Kolumne: Queer Royal – Georg Kasch über David Bowie und wie man ihn doch noch überholen kann
Hört David Bowie!
von Georg Kasch
12. Januar 2016. Was ist das nur mit der Menschheit und der Welt? Kriege, Katastrophen, Flüchtende, die Nacht von Köln und die unsäglichen Reaktionen darauf. Was soll man glauben? Und vor allem: woran? Nun ist zu allem Überfluss auch noch David Bowie tot. Dabei schien er unsterblich, ewig jung, wie von einem anderen Stern. Er, der den Pop revolutionierte und queerness mainstreamfähig machte, vollkommen unabhängig davon, mit wem er letztlich ins Bett stieg.
Mit der Musik ist es ja wie mit dem Theater: Sie macht aus einem keinen besseren Menschen, predigt zu den Bekehrten und spricht zuweilen auch zu Arschlöchern. Sie ist sinnlos und zugleich voller Sinn für diejenigen, die ihn in ihr finden. Doch David Bowie war noch mehr als seine Musik. Er war ein öffentlich Suchender, ein Spieler und Identitätsjongleur. Einer, der zeigte, dass Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung durchaus fließend sein können: mit seinen Coming Outs als Schwuler (1972), als Bi- (1976), schließlich als Heterosexueller (1983). Selbst da sah er noch so aus wie Julie Andrews in "Victor / Victoria" oder Tilda Swinton (mit der er einmal die Rollen tauschte). Also hinreißend.
Kokettieren mit dem Verbotenen
Man muss ja nicht mal was von Bowies Musik verstehen, um sich seine Glamrock-Plakate und -Cover der 70er an die Wand hängen zu wollen. Um sein Make-Up zu kopieren. Ihn um seine glitzernden Kostüme zu beneiden. Die lässig-traurige Blasiertheit zu schätzen, die aus ihm schwitzte. Als er die Rolle des Ziggy Stardust erfand, diesen androgynen, pansexuellen Traum von einem Rockstar, und später mit Romy Haag eine Beziehung führte, war das natürlich ein Kokettieren mit dem Verbotenen, dem Anti-Bürgerlichen. Aber eben auch eine öffentliche Performance, die ihn durch und trotz seiner Rollenwechsel zum Rollenmodell machte.
Bowie ist tot. Aber auch jetzt gilt, was eine Internet-Trouvaille leider unbekannter Herkunft noch zu seinen Lebzeiten riet: "Im Zweifelsfall: Hör David Bowie. 1968 war Bowie ein schwuler, rothaariger Freak mit Silberblick und schiefen Zähnen, der im Kleid durch Südlondon lief und von Schlägertypen angepöbelt wurde. Vier Jahre später war er immer noch derselbe – nur wollten jetzt alle anderen wie er sein. Wenn David Bowie David Bowie cool sein lassen kann, kriegst auch du hin, als du selbst cool zu sein. Außerdem: Anders als David Bowie kannst du zur Inspiration David Bowie hören. Also bist du ihm eins voraus. Du bist David Bowie bereits einen Schritt voraus."
Im Moment sind wir ihm wohl eher noch einen Schritt hinterher. Die Zeit sollten wir nutzen. Ganz gleich, ob als Absolute Beginners oder als Heroes: Let’s dance!
Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de.Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" versucht er, jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt zu blicken.
Zuletzt kolumnierte Georg Kasch über die Widersprüche der Konservativen, u.a. am Beispiel der Reaktionen auf Falk Richters Stück Fear.
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