Wenn Ibsen mordet

von Sarah Heppekausen

Oberhausen, 19. Februar 2016. Sie tritt auf als Meerjungfrau. Sie atmet schwer, japst nach Wasser, trinkt es aus dem Klo. Hedda ist angewiesen auf einen, auf ihren Mann, der ihr unter Wehenschreien den Schwanz abzieht und Beine bringt. Beim nächsten Auftritt hängt sie lasziv über einem Sessel, würgt sich mit ihrem Morgenmantel, bis sie zitternd am Boden liegt. Noch etwas später nähert sie sich fauchend wie ein Vampir ihrer Rivalin Thea. Hedda als abhängige Frau, als Männer-Bezirzerin, als rachsüchtiges Monster. Sie röchelt ihre Worte, krächzt sie hervor, schreit, singt, lacht sie heraus. Wie viele Bilder dieser Frau muss Regisseurin Lena Kitsopoulou im Kopf gehabt haben?

Nichts bleibt ungesagt

Bei Lise Wolle hat Ibsens wütende femme fatale aus Langeweile so viele Gesichter und Gebärden, dass sie daueraktiv ist. Im ersten Teil ist sie noch eine Verrückt-Verdrehte unter vielen. Ihr Gatte Tesman (Klaus Zwick) und Tante Juju (Elisabeth Kopp) quasseln hektisch, bis sie außer Atem sind. Ihre alte Bekannte Thea krampft und zuckt bei Laura Angelina Palacios nervös, nur ein Biss in die Tasche kann sie beruhigen. Amtsgerichtsrat Brack ist bei Henry Meyer ein lüstern schleckender Zwerg. Lauter hysterisch Überdrehte in historischen Kostümen aus dem 19. Jahrhundert, die bisweilen mächtig nerven und die Bühne puppenhaft ausstaffieren. Aufziehbar wie die hintereinander gehängten, Tapeten beklebten Vorhänge, die nach etlichen Schichten Wohnzimmer-Chic einen kühlen, nackten Baderaum freilegen.

Hedda1 560 Axel J Scherer hKeine Angst, die wollen nur spielen: Laura Angelina Palacios (Thea), Lise Wolle (Hedda), Henry Meyer (Lövborg) © Axel J. Scherer

Hier spricht Hedda Klartext: "Ich bin eingesperrt in 1890. Mein Salon ist mein Sarg." Und all diese Noras und Heddas und all diese Dreiecksgeschichten, da scheiße sie drauf. Auf all diese alten Männer mit ihren Schwanzproblemen. Da schimpft dann wohl vor allem die Regisseurin. Hedda als Männerphantasie, ausgelieferter Teil "dieser verfickten Dramaturgie“. Bähm! Lise Wolle wütet ins Mikro. Regisseurin Kitsopoulou, die auch Autorin ist und in Oberhausen jetzt zum ersten Mal außerhalb Griechenlands inszenierte, bevorzugt die klaren Worte. Nichts bleibt ungesagt, hintersinnig, angedeutet. Der Groll auf überholte Frauenbilder brüllt Hedda plakativ heraus.

Lauter Kopfgeburten

Die Figur Hedda ist eine Lüge. Weil die Generalstochter vor dem verklemmten Kulturhistoriker Tesman doch nur so getan hat, als wolle sie in einer Villa wohnen. Jetzt ist sie verheiratet mit dem Pantoffelhelden und weiß nicht viel mit sich und ihrem Leben anzufangen. Schön ist sie. Alle Männer grapschen, schlecken, fummeln sie an. Für Hedda alias Kitsopoulou ist alles, was passiert ist, eine Lüge. Wahr sei nur die Abwesenheit.

Eigentlich war schon von Beginn an klar, dass Ibsen in dieser Inszenierung nur Material sein würde. Anschauungsmaterial für eine allzu deutlich gemachte Lesart. Berte, das Hausmädchen, führt in die Szene ein und schimpft auf Kunstkacke-Inszenierungen, die Klassiker nie so spielen würden, wie es im Text stehe. Das Hausmädchen ist ein Mann, Thieß Brammer spielt sich selbst als Schauspieler. Theater im Theater, lauter Kopfgeburten also.

Die Figuren sprechen irgendwann nicht mal mehr selbst ihre Dialoge. Wie in den Inszenierungen von Susanne Kennedy kommt der Text vom Band. Das ist eine sehenswerte, weil verwirrende Regieidee. Aber der Effekt wirkt nur kurz. Er wird überdröhnt in dieser fieberhaften, fast manisch wirkenden Bilder- und Deutungsschlacht. Am Ende ist es Ibsen, der Hedda erschießt. Die Frau ist gänzlich übermannt – und jede ungreifbare Faszination ihr ausgetrieben.

 

Hedda Gabler
von Henrik Ibsen
Deutsch von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen
Regie: Lena Kitsopoulou, Bühne und Kostüme: Elli Papageorgakopoulou, Musik: Nikos Kypourgos, Dramaturgie: Simone Kranz.
Mit: Lise Wolle, Elisabeth Kopp, Laura Angelina Palacios, Thieß Brammer, Henry Meyer, Jürgen Sarkiss, Klaus Zwick.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.theater-oberhausen.de



Kritikenrundschau

"Angesichts der Nationalität der Regisseurin gibt dieser Ibsen dem Begriff 'griechische Tragödie' eine völlig neue Bedeutung", haut Wolfgang Platzeck in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (22.2.2016) mächtig auf diesen Abend drauf. Anstelle von Ibsens Stück gäbe es allerhand regietheatral Erdachtes zu sehen, bis hin zu einem Auftritt à la Nina Hagen. Schon der Vorspann des Textes bringt die Meinung auf den Punkt: "Die neue 'Hedda Gabler' am Theater Oberhausen 'verheddat' sich in pseudokünstlerischem Kokolores. Schlimm."

"Die griechische Regisseurin Lena Kitsopoulou zeigt 'Hedda Gabler' in einer wilden Bilder- und Zitateschlacht als Feministin im Kampf gegen Frauenklischees. Das ist als Lesart spannend, überfrachtet das zeitlos aktuelle Stück aber unnötig", so urteilt Dorothea Marcus auf WDR 5 (22.2.2016).

 

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