BRECHT DEN WELTREKORD

Skizzen eines 10-Jahres-Planes: Brecht-Institute auf der ganzen Welt

von Alexander Karschnia

22. Dezember 2015. Die Planung für die Brecht-Tage 2027 müssen unverzüglich in Angriff genommen werden. Umfassende Lobby-Arbeit wird nötig sein, damit in 10 Jahren die Goethe-Institute auf der ganzen Welt umbenannt werden können in Brecht-Institute. Das Brecht-Haus muss dafür ein Brecht-Forum einrichten wie das gleichnamige Institut in New York, um Weltveränderer aus der ganzen Welt zusammen zu führen (Aktionen wie Occupy Wall Street konnten dort vorbereitet werden).

Brecht Factory mit COLLABS

Ausgehend von Brechts Praxis, die Klassiker nach ihrem Materialwert zu beurteilen und wie ein Automobil auseinander zu schrauben, sollte sein Werk von Textteams im Sinne eines re-engineerings zerlegt und wieder neu zusammen gesetzt werden: Eine Brecht Factory, in der verschiedene Formen der artistischen Kollaboration erprobt werden. In diesen COLLABS (kollaborativen Laboratorien) soll der BB CODE gehackt werden: Muster, die als besonders wirksam erkannt werden. Damit soll Brechts Anspruch, ein Schreiber des "wissenschaftlichen Zeitalters" zu sein, entsprochen werden. Technikhistoriker wie Hans-Christian von Herrmann haben auf die Faszination des späten Brecht für die Kybernetik verwiesen und ihn damit für ein Theater nach der Ära des Fordismus entdeckt. Eine Kollaboration mit Pionieren der Netzkultur ist dabei unausweichlich. Unser Vorschlag wäre das Amsterdamer Institute for network culture, dessen Gründer Geert Lovink den Begriff der "Netzkritik" geprägt hat, um den alten Begriff der "Ideologiekritik" zu aktualisieren. Brechts Radio-Theorie dient dabei als Grundlage für die Umwälzung des Internets durch 'virtuelle RevolutionärInnen', ergänzt um "meetingähnliche Kollektivveranstaltungen" wie während der 'Besetzung der Plätze' in Kairo, Tel Aviv, Athen, Madrid, NY, usw.

RECHT AUF BRECHT: die Berliner BRECHT-Festspiele

2027 ist auch das Jahr, in dem alle Initiativen, die aufgrund des Copy Rights im Untergrund operieren mussten, an die Öffentlichkeit treten können, um ihr RECHT AUF BRECHT einzufordern: alle jene "Theaterchen", zu deren Gründung Brecht in seinem letzten öffentlichen Auftritt in der Akademie der Künste aufgerufen hatte. Es wird sich zeigen, dass ein Großteil der Gruppen der sog. "Freien Szene" dazu gehören. Damit wird 2027 auch das Jahr sein, in dem der notorische Gegensatz zwischen "Stadt- und Staatstheater" und "Freie Szene" endgültig der Vergangenheit angehören wird. Dazu wird ein Festakt im Berliner Ensemble gefeiert. Das Motto: BRECHT FREI! Das Ganze darf sich aber nicht auf die Innenräume des Hauses beschränken, sondern muss als Groß-Demonstration geplant werden. Vorbild ist die Teilnahme des BE an der Love Parade unter dem Motto: "Spaß haben, die Welt verändern und dabei Geld verdienen!" Ein Karneval der verschiedenen Brecht-Kulturen der Welt, die den triumphalen Einzug von Brecht/Baal in die Stadt Berlin begehen, der den 2500 Jahre alten Kampf zwischen den Kräften der Ordnung (König Pentheus) und des Chaos (Bacchen) beendet: ein Kampf, den diese Stadt wie kaum eine andere in ihren Eingeweiden ausgetragen hat. Aber auch ein Kampf, der Brechts Werk zerreißt: Marx vs. Nietzsche, Nietzsche vs. Marx (vgl. FatzerBraz von andcompany&Co.). Ab 2027 sollen die seit 2011 in Mülheim stattfindenden Fatzer-Tage nach Berlin verlegt werden. Fatzer wird an der Spitze eines neuen anachronistischen Zuges, einer DEMONSTRATION DER DESERTEURE marschieren, gefolgt von Andreas Kragler und dem Jungen Genossen aus der Kalkgrube: Exodus, movement of the people!

Die Oper: Brechts Weltraumflug

Höhepunkt der Brecht-Festspiele ist die Aufführung der Oper "Brechts Weltraumflug", die in der Brecht-Factory erarbeitet wird. andcompany&Co. hat sich seit Jahren darauf vorbereitet (genau genommen seit dem 100. Geburtstag von Brecht im Jahre 1998 und der Teilnahme an der Bundestagswahl mit Schlingensiefs Partei Chance 2000). Grundlage ist ein re-writing von Brechts "Ozeanflug". Dabei ist das Genre der alternative history von Interesse, das gerne von einem anderen Ausgang des Zweiten Weltkrieges wie der Eroberung der USA ausgeht: In Philipp Roths Roman "Plot Against America" gewinnt Lindbergh 1940 die Wahl gegen Roosevelt. Lindbergh, dem Brecht sein Stück ursprünglich gewidmet hatte, engagierte sich für die US-Faschisten: "Vote for Lindbergh or vote for war!" Konfrontiert mit vielfältigen Kriegen und einer sog. "Friedensbewegung 2.0", die – ähnlich wie der historische Lindbergh – hinter ihrer Rhetorik menschenfeindliche Ideologien verbirgt, muss es zentrales Anliegen aller Nachgeborenen sein, in Brechts Sinne für den Frieden zu werben – in internationalistischem, emanzipatorischem Sinne.

Die Erfindung der Rakete durch Wernher v. Brauns V2 markierte den Eintritt in ein neues Zeitalter, die Thomas Pynchon als die oder das "Enden der Parabeln" beschrieben hat. Durch das Durchbrechen der Schallmauer wird das Ursache-Wirkung-Prinzip außer Kraft gesetzt. Das hat auch für Brechts nicht-aristotelische Dramaturgie dramatische Konsequenzen, da Brecht bei aller Kritik am Prinzip der Parabel nicht rütteln wollte. Es gilt also, die nicht-aristotelische Dramaturgie zu radikalisieren, um auf der Höhe der technischen Entwicklung zu bleiben. Nachdem die Schall- und die Feuermauer durchbrochen wurden, steht die Menschheit nun davor, die dritte Mauer zu durchbrechen und endlich Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. Daher das Motto: BRECHT DEN WELTREKORD! Zugleich bestand immer eine Möglichkeit, die Menschheit vor der eignen Vernichtung zu bewahren, darin, den Blick in den Himmel, den Weltraum zu verlegen. Die Weltraum-Oper soll dem Umstand Rechnung tragen, dass Brecht den Sputnik-Flug nur knapp verpasst hat. Unschwer vorzustellen, wie begeistert er gewesen wäre! Es gilt also, in dieser Oper eine ähnliche futuristische Begeisterung zu verbreiten, die eine friedliche Weltraum-Mission vorstellbar werden lässt. Das Bild des lächelnden Juri Gagarin (dem Lindbergh der 60er Jahre) mit einer Friedenstaube in der Hand ist dabei die Inspiration. Dahinter steht lächelnd Brecht und flüstert uns zu: "Wo wir hingehen, werden wir keine Straßen mehr benötigen." BRECHT AUF!

 

Alexander Karschnia, Jahrgang 1973. Performer, Texter & Theoretiker. Gründete gemeinsam mit Nicola Nord und Sascha Sulimma die internationale Performance-Gruppe andcompany&Co.

andco.de

 

Hier die anderen Beiträge zur Ausschreibung: von Ligna, copy & waste, Kevin Rittberger, friendly fire und Ivo Eichhorn.

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