Einmal durchgreifen, bitte!

von Georg Kasch

15. Dezember 2015. In Hannover ist die Welt noch in Ordnung. Denn wo gibt es ihn noch, den unbedingten Glauben an die Macht des Theaters? Dort, wo man sich gegen sie zu wehren versucht. An der Staatsoper Hannover hat Kay Voges, Schauspiel-Intendant in Dortmund, gerade eine Inszenierung von Carl Maria von Webers "Freischütz" herausgebracht. Es ist seine zweite Operninszenierung, in die – wie Elmar Krekeler in der Welt berichtet – "beinahe alles hineinpasst, was irgendwie mit dem Deutschen in Geschichte und Gegenwart in Verbindung gebracht werden kann".

Diskurs über das Nationale?

Samiel ist hier, in der Gestalt der Dortmunder Schauspielerin Eva Verena Müller, "ein manischer Meister des nationalen Kunstwerks. Erzdeutscher Sisyphos. Ständig pinselt er herum in seinem klaustrophisch engen Atelier, übermalt Landkarten, missbraucht süße Kuschellämmchen als Farbaufträger, faselt sich soziophilosophisches Zeug zusammen (...) Ein Zeremonienmeister des nationalen Kunstwerks. Was immer das sein mag." Außerdem gibt es Videos, die dafür sorgen, dass alle unter 16 draußen bleiben müssen. Und so geht das natürlich nicht. Findet die hannoversche CDU-Ratsfraktion.

freischuetz 280 Thomas M Jauk u"Freischütz" © Thomas M. Jauk

Die fordert in einer Pressemitteilung vom Kulturdezernenten Harald Härke, bei der Oper "bei aller Freiheit für die Kunst dafür Sorge zu tragen, dass die Schätze, die uns Dichter und Komponisten hinterlassen haben, lebendig bleiben und nicht ins Niveaulose und Beliebige gezogen werden". Man sei "in Hannover ja leider daran gewöhnt, dass die Staatsoper unserer Landeshauptstadt seit der Ära Puhlmann, mit Ausnahme von zwei Ballabenden pro Jahr, völlig frei von jeglichem Glanz ist". Man frage sich, "wo der staatliche Bildungsauftrag hier überhaupt noch geblieben ist und wozu man ernsthaft Theaterpädagogik vorhält, wenn sich Regieleistungen mittels Verstümmelung, Verzerrung und Verfälschung ohnehin nur auf Provokation reduzieren". Besonders fatal sei, dass sich die Inszenierung "gänzlich gegen all die Schülerinnen und Schüler richtet, für die der Freischütz auf dem Lehrplan steht und die ihn jetzt altersbedingt nicht sehen können".

Genuss des Hörnerklangs

Ja, da hört sich doch alles auf. Wofür hat man denn eine Oper, wenn man sie nicht mal für den Lehrplan fruchtbar machen kann? Deshalb fordert der kulturpolitische Sprecher der CDU-Ratsfraktion, Dr. Oliver Kiaman, vom Kulturdezernenten, an der Oper "durchzugreifen und bei aller Freiheit für die Kunst dafür Sorge zu tragen, dass die Schätze, die uns Dichter und Komponisten hinterlassen haben, lebendig bleiben und nicht ins Niveaulose und Beliebige gezogen werden. Sonst braucht er weder besondere Formate und ab 2019 auch keine neue Intendanz suchen, sondern kann die Oper ganz zuschließen!"

Ja, zumachen das Ding. Wo kämen wir denn sonst hin? So viel Lärm! Dabei hatte der Premierenrezensent Krekeler doch schon die Lösung für CDU-Räte parat: "Wer immer also den Weg des geringeren Widerstands gehen mag, wer immer sich des notwendigen Diskurses über das Nationale und wie es sich in Kunstwerken zeigt und was das heute mit uns zu tun hat, verweigert, kann getrost tun, was leider zu viele tun über die entsetzliche Renaissance des Rechtsnationalen und nicht wenige taten im Hannoveraner Publikum. Die Augen schließen. Und hören."

Kommentare  
Blog CDU und der "Freischütz": da fehlt ein zu
Schön, dass der bildungbeflissene Kulturschatzbewahrer Kiaman nicht einmal in der Lage ist, das Wort brauchen zu gebrauchen: "Sonst braucht er weder besondere Formate und ab 2019 auch keine neue Intendanz suchen ..." Herr Dr. Kiaman, fehlt da nicht ein "zu"? Ich lache mich tod (sic!).
Blog CDU und der "Freischütz": Weihnachtsbaum?
Uff, wie peinlich...wenn die Definition, dessen, was die Oper bieten soll, mit "Glanz" umschrieben wird, dann soll die CDU in Hannover vielleicht lieber einen Weihnachtsbaum schmücken.
Blog CDU und "Freischütz": Oper und Bordell
Ja, als Christian Wulff und seine Gattin den Opernball eröffneten, da war noch Glanz in der Hütte. Sind grad harte Zeiten für die CDU in Niedersachsen. Auf der Bühne sieht es halt aus wie 500 Meter weiter am Steintor. Und gegen die eigene Puffmeile hat die CDU ja auch nichts. Wirtschaftsmotor mit Osteuropa-Importen und so. Vielleicht kann die Theaterpädagogik ja beide Orte - Oper und verkeimtes Bordell - verbinden und kontextualisieren - damit die Schüler auch verstehen, warum Organisierte Kriminalität, Schweinkram und Ficken für die CDU in echt total ok sind und auf der Bühne total verboten, weil äh........
Blog CDU und "Freischütz": erzdeutscher Sisyphos?
Ist doch lustig, die europäisch-abendländische CDU regt sich auf,die Deutschnationalen interessiert das nicht, was da an trash-Theater abläuft und die drei Opernrezensenten, oder sind es vier?, können drauflos schwadronieren. Belangloser gehts wirklich nicht. Aber was ein erzdeutscher Sisyphos ist, das wüsst ich doch ganz gern!
Blog CDU und "Freischütz": Warum mischt sich städtische CDU ein?
Wirklich die CDU-Ratsfraktion?
So weit ich weiß, ist die Staatsoper Hannover GmbH eine Gesellschaft des Landes Niedersachsen. Die Landeshauptstadt Hannover ist nicht Gesellschafter. Wie sich diese Stadt überhaupt aus der Theaterförderung in ihren Mauern weitgehend herausgezogen hat.
Was dieser Stadt den zweifelhaften Ruf eingetragen hat, die kulturloseste Landeshauptstadt der Republik zu sein.
Also haben weder die CDU-Ratsfraktion oder gar der Kulturdezernent irgendeine Veranlassung, sich einzumischen. Egal, was da statt gefunden hat.
Aber Teile des Rates der Landeshauptstadt Hannover haben wieder einmal klar gemacht, was sie von Kultur halten.
Peinlich...
CDU und "Freischütz": formal lächerlich, inhaltlich reaktionär
Dem Kommunalpolitiken Dr. Kiamann scheint entgangen zu sein, dass das Land Niedersachsen die Stadt Hannover 1992 mit einem "Vertrag zur Bereinigung der kulturellen und wirtschaftlichen Beteiligungsverhältnisse und zur Sicherung des kulturellen Angebots", dem so genannten "Kulturvertrag", aus der Finanzierung der Niedersächsischen Staatstheater GmbH Hannover entlassen hat.
Den amtierenden Kulturdezernenten aufzufordern „durchzugreifen“ ist ebenso formal lächerlich, wie inhaltlich zutiefst reaktionär.
Wenn sich Herr Kiamann „im Glanz zweier Ballabende“ wohl zu fühlen scheint, sei ihm das unbenommen. Qualifiziert er sich zur Beurteilung der Leistungen der hannoverschen Staatsoper durch ein langjähriges Premierenabonnemet?
Oder wird hier nur ein Kunst- und Kulturverständnis kolportiert, das im Kontext der aktuellen Herausforderungen längst überwunden geglaubte Überzeugungen wieder ans Licht spült?
Es ist ein „unsäglicher Kulturverlust“ für die Kultur in Hannover, wenn Politiker sich in dieser unqualifizierten Art zu einem Opernabend äußern, der glücklicherweise kontrovers erlebt und diskutiert wird. Denn darin besteht der „staatliche Bildungsauftrag“.
Peter Ries
CDU und "Freischütz": Fall für die Resterampe
Webers "Freischütz" war schon zur Uraufführung der "Glanz" oder besser das Dekor zum einem Pendant einer heutigen NPD-Parteitagsversammlung. Was beim genaueren Lesen des Stückes auch nicht weiter verwundern sollte.
Da darf man aus meiner Sicht gerne zuschlagen, oder wenigstens den Leuten klar machen, was für ein Quark auf unseren Spielplänen und - horribili dictu - soagr noch unseren Lehrplänen dahinoxidiert.
Freischütz ist ein Fall für die braungefärbte Resterampe. Weg damit!
CDU und "Freischütz": Lesen hilft
zu #7: ...das ist jetzt aber eine mindestens so einseitige "Analyse" wie die der CDU-Ratsfunktion. Inhaltlich gibt es im "Freischütz" Vieles und sehr Differenziertes zu entdecken und die Nachkriegsgeneration des Dreißigjährigen Kriegs wird dort keinesfalls mit "Glanz" verklärt, sondern als ein traumatisierter Haufen gezeichnet, der sich in Aberglauben, Glauben und Bigotterie flüchtet. Die dort krakelen, sind eben nicht die einzigen Figuren des Stücks. Also lesen sollte man die Stücke dann schon, bevor man sie den Braunen auf die Resterampe schiebt...
CDU und "Freischütz": schwer verständlich
Das einzige, was mich wundert, ist, dass das Stück ernsthaft als "Operninszenierung" gilt. Um es kurz zu machen: Dass es keine ist, war schon daran zu bemerken, dass der parallel übertragende NDR dauernd seinen Zuhörern erklären musste, was gerade auf der Bühne passiert. Nur Zuhören war auch deshalb eine Tortur, weil man ständig das Gollum-artige Gebrabbel von Samiel/Müller im Ohr hatte. Letztere quakte auch in die Gesangspartien hinein. Irgendwann habe das Radio entnervt ausgeschaltet. Wir haben es also mit einem Schauspiel zu tun, das am Beispiel der Weber-Rezeption (wieder einmal) den deutschen Sonderweg traktiert. Warum nicht?
CDU und "Freischütz": Alltag
Ganz normaler Theateralltag. Konservative Provinzpolitiker treffen auf geltungsbedürftige Kunstavantgardisten und ab der Hälfte der Premierenserie ist der Saal nur noch zur Hälfte gefüllt.
CDU und "Freischütz": Schablone
Baumgarten in Bremen, Thalheimer in Berlin und Voges in Hannover. Es scheint eine Schablone für die Deutung des Freischützes zu geben.
Neben der Enge bietet diese Gesellschaft aber auch Halt und Geborgenheit. Welches Interesse hat der Max sonst an dem Verbleib in dieser Gesellschaft?! Wie wäre es also mit einer vielschichtigeren Betrachtungsweise. Dann würde nach dem plumpen Skandal vielleicht auch ein Diskurs bleiben.
Blog CDU und "Freischütz": Zumutung
Meine Meinung: wenn man die Augen schließt, gehts. Aber ist das der Sinn von Oper? Oper geht es doch nicht darum, in den Lehrplan zu passen und die Inszenierung für Schulen zugänglich zu machen. Neumodische Inszenierungen sind ja nichts ungewöhnliches mehr und ich finde, es muss auch anders an die alten Stücke rangegangen werden. Aber warum so? Durch die Zahlreichen Projektionen und die anderen ständig überlappenden Bilder tritt das eigentliche Thema, die MUsik, völlig in den Hintergrund. Klar, Theater soll provozieren, und das war sicher auch Voges Intention. ABer meiner Meinung nach provoziert dieses Theater nicht mehr. Es gibt keine Anstöße zum nachdenken über die Problematik des Stückes oder unserer Gesellschaft. Es liefert dem Zuschauer einzig Bilder, mit denen er aber total allein gelassen wird. Ich fühlte mich nicht provoziert, ich fand es war eine Zumutung, sich das anzusehen. In meinen Augen gibt es auch in der Kunst eine Grenze. Diese Grenze ist weit, aber Voges hat sie hier wirklcih überschritten. Wenn man einen schönen Opernabend erwartet hat, wird man bitter enttäuscht. Ich möchte nicht sehen, wie einem Mann in riesiger Projektion der Penis mit einer Heckenschere abgeschnitten wird. Vorallem nicht, wenn diese Deutung mit der Oper vermutlich rein gar nichts zu tun hat. Genauso wenig, wie die anderen schockierenden Bilder, die einem ohne jeglischen Zusammenhang um die Ohren geschlagen wurden. Die zweite Hälfte habe ich nicht mal mehr gesehen. WAS SOLLTE DAS???
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