Ergründe die Gottesnatur!

von Dirk Pilz

Potsdam, 30. März 2008. Es ist nichts passiert. Keinerlei Zwischenfälle, keine Kundgebung. Die Polizei schlich unauffällig ums Haus, Taschen durften nicht mit in den Zuschauerraum genommen werden. Das war's. Noch nicht einmal Buh-Rufe am Schluss. Soviel vorab.

"Die Satanischen Verse" von Salman Rushdie sind ein komplexes Buch. Überbordend die Sprache, wuchernde Symbolik, verästelte, untergründige Querverweise. Keine leichte Lektüre. Uwe Eric Laufenberg hat vor der Premiere gesagt, er glaube, dass zwar alle den Roman kennen, ihn aber kaum jemand gelesen hat. Auch ein Grund, das Buch auf die Bühne zu holen: Ein Theaterbesuch falle vielen Menschen leichter, als den Roman durchzulesen. Das muss man wissen, um sich eine Vorstellung von dieser vierstündigen Inszenierung zu machen.

Im schummrigen Innerlichkeitsland

Es ist nämlich so, dass Laufenberg den verschlungenen Handlungsverlauf des 1988 erschienenen Romans durchaus nachvollziehbar zu erzählen versteht, ohne die überreiche Stofffülle gänzlich einer bloßen Plot-Durchpeitsch-Dramaturgie zu opfern. Mit einer schlichten Bühnenverflachungsangelegenheit hat man es nicht zu tun; und das ist vielleicht das Beste, was sich von diesem Abend sagen lässt. Denn mehr als eine Ahnung liefert die Inszenierung auch wiederum nicht.

Was nicht daran liegt, dass die von Laufenberg (gemeinsam mit Marcus Mislin) erstellte Theaterfassung auf den Reichtum der Romansprache verzichtet (verzichten muss), die Feinheiten der theologischen, philosophischen, religionsgeschichtlichen Überlegungen einebnet (muss sie das?) und überhaupt natürlich dramaturgentechnische Kürzungen und Umstellungen vornimmt. Es liegt an der Spielweise. Es liegt daran, dass Laufenberg dazu neigt, im Zweifelsfall seine Schauspieler ins schummrige Innerlichkeitsland vor die neblige Kulisse des Pathoskitsches zu schicken, sie also groß auf Glaubhaftigkeit machen zu lassen und gleichzeitig aber immerfort in Opern-Posen-Bilder presst, so dass man eben allzu oft hinter den Gesten, Worten, Szenen die Leere gähnen sieht. Und wenn alles nix nützt, hat diese Regie immer ein hübsch vereindeutigendes Kostüm, Lichtgeflacker und Boxengesäusel parat – was es auch nicht besser macht.

Terror ist: Rrrrumms!

Gleich am Anfang zum Beispiel. Die beiden Hauptfiguren Gibril und Saladin sitzen plaudernd in ihren plüschroten Flugzeugstühlen, wenn die Bartgesichter-Terroristen hochspringen und eine verschleierte Handgranatenfrau brandredend an die Rampe marschiert. Man sieht: einen Unterwäsche-Sprengstoff-Gürtel, verschreckte Gesichter, hilfloses Opfergetue. Dann explodiert das Flugzeug und Laufenberg lässt es laut "Rrrrumms!" machen. Licht aus. Rrrrumms. So geht hier der Terror.

Oder die zentrale Szene, in dem lang monologisierend die Sache mit den satanischen Versen erklärt wird: Toks Körner hält das fragliche Büchlein in die Luft, schreitet aufgeregt die Rampe ab und spricht, spricht, spricht immerfort in einer Ton- und Stimmungslage. Und wieder denkt man: ging's nicht auch ein bisschen subtiler? Vielleicht nicht gar so bebildernd und jede Gefühls- und Gedankenregung schlicht veräußerlichend? Geht es für Laufenberg meistens nicht. Er lässt eine Szene nach der anderen auf die Bühne plumpsen. Ein Rushdie für Zwischendurch, so wirkt's am Ende. Es wirkt wie ein Beruhigungsdrink.

Dichter und Prophet

Bei Rushdie sprudelt die Erzählenergie mit der Phantasie um die Wette. Der tote Gibril ersteht als Erzengel Gabriel, Saladin als ein Teufelchen von den Toten. Sie irren durch die Welt, stranden bei ihren überrumpelten Liebsten, geraten in Traumsequenzen (sind's wirklich Träume?) und Streit: Gibril-Gabriel ist auch der Prophet Mahound in der fiktiven Stadt Jahilia, Saladin auch der Dichter Baal; der Streit geht über jene angeblich vom Satan eingeflüsterten Verse im Koran, für die Rushdie kurz nach dem Erscheinen des Buches mit der Fatwa belegt wurde (weshalb er bis heute als "gefährdete Person" gilt und es vor der Uraufführung einige Aufregung gab; siehe hier). Provozieren konnte (und kann) sich indes nur lassen, wer weder historisch noch (glaubens)kritisch denkt. Rushdies Erzählstrategie ist dabei aber weniger Koran-Kritik, er betreibt produktive Leser-Verwirrung.

Laufenberg stellt seine Zuschauer dagegen auf Durchzug. Eben weil's so zäh und absehbar und geheimnislos ist. Obwohl Robert Gallinowski als Gibril immerhin Anflüge von distanzierender Ironie und also ein schauspielerndes, kein bloß nacherzählendes Verhältnis zu seiner Figur, Tobias Rott als Saladin mitunter Einsprengsel von Irrationalitätsenergie, nicht nur Verdeutlichungsgesten hat und Anne Lebinsky ohnehin mit der Gabe des Vielformenspiels ausgestattet ist. Aber dieses sonst fortwährende einfache, direkte, ungebrochene Gesichter-Machen und Worte-Hinsagen. Dieses Szenenausmaltheater, das aufgeplusterte Innigkeitsgetue. Wie müde das einen macht.

P.S. Und "Faust"?

Saladin, das Teufelchen, stakst übrigens im Fell-Tanga auf Pferdefuß-High-Heels mit umgeschnalltem Riesenpimmel umher. Tags zuvor trug Tobias Rott die Verkleidung als Mephisto – das ist der wesentliche Link zu Laufenbergs Inszenierung von Goethes "Faust 1". Ein Kostüm. Aber "Die Satanischen Verse" als moderne "Faust 2"-Variante? Allenfalls auf sehr vergröberter Ebene. Passt aber zu dieser hemdsärmeligen "Faust 1"-Inszenierung des Vorabends, die vier Stunden lang nichts als lauter Nebelbomben zündet, also immer groß und bedeutend tut, dabei jedoch unbedarft auf der Oberfläche des Textes herumsurft und – ha!, welch Clou – alles überrumpelnd wörtlich nimmt. In Auerbachs Keller schießt tatsächlich der Wein aus der Tischplatte, zum Vorspiel auf dem Theater wird das Publikum auf die Bühne geholt, der Pudel im Studierzimmer ist wirklich Mephisto mit Gruselmaske. Ein bisschen Faust-Spektakelei war's, mehr nicht.


Die Satanischen Verse
nach dem Roman von Salman Rushdie in einer Bühnenfassung von Uwe Eric Laufenberg und Marcus Mislin (UA)
Regie: Uwe Eric Laufenberg, Bühne: Matthias Schaller, Kostüme: Nina Lepilina, Musik/Komposition: Serge Weber, Dramaturgie: Georg Kehren. Mit: Tobias Rott, Robert Gallinowski, Toks Körner, Caroline Lux, Anne Lebinsky , Rita Feldmeier, Nicoline Schubert, Roland Kuchenbuch, Moritz Führmann, Ulrich Rechenbach, Serkan Sahan, Helmut G. Fritzsch.

www.hot.potsdam.de

 

Kritikenrundschau

Dirk Pilz, er schreibt in der Berliner Zeitung (1.4.2008), hat Katharina Schlenders "Zufriedenen" gemocht: "Ein Drama, das zwar nicht die weihevollen Höhen der Weltliteraturhaftigkeit ersteigt, dafür aber an die Welt noch Fragen hat." Uwe Eric Laufenbergs "acht Stunden Hausherrentheater" davor, den 'Faust' und die 'Satanischen Verse' mochte er weniger: "Laufenberg schickt seine Schauspieler … ins schummrige Innerlichkeitsland vor die neblige Kulisse des Pathoskitsches, lässt sie also groß auf Glaubhaftigkeit machen und presst sie gleichzeitig immerfort in Opern-Posen-Bilder, so dass man hinter den Gesten, Worten, Szenen dauernd die Leere gähnen sieht." Von der Stoff- und Sprachfülle der Vorlage bekomme man allenfalls eine Ahnung, "von der Brisanz, der Erzähltiefe bleibt nur bleierne Bräsigkeit." Stellen, fragt Herr Pilz mit Blick auf das Gesamtprojekt weiter, "Die Satanischen Verse" eine moderne "Faust II"-Variante dar? "Höchstens auf sehr vergröberter Ebene. Denn auch diese hemdsärmelige Inszenierung zündet vier Stunden lang lauter Nebelbomben, schindet Eindruck, tut bedeutend, surft dabei jedoch unbedarft auf der Textoberfläche herum.

"Gemessen an der Anzahl der Kamerateams pro Quadratmeter, schreibt Irene Bazinger in der FAZ (1.4.2008), "wäre das Hans Otto Theater Potsdam zumindest letztes Wochenende der Nabel der Bühnenwelt gewesen." Doch dass die Premiere der "Satanischen Verse" nach Salman Rushdies Roman ganz und gar störungsfrei verlief, sei "die einzige gute Nachricht". Was Intendant Laufenberg "unter dem Titel 'Metamorphosen' als Kombination der 'Satanischen Verse' mit dem ersten Teil des 'Faust' durchaus interessant versprach, vermochte er als Regisseur nicht im Geringsten zu halten." Zwar seien die Korrespondenzen im "Ringen um Identität und Wahrheit, Liebe und Politik, Heimat und Zukunft, Glück und Gott" einleuchtend, doch egal, "wer was treibt oder nicht an diesen jeweils vierstündigen Abenden, bei Laufenberg wird alles wie unter einer Regie-Käseglocke gezeigt." Man buchstabiere sich "verkrampft bis verstockt durch Goethes oder Rushdies Texte" und plappere sie "kreuzbrav, übereifrig, oft einfach unverständlich nach. Rennt ins Publikum oder wackelt mit dem nackten Hinterteil." Der Kosmos des "Faust" werde genauso wie das "Handlungsgewebe der 'Satanischen Verse' nicht einmal gestreift, geschweige denn interpretiert, sondern … hausbacken illustriert - und verfehlt."

Petra Kohse berichtet in der Frankfurter Rundschau (1.4.2008), dass Laufenberg die "Satanischen Verse" als "wunderbare moderne Fortschreibung von Goethes Faust" lese. Und wirklich stelle Rushdies Roman so etwas wie einen Kommentar zu der Frage dar, was die Welt im Innersten zusammenhält, auf "herrlich überbordende Weise werden hier aus zahlreichen kulturellen und religiösen Motiven immer neue Kerne herausgeschält und feuerwerksartig wieder zum Platzen gebracht." Die Potsdamer Theater-Fassung der "Satanischen Verse" sei "okay", vielleicht etwas verwirrend, "alles" habe "mit allem zu tun, ohne dass die Sache psychologisch erklärt würde." Dass Laufenbergs Ästhetik zudem einen menschelnden Theaterrealismus bediene und "Erfüllung im Effekt sucht, hilft analytisch auch nicht auf. Der Projektgedanke blieb in der Materialorganisation stecken." Das indes, schreibt Frau Kohse, sei nicht gering zu achten. "Auch wenn erst nächste Inszenierungen diesen Stoff für die Bühne wirklich nutzen werden, wird es doch Laufenberg bleiben, der ihn dorthin geholt hat."

Auf der Potsdamer Bühne, schreibt Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung (1.4.2008) kam in den "Satanischen Versen" "das schwarz gewandete Terrorkommando beim Sprengen der Passagiermaschine ... nicht recht voran. Minutenlang musste die tief verschleierte Terroristin ihre Handgranate in die Luft halten, ehe sie die Sprengladung in Anschlag bringen durfte." Das liege daran, dass Salman Rushdie die "Abschweifungen und Überblendungen, die leibhaftig auftretenden Dämonen des magischen Realismus" liebe. Uwe Eric Laufenberg und sein Mitarbeiter Marcus Mislin hätten den Roman zwar "energisch gekürzt, der epischen Fülle aber keine eigene Formidee entgegengesetzt." Obschon es oft sehr laut und immer grell bunt zugehe, bliebe doch die schlichte und friedlich in sich selbst ruhende Botschaft von Salman Rushdies Roman hörbar: "Es ist die Zufriedenheit des aufgeklärten Atheismus mit sich selbst ... Seine zentrale Pointe ist die Diskreditierung des Monotheismus überhaupt." Trotz der von ihm als verbindendes Thema identifizierten Religiösität verzichte Laufenbergs Fassung des "Faust" darauf die Gretchen-Tragödie in den Mittelpunkt zu stellen. Weil zudem "mancher schlüssige Regieeinfall … in seiner umständlichen Realisierung" untergehe, sei dieser "Faust" "keine Herausforderung für Rushdies Religionsabfertigung."

Das Theater und seine Umstände waren "überraschend unspektakulär", befindet Reinhard Wengierek in der Welt (1.4.2008). Aber - wenig überraschend angesichts der verworrenen Vielschichtigkeit des Werks – es war auch: "langatmig" und "undramatisch." Obgleich die Regie sich alle erdenkliche Mühe gegeben habe, "dem trotz starken Beschnitts noch immer weitmaschigen Geschichtengewebe mit karnevaleskem Allotria dramatisch aufzuhelfen." Rushdies Grundthema, dass "Gottes Wort, die Offenbarung, der Koran, Menschenwerk" ist, sei deutlich geworden. Während Rushdies Roman ein "historisch-philosophisches Denkspiel", sei, "verpackt in ein opulent schillerndes, so süßes wie blutrünstiges Märchen voll saftig ausschweifender Fantasie", müsse die Kurzfassung auf der Bühne als "bescheiden schüchterner, zuweilen auch hilfloser theatralischer Versuch gelten". Und obwohl "Faust I" unter Laufenbergs Regie "arg fad" geraten sei, handele es sich bei diesem "west-östlichen Divan" um einen "feinen Coup".

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