refugio, gleich um die Ecke vom Hermannplatz, wo auf fünf Etagen "Weltenwanderer aller Art" Unterkunft finden, ein "Ort der Zuflucht, der Gemeinschaft und der Erneuerung", wie es auf der Homepage heißt. Viele neue Deutsche sind darunter. Eine echte Gemeinschaft, bestätigt Musa: "Hörst du die Kinder da draußen? Sie gehören zu den Nachbarn. Auf die passe ich oft auf." Unten, im freundlichen Café, hängen Karten und aufgeschlagene Atlanten an den Wänden, gleich daneben gibt es einen Gemeindesaal – das Sharehaus Refugio wird von der Berliner Stadtmission unterstützt, deren Verwaltung vorher in dem Gebäude saß, und steht Menschen aller Religionen offen.

Die eigene Wohnung ist ein wichtiger erster Schritt – und eine riesige Erleichterung, dass die lange drohende Abschiebung nach Italien vom Tisch ist. Nur dass sie von ihrem Beruf, der auch eine Berufung ist, nicht leben kann, macht sie wütend. Zu niedrig sind die Honorare, die sie für ihre Auftritte bekommt. Immerhin studiert sie wieder, Interkulturelle Studien an der an der Flüchtlings-Uni Kiron, deren Crowdfunding-Kampagne sie ihr Gesicht leiht.

Hat Musa denn das Gefühl, dass sie mit ihrer Arbeit durchdringt, gehört wird, auch bei den Verantwortlichen? "Auf jeden Fall", sagt sie. "Ich bekomme viel positives Feedback, auch von Politikern wie Claudia Roth. Nach meinem Auftritt auf der re:publica kam sie zu mir und hat gesagt: Danke, ich habe etwas gelernt. So was macht Mut!"

 

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