Die neuen Deutschen - Der syrische Theatermann und Regisseur Anis Hamdoun
Aus der zerbombten Stadt Homs ins bürgerlich-friedliche Osnabrück
von Dorothea Marcus
Köln, 1. Januar 2016. "In Deutschland habe ich in zwei Jahren so viele Chancen bekommen wie mein ganzes Leben lang in Syrien nicht", sagt Anis Hamdoun. Wenn es nicht so zynisch klingen würde, müsste man den Theatermann und ausgebildeten Chemiker aus der zerbombten Millionenstadt Homs, Syrien, den perfekten Flüchtling nennen. Der vitale 30-jährige mit Pferdeschwanz und Augenklappe spricht nach zwei Jahren in Deutschland fast akzentfrei Deutsch.
Seine Frau Zainab, studierte Literaturwissenschaftlerin, gibt bereits Deutschkurse. Und auch er wird bald abends in einem neuen Projekt der Berufsschule am Westerberg in Osnabrück jugendliche Flüchtlinge in Sprache, Kunst und Kultur unterrichten. Etwa, wie man Blogs schreibt. Oder anders künstlerisch ausdrücken kann, was passiert ist mit dem durch die Flucht aus den Fugen geratenen Leben. "Wenn man hier alles macht, um die Sprache zu lernen, sich weiterzubilden, aktiv ist, dann kann man hier erreichen, was man will. 90 Prozent der Syrer wollen das, und sie wollen Deutschland zurückzahlen, was sie hier bekommen. Deutschland ist ein Arbeitsland", ist Hamdoun überzeugt. Sein Traum wäre, am Maxim Gorki Theater in Berlin zu arbeiten. Wer weiß.
Trauer in Aktivität verwandeln
Bisher hat es sein Stück – und seine Inszenierung - "The Trip" ins Repertoire des Osnabrücker Theaters geschafft, und auch am Staatstheater Karlsruhe gab es schon eine szenische Lesung. Ein aktiver, kontaktfreudiger und selbstbestimmter Theatermann wie Anis Hamdoun ist immer noch selten in Zeiten, in denen Flüchtlinge auf den Bühnen trotz allen wohlmeinenden Theaterengagements immer noch eher als authentisches Leidensmaterial eingesetzt werden.
Vor zwei Jahren kam Hamdoun als UNO-Kontingentflüchtling mit seiner Frau vergleichsweise bequem mit einem selbst bezahlten Flug von Kairo über Istanbul nach Hannover, und dann nach Osnabrück. Sein Auge hat er im Februar 2012 verloren. Ein Granatsplitter. Zwei Tage Koma in einem Untergrund-Lazarett. Sein Freund Mazhar ist so ähnlich gestorben – ein Granatsplitter traf die Schläfe. Geflohen ist Hamdoun dennoch erst sechs Monate später, vor dem syrischen Geheimdienst, im August, zunächst nach Ägypten. Über ein Jahr wartete er in Kairo darauf, wie es weitergehen sollte.
Hamdoun verwandelt Trauer in Aktivität. Als er in Osnabrück angekommen war, meldete er sich recht bald am Theater und absolvierte dort mehrere Praktika. Zugleich begann er, mit seinem Freund Maan Mouslli den Video-Blog Achso from Osnabrück auf Englisch und Arabisch für in Osnabrück ankommende Flüchtlinge zu drehen, mit praktischen Tipps zur Wohnungs- und Jobsuche. "Achso from Osnabrück" hieß der, weil Hamdoun diesen deutschen Ausdruck so lustig fand – er spiegelt auch gerne zurück, was er so in Deutschland erlebt seit zwei Jahren.
Es war das Theater Osnabrück selbst, das ihn bat, sein eigenes Stück "The Trip" auch zu inszenieren, für die "Spieltriebe" (hier der Festivalbericht von Kai Bremer). Zunächst nur für das Festival geplant, ist das Stück nun so erfolgreich, dass sie monatlich auf dem Spielplan steht: "Der Januar ist schon ausverkauft", sagt Hamdoun und freut sich sichtlich. Und auch eine szenische Lesung am Staatstheater Karlsruhe gab es bereits, mit erregter Podiumsdiskussion anschließend, 95 Prozent aller Zuschauer seien geblieben, erzählt er fast erstaunt. "The Trip" bringt auf den Punkt, wie man sich wohl so fühlt, identitätsverloren aus der Hölle gestrandet zu sein im bürgerlich-friedlichen Osnabrück. Es ist eine melancholische Hommage an die Toten des Syrienkriegs und die Ratlosigkeit des Überlebenden – und auch immer wieder ein lustiger Vergleich von deutschen und syrischen Frühstücksgewohnheiten, gelber deutscher Käse gegen Kardamomkaffee. Aber vor allem ist "The Trip" eine autobiografische Hommage an seine ermordete Freunde.
Die meisten von ihnen wurden, fast ohne es zu wollen, Chronisten und Aktivisten des Arabischen Frühlings. In Hamdouns Osnabrücker 36-minütiger Inszenierung in einem leeren Ladenlokal ertönt ein Muezzin, kommt Sarah unter einem Grab aus Laken hervor, Sarah, die so gerne Ärztin werden wollte und sich, vergewaltigt im Gefängnis, umgebracht hat. Ihr Bruder Saleem, der während des arabischen Frühlings zum Filmemacher wurde, umkreist rastlos die Zuschauerreihen. Fast erstaunt konstatieren sie aus dem Jenseits, wie schnell und brutal ihre Träume beendet wurden. Die Szenen von Ramies Freund, der an der Granate starb, werden per Video aus Jordanien zugeschaltet, so, wie Flüchtlinge Freunde und Familie eben oft nur noch auf kleinen Bildschirmen erleben. Gespielt wird er vom in Syrien sehr bekannten Schauspieler Nawar Bulbul. Bulbul lebt heute in Amman und hat im Flüchtlingscamp Zaatari mit Kindern große Shakespeare-Projekte gestemmt – zuletzt einen auch von der New York Times bejubelten "King Lear".
Newcomer statt Flüchtling
Für seinen Willkommens-Videoblog hat Hamdoun heute kaum noch Zeit. "Zu viel zu tun", sagt er, auch wenn es noch kein Geld bringt. Zur Zeit schreibt er wieder ein Theaterstück, es geht unter anderem um eine deutsche Fluchthelferin. Er engagiert sich im Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge "Exil e.V.". Und dann, sein Herzensprojekt, bereitet er mit dem syrischen Freund Maan Moussli eine Dokufiktion mit dem Titel "Newcomer" vor: eine Bestandsaufnahme über die Leute, die Hamdoun eben nicht mehr bedürftig "Flüchtlinge", sondern konstruktiv-anpackend "Neuankömmlinge" nennen will. "50 Prozent der Deutschen stammen so gesehen von Newcomern ab“, sagt er, "auch wenn sie historisch gesehen aus dem Zweiten Weltkrieg stammen“. Der Osnabrücker Musiker Tommy Schneller, den er in der Vereinsarbeit kennengelernt hat, hat den Blues-Song "Arschkalte Art“ gespendet. Das Entgelt für jeden Download fließt in das Fimbudget. Um den Fim zu realisieren, werden etwa 400.000 Euro gebraucht. Über ein Caritas-Konto wird zudem eine Art Crowdfunding organisiert.
Zurückgehen nach Syrien, wenn der Frieden käme? Am liebsten würde Hamdoun in beiden Ländern leben. Wenn man ihn fragt, ob es in Deutschland eine Obergrenze für Flüchtlinge gibt, ist er sich sicher: "Deutschland kann viel mehr Syrern helfen als bereits hier sind. Sie werden eine Bereicherung sein. Deutschland sollte ihnen Visa geben, um ihnen so sichere Reisen zu ermöglichen wie mir – anstatt sie zu zwingen, über das Meer zu flüchten". Ohnehin ist er sich sicher: Wenn die Großmächte es wirklich wollten, könnte der Syrienkrieg schnell beendet sein.
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