Graecomania 200 years - Hans-Werner Kroesinger führt im HAU Berlin durch Geschichte und Illusionen deutsch-griechischer Beziehungen
Das Klimpern der Cent-Stücke
von Simone Kaempf
Berlin, 30. Januar 2016. "Willkommen in Griechenland" – der Schriftzug erscheint auf der Leinwand im Bühnenhintergrund, unterlegt mit plätscherndem blauem Meer. Kannelierte Säulen sind zu sehen, mächtige Säulenträgerinnen und bröckelnder Stein. Die Filmbilder zoomen dicht an die Akropolis, so wie man sie aus dem Reiseführer kennt.
Als Touristen machen es sich auch die vier Performer bequem in Hans-Werner Kroesingers neuem Abend: Handtücher im Liegestuhl ausbreiten, alle Viere von sich gestreckt. Denn mit dem Gesicht Richtung Sonne lässt sich besser erleben, was hier wie nebenbei als lässiger Slogan eingeworfen wird: "das Land, wo die Sonne länger Urlaub macht". Und in bundesrepublikanischer Wohlstandatmosphäre, die für einen Moment aufkommt, redet es sich auch einfacher über Hundert-Millionen-Kredite, Staatsbesuche, Kabinettsbeschlüsse, wie man sie etwa im Jahre 1958 entschied, als man dem Land wirtschaftlich unter die Arme griff. Was aber, wenn das alles nur Illusion ist: die Idee der länger scheinenden griechischen Sonne genauso wie die, dass ein Millionen-Kredit dem Wiederaufbau dient?
Europa: auf Raub gegründet
Für "Graecomania" hat Dokumentartheater-Altmeister Kroesinger weit ausgeholt, 200 Jahre nämlich. Von den Anfängen deutsch-griechischer Sehnsuchtsbeziehungen des Klassizismus hüpft der Abend thematisch durch viele Epochen, Zeiten, Jahrzehnte bis zur Finanzkrise 2008, Hilfspakten und Tsipras-Reden. Ein Materialsammelsurium provokanten Ausmaßes ist zusammengekommen, ermüdend, überfordernd, den großen historischen Bogen behauptend. Gleichzeitig aber hagelt es Details und überkonkrete Erfahrungsberichte, die erst richtig klar machen, dass es um die Bilder geht, die wir uns von einer eigentlich fremden Welt machen.
Als Alleinstellungsmerkmal hat die reine Materialsammlung mittlerweile ausgedient. Aber den lächelnd-freundlichen Ton, den die vier Performer in "Graecomania" anschlagen, kennt man aus anderen Arbeiten von Kroesinger. Ein in der Realität abgelauschter Dienstleistungs-Klang, immer suggestiv ans Publikum gerichtet, viel unterschwellig erzählend. Zum Beispiel, wenn Lajos Talamonti ein griechisches 2-Euro-Stück mit der Abbildung von Zeus und Europa zeigt, und dann lässig zufügt: "Europa ist auf Raub gegründet." Oder Niels Heuser als fiktiver Reiseexperte noch den Tipp mitgibt, immer genügend Bargeld mit sich zu führen – sinnvolles Helfertum und Zynismus verschwimmen. Und im Zusammengetragenen offenbart sich, wie eng Griechen, Deutsche, Europa historisch miteinander verknüpft sind, wie kompliziert aber auch das Verhältnis von Geben und Nehmen schon immer war.
Bürokratischer Aktionismus
Wobei der Reflex der Schuldzuweisung ziemlich geschickt vermieden und umrundet wird. Diplomatische Beziehungen sind nicht gefährdet, auch wenn die deutsch-griechische Geschichte mit einiger Ironie als eine Geschichte wiederkehrende Kreditvergabe erzählt wird. Halb dozierend, halb spielend agieren die Schauspieler (neben Talamonti und Heuses noch Mila Dargies und Sina Martens) inmitten von Liegestühlen oder Blecheimern, in denen Cent-Münzen klimpern. Von einem Förderband rieseln Cent-Stücke in Styropor-Kisten. Sie werden kurz vor Ende zu Aktenregalen aufgebaut – ein symbolisches und eher depressiv-graues Bild für den bürokratisch durchorganisierten Aktionismus, der Europa derzeit prägt und sich von dem Idealismus der Anfänge weit entfernt hat. Soviel ist von Krediten und Geld die Rede, dass auch die Frage aufblitzt, ob nicht alles nur als große Gelddruckmaschine dient? Kein wahrlich neuer Gedanke, aber von Kroesinger wird das frisch, mit Verve und überraschenden Querverbindungen präsentiert.
Für mögliche Auswege aus der europäischen Krise vernebelt der Abend eher den Blick, setzt mehr auf sinnfällige Muster als auf Ursachenforschung. "Was denn nun der Lösungsvorschlag für die Krise sei", wagt einer der Spieler dennoch zu fragen. Als Antwort geht einfach das Licht aus, schwarz, Schluss und vorbei. So kann man nur hoffend mit nach Hause nehmen, dass die jüngere Geschichte recht behalten möge: Bis jetzt ist's immer noch gut gegangen.
Graecomania 200 years
Konzept und Regie: Hans-Werner Kroesinger, Raum / Video: Rob Moonen, Ton: Daniel Dorsch/Hanns Narva, Konzept und Dramaturgie: Regine Dura, Mitarbeit Bühne: Dominik v. Stillfried.
Mit: Mila Dargies, Niels Heuser, Sina Martens, Lajos Talamonti.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
"Hans- Werner Kroesinger und Regine Dura wollen es wie immer ganz genau wissen. Sie nehmen das gegenwärtige hellenische Negativimage zum Ausgangspunkt eines erhellenden Theaterparcours durch 200 Jahre griechisch-deutscher Historie und entsprechender Imageproduktion", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (1.2.2016). Die Aus- und Durchleuchtung historischer Parallelen beziehungsweise Kippfiguren sei das Markenzeichen dieses Dokumentartheaters. "Gewohnt luzide legt es die diversen globaleren – in diesem Fall (auch) deutschen geostrategischen wie ökonomischen – Interessenslagen offen", beobachte ihre Kontinuitäten beziehungsweise Modifikationen über die historischen Epochen hinweg und führe zeigefingerfrei vor, was woraus folgt und wie womit zusammenhängt.
Viel Stoff, den Kroesinger und die Dramaturgin Regine Dura mit leichter Hand erzählten, resümiert Mounia Meiborg in der Süddeustchen Zeitung (2.2.2016). Mit einfachen Mitteln würden Bilder erzeugt, die Sprache sei "über weite Strecken arg nüchtern": "Das bleibt nicht aus, wenn man aus Kabinettssitzungen, Politiker-Reden und Zeitungs-Analysen zitiert. Aber es wird zum theatralischen Problem. Denn die Texte lassen sich nur schwer gestalten." Szenisch wäre also noch Luft nach oben gewesen, inhaltlich aber sei dieser Abend "in seiner Präzision, Vielschichtigkeit und Unaufgeregtheit ein Glücksfall: eine packende Geschichtslektion für Anfänger und Fortgeschrittene".
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Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2016/02/05/am-forderband-europas/
Die Stärke des Abends ist, dass er die Fakten nicht abarbeitet, sondern erhellende Bezüge schafft und auch immer wieder mit gelungenen Spielszenen unterhält. Auf der Zielgeraden kommt der „Graecomania“-Abend in der Gegenwart an. Die vier Schauspieler fragen sich, wie Griechenland überhaupt in den Euro aufgenommen werden konnte, obwohl das gesamte System auf Klientelismus basiert, auch von einem „failed state“ ist die Rede. Es wird hektischer auf der Bühne, Forderungen nach einem Marshall-Plan werden laut, eine Tsipras-Rede wird eingespielt und der Ökonom Thomas Piketty zitiert.
Durch das Stimmengewirr dringt die Frage: Was ist die Lösung? – Das Thema ist seit einigen Monaten aus den Schlagzeilen verdrängt, eine Antwort ist nicht in Sicht. Licht aus, die Bühne wird schwarz.
Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/27562-politisches-theater-suepermaenner-sprechen-ueber-ihre-biografien-rimini-protokoll-mixt-flucht-schicklsale-mit-john-cage-hans-werner-kroesinger-auf-spurensuche-graecomania-200-years-die.html