Ich will einen großen Knall!

von Michael Isenberg

Jena, 28. Januar 2016. Und schon wieder ein Theaterstück über Pegida! Steckt mehr dahinter als platter Willen zur Aktualität (FAZ über "Maß für Maß" von Tilmann Köhler), fahrlässiger Analogiebildung (nachtkritik.de über "Der schwarze Obelisk" von Marco Štorman) und vor Ratlosigkeit ausbleibender Analyse (nachtkritik.de über "Fear" von Falk Richter)? Geht es hier um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema oder doch nur um ein Anreichern eines hinlänglich bekannten Stoffes mit ein bisschen montäglicher "Grusel-Peepshow" (DIE ZEIT)?

Aus dem Schatten des Vietnamkriegs ins Dunkel der Pegida

Der Regisseur Sebastian Martin und die Dramaturgin Diana Insel haben den Film "Taxi Driver“ von Martin Scorsese nach einem Drehbuch von Paul Schrader für das Theaterhaus Jena adaptiert und mit einer guten Portion Fremdtexten versehen, die den Stoff aus dem Vietnam-Nachkriegs-Amerika der 1970er-Jahre in die Gegenwart der selbsternannten "patriotischen Europäer" holen.

Der Einzelgänger Travis ist hier ein Verlierer auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt, für den nach einem erniedrigenden Bewerbungsverfahren "nur" der Job eines Taxifahrers rausspringt. Travis ist einer von vielen, ist auf der Bühne also konsequenterweise nicht nur einmal, sondern gleich dreimal vertreten. Benjamin Mährlein verkörpert ihn mit einer militanten, doch gleichsam geheimnisvollen Biederkeit, Leander Gerdes mit jugendlichem Protestgestus – ein Deutschlandfähnchen auf den Parka aufgenäht – und Maciej Zera mit naiver, fast schon sympathischer Prolligkeit.

TAXIDRIVER5 560 JoachimDette uZersplitterte Identität: Leander Gerdes, Maciej Zera und Benjamin Mährlein (hinten) spielen den Einzelgänger Travis © Joachim Dette

Wir sehen Travis beim Besuch eines Sexkinos. Während er bei Scorsese eher teilnahmslos dem Stöhnen zuschaut, kriegen wir hier noch obendrauf eine Massage mit slapstickartig missglücktem Happy End erzählt. In verzweifelt pubertären, letztendlich zum Scheitern verurteilten Liebesbemühungen nähert sich Travis Betsy (Klara Pfeiffer) der attraktiven Wahlkampfhelferin des Präsidentschaftskandidaten Palantine. Mährlein schlüpft auch in die Rolle des schmierigen Populisten (oder ist der nur Travis' Projektion?), spreizt die Finger zum angedeuteten Hitlergruß und sondert immer wieder, teils etwas plump hineinmontiertes, nationalistisches, rassistisches und homophobes Textgemisch zwischen Lutz Bachmann, Björn Höcke, Jürgen Möllemann (!) und Xavier Naidoo ab.

Da wird ein richtiger Regen kommen

Und wie in Scorseses Film verstrickt sich der Niemand Travis mehr und mehr in der Attraktivität jener politischen Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien, gepaart mit aus privaten Minderwertigkeitsgefühlen gespeistem Heldenwahn: "Ich will einen großen Knall – ganz dringend." Sehnsucht nach einem Regen, der "den ganzen Dreck" wegspült. Dem Team des Abends gelingt es mit reduzierten Mitteln – nur in wenigen Momenten zu holzschnittartig und zu beflissentlich analogisierend – die Filmhandlung auf der Text- und Bildebene unmittelbar ins Hier und Jetzt zu holen. Unweigerlich denkt man bei Travis an selbsternannte Bürgerwehren und Einzeltäter wie Anders Breivik oder Frank S., der die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker im Herbst letzten Jahres mit einem Messer attackierte.

Neben dem abstrakt gehaltenen Bühnenraum (Ausstattung: Kaja Bierbrauer, Video: Bastian Klügel), einer immer rutschiger werdenden Rampe in einem Pfützenmeer und einer bedrohlichen Soundkulisse zwischen Schubert, Tinnitus und Volkslied (Musik: Oliver Jahn), sind es vor allem die Doppel- und Mehrfachbesetzungen, die dem Abend die nötige Tiefe und Vielschichtigkeit jenseits vordergründiger Aktualisierung verleihen. Travis ist hier kein undurchsichtiger Cowboy im Werden wie Robert De Niro im Film, sondern ein zerrissener Mensch, der unterschiedliche Wege einschlägt und sich an sich selber aufreibt. Aus der berühmtesten Szene des Filmes, dem Duell Travis' mit seinem Spiegelbild, macht Martin ein nicht enden wollendes Duell Mann gegen Mann plus Souffleur.

TAXIDRIVER 560 JoachimDette uVerzweifelte Liebesbemühungen: Betsy (Klara Pfeiffer) und Travis (Benjamin Mährlein)
© Joachim Dette

Auch Klara Pfeiffer ist mehr als die reine Engelsgestalt Betsy im Brautkleid. Sie schlüpft in die Rolle des perversen Fahrgasts, des zuvorkommenden Waffenhändlers oder der dem allgemeinen Männlichkeitswahn ausgelieferten Prostituierten. Ihr Opfermythos ist das Gewand, in das sich gegen Ende des Abends eine der Travisfiguren kleidet, um, letztlich ermordet von einem anderen Travis, selbstgerecht für die Wahrheit – die Wahrheit reduziert auf ein AfD-Grundsatzprogramm – zu sterben. Eine mögliche Lesart dieser perfiden Schlusspointe: Im Kampf für die eigene Interpretation von Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit kann dem Wahnhaften nur jede erdenkliche Rolle recht sein – egal ob Rächer oder Märtyrer.

Ohne Zweifel ist dies nicht bloß ein weiterer Theaterabend, der versucht die Pegida mit ihren stumpfen Parolen und simplen Verschwörungstheorien auf die Bühne zu zerren, sondern insgesamt ein kluger, mit großer Präzision realisierter Versuch, das Individuum, die Sehnsucht des Einzelnen nach gesellschaftlicher Bedeutung – und sei es mit den Mitteln des Hasses und der Gewalt – in den Mittelpunkt zu rücken. Am Ende hält der Abend keine Lösung parat, aber gewährt immerhin einer der Travisfiguren einen kurzen Moment des verantwortungsvollen Selbstzweifels. Doch leider ist es da schon zu spät.

 

Taxi Driver
von Diana Insel und Sebastian Martin nach Motiven von Paul Schrader und Martin Scorsese
Regie: Sebastian Martin, Bühne und Kostüme: Kaja Bierbrauer, Video: Bastian Klügel, Musik: Oliver Jahn, Dramaturgie: Diana Insel.
Mit: Leander Gerdes, Benjamin Mährlein, Klara Pfeiffer, Maciej Zera und Oliver Jahn.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theaterhaus-jena.de

 


Kritikenrundschau

Ulrike Merkel schreibt für die Ostthüringer Zeitung (30.1.2015): "Die Inszenierung überzeugt nicht nur wegen ihrer vielen klugen Übersetzungen, den beeindruckenden Schauspielern, nicht nur wegen ihrer Spannung und des neuen Finales. Sie weckt auch zahlreiche Assoziationen zu realen Ereignissen, lässt etwa an Massenmörder Andreas Breivik denken, der vor fünf Jahren in Norwegen 77 Menschen tötete."

"Großes Kino auf der Bühne" hat Wolfgang Schilling im Interview für MDR Figaro (hier in der Audio-Datei, 29.1.2015) am Theaterhaus Jena gesehen, alles "handwerklich souverän gemacht", unterstützt durch "sinnliche und auch sinngebende Videoinstallationen". Die Geschichte werde schlüssig nacherzählt. Dennoch stört sich der Kritiker am "Zeigefinger", mit dem diese Inszenierung sagt: "Vorsicht, Wutbürgergefahr!" Das Publikum sei ja "auch nicht blöd und will sich nicht agitieren lassen".

"Ein starker, berührender Abend, auch wenn die O-Töne zuweilen hineingeschraubt wirken", schreibt Lavinia Meier-Ewert in der Thüringen Allgemeinen (1.2.2016).

"Es ist eine aberwitzige Taxifahrt in die Abgründe einer Seele und in Zeiten, die auf unheimliche Weise miteinander verbunden zu sein scheinen", schreibt Lisa Berins in der Thüringischen Landeszeitung (30.1.2016) und lobt Bildgewalt der Inszenierung und wie sich Anspielungen und Metaphern "künstlerisch anspruchsvoll zu einem komplexen Ebenengeflecht zusammenspinnen".

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