Europa, du In-Kontinent!

von Sascha Ehlert

Berlin, 16. Januar 2015. Ursina Lardi hat Pippi in den Augen. Sie rafft ihr Kleid, schaut konzentriert ins Bühnenrund, und dann: ein Rinnsal. Sie erzählt aus einem Alptraum, die Pfütze zwischen ihren Beinen allerdings, die ist echt. Jene Szene, in der die als idealtypische Vertreterin der herrschenden Klasse treffsicher besetzte Schaubühnen-Darstellerin im strengen blauen Kleid davon erzählt, wie sie ihrer afrikanischen Freundin auf den Kopf uriniert und anschließend einen grausamen Tod sterben lässt, markiert den späten Wendepunkt einer Inszenierung, die bis dahin kaum überraschte. Vor allem deshalb, weil das Vorabrauschen im Blätterwald so laut gewesen war, dass man zwangsläufig wusste, worum es an diesem Abend gehen würde, bevor man überhaupt am Lehniner Platz stand.

Charity und Betroffenheits-Posts auf Facebook sind nett gemeint, aber eigentlich nicht mehr als zynischer Ausdruck von zentraleuropäischem Egozentrismus – und wir beziehungsweise unser Reichtum letztendlich verantwortlich für Massenarmut und Massenmorde auf dem afrikanischen Kontinent. Der Schweizer Theatermacher und Aktivist Milo Rau gibt im Namen dieser Erkenntnis Interviews und schreibt Essays, die voll aufklärerischem Furor nicht weniger als das Ende der Festung Europa einfordern. "Retten wir gemeinsam die Welt", ruft der Idealist Rau ins Presserund. "Warum sollten wir nicht, wenn auch nur für eine Saison, die alte Schlingensief-Rolle der ironischen Negation aufgeben und, sagen wir es offen: staatstragend arbeiten?"

Hilfe, wo ist meine Yoga-Matte?

Raus Inszenierung "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" in der Schaubühne Berlin nun folgt bis zu besagter Piss-Szene so programmatisch dieser Direktive, dass man sich zwischendurch zu langweilen beginnt. Nachdem Consolate Sipérius, in Brüssel lebende Schauspielerin aus Burundi, der Kamera ihre persönliche Fluchtgeschichte erzählen durfte, übernimmt schnell Ursina Lardi das Zepter. Zunächst auch auf der Leinwand, dann in physischer Gestalt. Kurz beäugt sie ihr Leinwand-Ich kritisch, aber dann erzählt sie in Einklang mit diesem mit staatstragender, expressiver Mimik.

Mitleid 560 DanielSeiffert uGuckt mal, der arme Flüchtling! Ursina Lardi © Daniel Seiffert

Sie spielt sich selbst als unerträglich zynische und rassistische Schauspielerin, die zu Recherchezwecken in den Kongo zurückkehrt, wo sie einst für eine NGO gearbeitet hat. Wenn etwas nicht ihr bekannten Regeln folgt, dann schreit sie und ruft nach ihrer Yoga-Matte. Typisch deutsch! Sich an die natürliche Langsamkeit des afrikanischen Lebens anzupassen, käme ihr nicht im Traum in den Sinn. Kurzum: Sie ist eine unerträgliche Person. Nachdem Lardi die Bühne betreten hat, muss Sipérius mucksmäuschenstill sein. Klar, die weiße Frau redet über die Leid-geplagten Afrikaner – ein Monolog, kein Dialog. Raus Karikatur eurozentristischer Ignoranz gerät aber leider über weite Strecken so penetrant, dass sie selbst wirkt wie die "Zeigefinger-Kritik", die er in einem im Programmheft abgedruckten Interview entschieden ablehnt.

Grand Finale mit Kalaschnikows

Ausnahme ist das Ende. Nachdem Lardi fertig ist mit Pinkeln, ruft sie: "Jesus gibt mir Kraft!" und geht ab. Auftritt Sipérius, die von der großen Leinwand herab von der "Rache des Riesengesichts" aus Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" erzählt. Sie berichtet, wie die Jüdin Shoshanne Dreyfuß in einem Kino auf der Leinwand auftaucht und Rache an Nazi-Deutschland nimmt, wie sie Goebbels und Hitler mit Maschinengewehren erschießen lässt. Als das Riesengesicht von Sipérius dies ausführt, muss sie lächeln: "Mein Regisseur meinte, ziel doch mit der AK-47 auf das Publikum, während du das sagst."

Obwohl Rau hier doch immerhin andeutet, die Genozide in Afrika, für die Europa Mitverantwortung trägt, seien gleichzusetzen mit dem Holocaust, fällt der Schlussapplaus der Seidenschalträger im Schaubühnen-Globe generös aus. Vermutlich wäre "Mitleid" ehrlicher und wirkungsvoller, hätte Rau zum Grande Finale echte Kalaschnikow-Menschen in den Gängen aufmarschieren lassen. Auf jeden Fall wäre es tatsächlich radikal.

Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs
von Milo Rau
Regie: Milo Rau, Bühne und Kostüme: Anton Lukas, Video und Sound: Marc Stephan, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Mitarbeit Recherche/Dramaturgie: Mirjam Knapp, Stefan Bläske, Licht: Erich Schneider.
Mit: Ursina Lardi, Consolate Sipérius.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Kritikenrundschau

"Schrecklich ist dieser Abend und erschütternd und mit allem Vor und Danach ein erstaunliches Reflexionsspiel", ist Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (18.1.2016) beeindruckt. "Es ist der selektive Blick, das Sehen des einen und Übersehen des anderen Leids, das Rau uns in Gestalt der zynischen, sanft-rassistischen Ursina-Lardi vor Augen hält: ein wohldosierter Zynismus, den wir im Gefolge der Mainstreammedien täglich vollziehen."

"'Mitleid' ist ein verstörender Abend, der mit einfachen Gewissheiten aufräumt. Aufwühlend auch dank der großartigen Darstellerinnen", schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (18.1.2016). Das Stück sei "nicht nur Anklage". "Gerade wenn es die moralischen Ambivalenzen der hilflosen Helfer ausleuchtet, wird es zum Appell für Menschlichkeit."

"Ein verstörender Abend. Und hochaktueller Beitrag zu laufenden Debatten", findet Eberhard Spreng auf Deutschlandfunk (17.1.2016). Milo Rau verletze Klischee-Botschaften der medialen Erregungsproduktion. "Die Dinge sind nicht, was sie scheinen sollen, hinter jeder Bildebene steckt eine andere, Verborgene." Aber im Kern geht es Rau um die bittere Erkenntnis einer jungen Frau, die ihre hehren Vorstellungen verraten muss – als NGO-Helferin. "'Was ist deine Situation' bleibt Raus zentrale Frage beim Ausloten des moralisch Möglichen."

Als Autor wie als Regisseur bringe Milo Rau seinen "harten Stoff" "präzise und bewegend auf die effektvoll zugemüllte Bühne", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.1.2016). Viel Neues sei nicht zu hören, "das hätte wohl kaum jemand erwartet", aber wie "diese kühle theatralische Lektion in Sachen Politik und Geschäft" erteilt werde, sei eine "unbequeme und dabei elektrisierende Herausforderung", so Bazinger: "Die Welt wird in knapp zwei Stunden bestimmt nicht gerettet, aber schlechter wenigstens auch nicht."

"Konsequenz im Kampf sieht anders aus", befindet Michael Laages im Deutschlandradio Kultur (16.1.2016). Der Kritiker wundert sich, warum dieser Abend nun ausgerchnet NGO-Helfer kritisiert, und befragt die Rahmensituation dieses Theaterabends: "Mit stählernem Besen kehrt dieser Abend aus unter vermeintlichen 'Gutmenschen'. Das ließe sich akzeptieren – aber vielleicht noch nie hat so sehr gestört, dass dieses Großreinemachen exakt vor jenen freundlich-friedlich Beifall (und auch sonst gern) spendenden Zeitgenossen stattfindet, die gemeint sind."

Raus neuester Abend ist für Mounia Meiborg von der Süddeutschen Zeitung (19.1.2016) "nicht nur eine beeindruckende Reflexion über den Umgang mit dem Leid der Anderen. Es ist zugleich eine kritische Selbstbefragung des Theaters." Im Dienste der Aufklärung wiederhole Raus Abend die von ihm kritisierten Muster, um sie offenzulegen: "Den Rassismus weißer Theatermacher, bei denen schwarze Darsteller oft als Zeugen ihrer eigenen Geschichte vorkommen und nicht als vollwertige Schauspieler. Mediale Erregungs-Reflexe, die so oft an der falschen Stelle einsetzen – meist dort wo gerade Fotografen sind."

Das Stück thematisiere nicht nur die "Funktion und Funktionalisierung von Mitleid", sondern zeige auch das "stete Hinterfragen der eigenen Gründe", schreibt Katrin Bettina Müller in der taz (19.1.2016). "Das macht die Inszenierung aufregend", so die Kritikerin. Zu dem sei "Mitleid" ein "Stück gegen die Überwältigungsästhetik der Bilder in den alltäglichen Medien, gegen das dramatische Erzeugen von Gefühlen mit den Nachrichtenbildern, gegen die Permanenz der Steigerung ins Schlimmere."

Einer "atemraubenden Performance" hat Barbara Villiger Heilig von der Neuen Zürcher Zeitung (19.1.2016) in Berlin beigewohnt. "Das Faszinosum dieses Experiments zwischen Theatertheorie, Doku- und Erzähltheater ist Ursina Lardi selbst. Meist steht sie am Rednerpult. Aber wer spricht hier, und zu wem? Die Erinnerung ist's, oder anders: eine Kunstfigur, welche minuziös einen Erinnerungsprozess vorführt, indem sie mit sich selbst spricht." 

Kommentare  
Mitleid, Berlin: Atemnot?
hm, ist es so platt, das der erste gedanke, in bühnenlicht getaucht, inszenatorisch keinen weiteren zulässt? weil auch die ökonomie des theatermachens der von ngos folgt: ist der claim besetzt macht sich heimlige dummheit breit? die in maassen perfide grundanordnung, weisse barby lässt uns an ihren vertrockneten leidensstroemen teilhaben, schwarze orginalüberlebende (schauspielerin aus belgien) darf die schwarze orginalüberlebende spielen, natürlich im schatten der weissen kulturheroin, ihr assistieren etc.. und man meint die ganze zeit zu spüren, das der abend nicht vom (dramaturgisch vermüllten) fleck kommt, weil der autor sein eigenen text inszeniert, weil der autor ein weisser westlicher mittelklasse mann ist, weil die dramaturgie das plubikum des südlichen kudamms für so dumm wie die ngos ihre schutzbefohlenen halten? weil das handwerkliche ausmalen der oberfläche dann doch ein paar mehr theatrale zusatzmittel braucht um nicht einzuschlafen und begriffe wie mitleid, gerechtigkeit etc nicht nur auf eine kreidetafel zu malen sondern sie in mit wums zu inszenieren? zu befragen, atemnot und atemlosigkeit anzupeilen?
Mitleid, Berlin: Inforadio-Kritik
Aha? Ute Büsing auf Inforadio z. B. hat ein vielschichtiges Bewusstseins-Drama gesehen: "Mitwisserschaft mündet in die tragische Einsicht von Mittäterschaft... stark."

https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/201601/229970.html
Mitleid, Berlin: für die Rüstungsindustrie
"Am Ende, so heißt es, kommt es darauf an, wer die Maschinengewehre hat... Stark!" - ist ja ne tolle Aussage. Voll differenziert. Voll pazifistisch. Voll humanistisch. Weiter so, für die deutsche Rüstungsindustrie, die ihre Waffen in alle Welt schickt bzw. verkauft!
Mitleid, Berlin: theatral enttäuschend, inhaltlich gut
'In welcher Situation befinden wir uns denn?' fragt die Schauspielerin zu beginn, macht damit eine Metaebene des Stücks auf und verweist auf den globalisierten Blick auf das Weltgeschehen der auch die Zuschauer betrifft. Das ist konzeptionell interessant jedoch nur auf dem Papier, denn die Beteuerung im Moment zu sein und das Publikum zu befragen ist nur Fassade. Das Publikum bleibt im Dunekln, der Text aufgesagt, so dass sich eine eventuell performative und dokumentarische Ebene nicht recht ausmachen lässt.Theatral enttäuschend war diese erste Begegnung mit einer Inszenierung von diesem Regisseur. DENNOCH Milau Rau versucht in Bezug zu setzen, Theater, Zuschauer das Weltgeschehen. Das ist toll und zu selten der Fall. Schön mit inhaltlichen Gedanken aus dem Theater zu gehen. Danke
Mitleid, Berlin: mager
Castorf sagte mal auf einer Konzeptionsprobe " Die Deutschen drehen sich nur um ihre eigene Geschichte" nur um im nächsten Stück welches er auf die Bühne bringen sollte dies zu wiederholen. Auch Milo Rau folgt besagten Schema. Nun ist es vielleicht eher der Eurozentrismus, aber die Behauptung das wir da nicht rauskommen können halte ich für fragwürdig. Eine Zeitzeugin im Hintergrund kaum etwas sagen zu lassen, ist genauso überflüssig, wie die Introspektion der zynischen NGO Helferin, eine patchwork Kunstfigur die mit realen Erlebnissen gespeist sein soll. Es wäre doch interesant gewesen, genauer zu analysieren warum NGO s nicht funktionieren. Also die Mechanismen auszustellen. OK, vielleicht eher was für Kroesinger. Der Genozid in Ruanda, als die wirkliche 4 te Wand, vor der die Weltgemeinschaft stand und zusah. Eines der abscheulichsten Verbrechen der Menschheit. Da ist so vieles in diesem Thema. Und was auf der Bühne den Regisseur und vielleicht die Schauspieler interesiert ist für mich nicht so interesant. Es ist nett gemacht, sie spielen nicht schlecht, und die einzige Szene die mich doch ein wenig begeistert hat, ist die in der auf Franz Fanons Verdammte dieser Erde eingegangen wird. Aber auch dies wird nur kurz aufgegriffen, um es dann wieder fallen zu lassen. Also für ein Stück das soviel Recherche bedurft haben soll, ist das Endprodukt ein wenig mager.
Mitleid, Berlin: Unterhaltungsformat
Der Abend war sehr anspruchsvoll entwickelt, mit vielen Assoziationen, Zitaten, dem Spiel mit verschiedenen Methoden und Formen der Präsentation. Nur Theater war es nicht.
Weder die Recherche war weitgehend genug ausgeführt, dass wir etwas Neues, Unerhörtes erfahren hätten, noch wurden die Zitate richtig eingebracht. Franz Fanon, zum Beispiel, wurde in einen völlig anderen Kontext gesetzt. Peinlich. Vieles zu komplex und unklar, ohne Faden.
Ich habe an diesem Abend lange überlegt, wie man diesen Abend einordnen könnte, wenn es kein Theater ist (Theater darf nicht zum Sammelbecken aller Formate und Ausdrucksformen werden, die nicht einordenbar sind.). Ich habe eher an ein journalistisches Unterhaltungsformat gedacht, das mich an halbdokumentarische Fernsehstoffe erinnert. Nur waren dort die Recherchen sauberer ausgeführt.
Ich wünschte mir, dass dieser kluge Mann endlich einmal zur Ruhe kommt, seine Weltwut in etwas fließen läßt, dass eine gewissen Nachhaltigkeit hat, entweder als Gründer einer neuen NGO oder als Journalist. Nur bitte nicht im Theater.
Schade um die Budgets, die für eine freie Theatergruppe oder ein armes Theater Polster für viele spannende Projekte gewesen wären.
Mitleid, Berlin: Links zu Kritikern
Liebe Nachtkritik,

bitte updated eure Presseschau um diesen wichtigen Artikel von Michael Laages, der keineswegs begeistert oder beeindruckt war. http://www.deutschlandradiokultur.de/mitleid-theaterabend-von-milo-rau-grossreinemachen-unter.1013.de.html?dram:article_id=342815

Und hier ein weiterer kritischer Beitrag:
http://www.tt.com/home/11004814-91/mitleid-an-der-schaub%C3%BChne-neues-projekt-von-milo-rau-uraufgef%C3%BChrt.csp
Mitleid, Berlin: Wer Politik machen will, macht Politik
Wer Politik machen will, macht Politik. Und wer Revolution machen will, am besten Revolution. Der geht doch nicht ins Theater, um sich dort dafür subventionieren zu lassen, dass er verkünden lässt, dass er eigentlich gern Politik machen würde oder Revolution. Das ist doch ... ein Umweg.
Mitleid, Berlin: Interview-Links
Den dem Stück zurgrundeliegenden Mitleids-/Realismus/Humanismus-Begriff reflektiert Rau nochmal in den zwei Langinterviews in den aktuellen Ausgaben von "Jungle World" und "Welt" - und nimmt dabei auch versch. Punkte der Kritik/Debatte um das Stück auf:

http://jungle-world.com/artikel/2016/03/53369.html

http://www.welt.de/kultur/buehne-konzert/article151350224/In-jedem-von-uns-steckt-ein-Pegidist.html
Mitleid, Berlin: undifferenziert
Ich habe wie Sascha Ehlert auch einiges an dem Abend auszusetzen.

(...)

Das Problem dieses Abends ist, dass er kaum über dieses bereits Bekannte hinausgeht, sondern stattdessen fast zwei Stunden lang immer wieder in dieselbe Kerbe hineinhämmert. Ursina Lardi hat die undankbare Aufgabe, eine zynische Entwicklungshelferin zu spielen. Sie stakst über die wie in einem Slum zugemüllte Bühne, ihr Monolog wird parallel großformatig auf die Rückwand projiziert.

Es ist durchaus beeindruckend, wie Lardi ihre Figur spielt, die aus mehreren Interviews mit NGO-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammengesampelt ist: makellos schön in ihrem eleganten blauen Kleid und entsetzlich unsympathisch in ihrer Borniertheit und ihren rassistischen Untertönen.

(...)

rbb-inforadio fasst in der Überschrift treffend zusammen, was uns hier geboten wird: eine Abrechnung mit der Mitleids-Industrie. Es ist sicher legitim und notwendig, auch die Arbeit der Hilfsorganisationen kritisch zu hinterfragen: Die UNO sei immer als erste weg, heißt es. Die NGOs, über deren kreative Namen sich der Abend lustig macht, buhlten um Spenden und graben sich gegenseitig das Wasser ab. Während sich die Spirale der Gewalt weiterdreht, sind sie ein hilfloser Teil davon.

Aber das Erschreckende an diesem Abend ist, wie undifferenziert Milo Raus Inszenierung bleibt. Es ist überraschend, dass ausgerechnet Milo Rau, der beim „Kongo Tribunal“ bewies, wie akribisch und differenzierend er arbeiten kann, eine Inszenierung abliefert, die so „wenig subtil und moralisierend, zu sehr 1:1“ (3sat kulturzeit) ist, anstatt zum Denken anzuregen.

Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/27406-politisches-theater-brechts-mutter-mit-ursula-werner-und-ernst-busch-nachwuchs-ursina-lardi-als-zynische-ngo-frau-in-milo-raus-polemischem-theater-essay-mitleid-und-kleiner-mann-was-nun.html

Link zum 3sat-Bericht: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=56489
Mitleid, Berlin: scharfe Anklage gegen Mitleidshysterie
Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs ist eine scharfe Anklage gegen die westliche Mitleidshysterie und Hilfsindustrie, die Rau uns entgegenschleudert, weil er darin nur Narzissmus und Zynismus findet, einen Blick, der eigentlich immer nur uns sieht und der entscheidet, wer mitleidswürdig ist und wer nicht. Ein Blick, den Lardis Figur teilt und zugleich erkennt. Und so kippt die Eindeutigkeit des Abends irgendwann, weiß der Zuschauer nicht mehr, ob Lardis Tränen zynische Pose oder echte Trauer sind, halten sich Zynismus und die Wut über die eigene Hilflosigkeit die Wage. “Hier zu weinen, das wäre wirklich das Allerletzte”, sagt sie. Unter Tränen. Und plötzlich ist das alles gar nicht mehr so einfach, auch wenn Rau Lardi die Mittäterschaft auf eher drastische weise ausagieren lässt. Das entsetzen, die hilflose Wut über das Geschehen, die eigene Rolle, unsere Blindheit, ist in ihr zu spüren, das Diktum “Am Ende der Geschichte kommt es eben darauf an, wer die Maschinengewehre hat” ein bitteres. “Alle sind Arschlöcher”, fasst sie das Motto des abends zusammen und untergräbt es doch. Am Ende also Kinderlachen. Ein wenig Hoffnung inmitten der Erschütterung, die den Zuschauer durchfährt und die ihn selbst trifft. Es ist nicht einfach, danach wieder hinauszutreten in die banale Berliner Nacht. Und das ist auch ganz gut so.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2016/01/30/falsches-mitleid-echter-mull/
Mitleid, Berlin: Zynismus oder Dummheit?
Der Abend war erschreckend DUMM. Seltsam, wie weder Kritker noch Kommentatoren darüber Worte verlieren. Ein Text, der kein Klischee ausläßt ("Wenn die Massaker zu laut werden, lege ich ganz laut Beethoven auf"), eine Schauspielerin, die aus ihrem Psycho-Schaubühnen-Großschauspielerin-Gefühlskanon nicht ausbrechen kann oder soll oder will: Sie soll laut Text eine Figur darstellen, die kein Mitleid kennt-aber als Performern hat sie das ständige Ziel, uns zu zeigen, wie tief und sensibel sie ist, und dass sie, laut Text "zu 100 Prozent da ist, im Jetzt", also dass sie der Abend unglaublich viel kostet. Ist das Zynismus oder Dummheit des Regisseurs? Ist diese Eitelkeit der Darstellerin aus Versehen ausgestellt oder ist sie Prinzip? In beiden Fällen sehr peinlich. Warum man auf einer Bühne in Charlottenburg im Strickkleid NGO-Mitarbeiter bashen muss: Wem nützt es? Michael Laages sei für seine unbestechliche Kritik gedankt: Selten einen so eitlen, unnützen Abend gesehen.
Mitleid, Berlin: das Klügste
Das Tollste, Klügste und Vielschichtigste was ich seit langem gesehen habe.
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