Wer hat Angst vor Rot, Grün, Blau?

von Morten Kansteiner

Bonn, 4. April 2008. Das Milgram-Experiment sei, erklärt die allwissende Wikipedia, "wie ein Theaterstück inszeniert". Umgekehrt kann man festhalten: Der kanadische Dramatiker Robert Fothergill baut in seinem jüngsten Stück eine Art Milgram-Anordnung auf.

Bei dem historischen Experiment sollten die Versuchspersonen einem wehrlosen Menschen Stromstöße versetzen, wenn er Testfragen falsch beantwortete. Bei Fothergill kommen drei Figuren zusammen, um einem Terrorverdächtigen Schmerzen zuzufügen. Und zwar so lange, bis er die Fragen nach der Atombombe, die in sieben Stunden irgendwo auf dem US-Territorium explodieren soll, "zufriedenstellend" beantwortet hat.

Das Bühnenarrangement, das Fothergill fordert und Manfred Blößer in feuerhemmendem Bürokratiegrau nachgebaut hat, erinnert an die Milgram-Variante mit den schockierendsten Quoten: Das Opfer und seine Quälgeister befinden sich in unterschiedlichen Räumen, sein Leiden bleibt unsichtbar und – solange die von Fothergill eingeführte Gegensprechanlage ausgeschaltet ist – auch stumm. Wenn sie von den Schmerzen ihres Gegenübers dermaßen verschont blieben, waren zwei Drittel von Milgrams Probanden bereit, die Stromstöße voll aufzudrehen.

Immer schön die Schultern steif halten

Deshalb kann man von vornherein eine wissenschaftlich fundierte Prognose wagen, wie das dramatische Experiment des Robert Fothergill ausgeht: Der FBI-Captain, der speziell geschulte "ausführende Beamte" und die Vertreterin des Justizministeriums werden dem Verdächtigen ordentlich zu Leibe rücken. Und der Fall liegt umso klarer, als wir es nicht mit repräsentativ komplexen Individuen zu tun haben, sondern mit rasch identifizierbaren Typen. In der Bonner Inszenierung von Klaus Weise kennt schon ihre Kleidung keine Schattierungen – Kostümbildner Fred Fenner hat keine Angst vor Rot, Grün, Blau.

Der FBI-Agent im grünen Anzug ist ein Mann der Tat: Angespannt tigert Ralf Drexler durch den Raum, und wenn er eine Hand aus der Hosentasche bemüht, dann schnellt sie gleich entschieden nach vorn. Der Folterbeamte in Blau ist ein Mann der einfachen Prinzipien: Bernd Braun hält die Schultern steif und begradigt seine Lippen zu einem unerschütterlichen Strichmund.

Diese beiden Herren werden zweifellos ihre Pflicht erfüllen, wenn die Sicherheit des Vaterlands bedroht ist. Allein die Juristin im roten Kostüm kann da ein klein wenig Unruhe stiften, sozusagen als Milgrams zauderndes Drittel. Zwar ergaben dessen Testreihen, dass Frauen mit den Stromstößen keineswegs sparsamer waren. Aber in Fothergills eher schlichtem Wirklichkeitsmodell reicht dennoch das Geschlecht dieser Figur, um sie als potentielles Sandkorn im Getriebe der Gefühllosigkeit kenntlich zu machen.

Merke: Grausamkeit ist keine Lösung

Im Verlauf der Befragung verweigert die Frau des Trios mehrmals ihre Zustimmung zur Fortsetzung der Prozedur. Aber sie lässt sich auch immer wieder umstimmen, und so kommt es, wie es kommen muss. Der Verdächtige wird so lange gefoltert, bis er ein paar Worte rausquetscht: "Chicago" und "Union Station". Wimmernd vor Schmerzen bestätigt er, was sein Gegenüber hören will. Die Angaben werden ihm so offensichtlich suggeriert, dass ihr Wert mehr als fragwürdig ist.

Der menschenfreundliche Zuschauer wird sich schon jetzt empören: So ein mageres Ergebnis lohnt doch die Quälerei nicht. Aber Fothergill geht lieber kein Risiko ein und deshalb einen Schritt weiter. Ganz am Ende lässt er sozusagen die Bombe platzen: Per Telefon kommt die Nachricht von der großen Katastrophe. Wir erfahren nicht, was genau passiert ist oder wo. Nur dass es den FBI-Mann gänzlich unvorbereitet trifft. Damit ist endgültig bewiesen: Grausamkeit führt nicht ans Ziel.

Wären die Folterer wenigstens liebenswert!

Fothergill bewegt sich konsequent auf der sicheren Seite. Er hält hübsch Abstand zu George Bush jun., der kürzlich noch ein Antifoltergesetz mit seinem Veto aufgehalten hat – und dessen Porträt einen Ehrenplatz am Rand der Bonner Bühne einnimmt. Oder zum Harvard-Juristen Alan Dershowitz, der Folter in Extremsituationen und unter strengster Kontrolle für gerechtfertigt hält. Damit ist Fothergills dramatisches Experiment höchst ehrenwert, aber nicht unbedingt erkenntnisfördernd.

Wie viel mehr hätte man über die Mechanismen des Notstands erfahren können, wenn etwa Neil LaBute der Versuchsleiter gewesen wäre: wenn er uns die Folterer zunächst einmal als liebenswerte Menschen ans Herz gelegt hätte. Oder wenn der FBI-Agent genauso heroisch zugrunde ginge, wie der Terroristenjäger und -folterer Jack Bauer aus der US-Serie "24". Immerhin: Denselben Vornamen hat Fothergills Figur bereits und in der Bonner Inszenierung auch die rotblonden Haare.

 

Das Dershowitz-Protokoll
von Robert Fothergill
Regie: Klaus Weise, Bühne: Manfred Blößer, Kostüme: Fred Fenner. Mit: Ralf Drexler, Bernd Braun, Tatjana Pasztor, Jens Kerbel.

www.schauspiel.bonn.de

Kritikenrundschau

In der Kölnischen Rundschau (7.4.2008) schreibt H. D. Terschüren, dass sich der kanadische Dramatiker Robert Fothergill in seinem "Dershowitz-Protokoll" "den Kopf von Präsident Bush" zerbreche: "Was ist, wenn Massenvernichtungsmittel wie die Atombombe in die Hand des Bösen geraten?" Gespielt werde "eine Fiktion, aber keine undenkbare." Allerdings habe Fothergill mit seinem Stück einen "Psychothriller" geschrieben, "nichts zum Nachdenken. Deshalb bleibt er auch Antworten schuldig." Klaus Weises Bonner Inszenierung sei zügig und spannend, das Well-made-play geriere sich hier "als Kammerspiel".

Im Bonner General-Anzeiger (7.4.2008) schreibt Dietmar Kanthak über Alan Dershowitz: "Alan Dershowitz ist ein amerikanischer Justiz-Superstar. Er hat Claus von Bülow verteidigt, O. J. Simpson und Mike Tyson. Dershowitz ist berühmt, aber er ist nicht 'everybody's darling' in Amerika. Der 69-jährige Strafverteidiger und Harvard-Rechtsprofessor hat nämlich in seinem 2002 erschienenen Werk 'Why Terrorism Works' (Warum Terrorismus funktioniert) ein Kapitel der Folter gewidmet. ... In extremen Fällen - Stichwort nuklearer Sprengsatz in Händen von Terroristen - müsse es dem Staat erlaubt sein, Verdächtige zu foltern, um den drohenden Anschlag abzuwenden." Robert Fothergills Stück sei "anti-Dershowitz". Allerdings entlasse es den Zuschauer nicht aus "dem Dilemma, sich ethisch und politisch zu positionieren". Die Schauspieler erfüllten "das Gedankengebäude des Autors und die schwarze Komik des Stückes mit Leben". Weise zwinge sie auf "engstem Raum in rhetorische Gefechte, Skrupel und Zweifel fliegen durch den Raum. Und Aggressionen". Der Abend zeige auch, dass "Folter nicht nur ihre Opfer quält, sondern auch jene, die wie hier 'absolute Todesangst' verbreiten."

In Bonn tue das Theater so, als könne Theatralisierung eine neue Realität schaffen, schreibt Vasco Boenisch in der Süddeutschen Zeitung (10.4.2008). Die Diskussion um die Legitimation von Folter werde aufgegriffen, "fast ohne dramaturgische Überhöhung." "Die Figuren sind nur Lieferanten der gängigen Argumente, locken das Publikum aber nie in eine politisch unkorrekte Falle." Der Bonner Intendant Klaus Weise habe in "realistischer Neonsterilität mit Bush-Porträt an der Wand" den Abend "ordentlich durchgestellt." Die Darsteller "geben den Stereotypen ein glaubhaftes Gesicht, doch der ethisch-juristische Diskurs bleibe so grau wie das Büro, in dem er geführt wird." Fazit: "Realität und Bühne treffen auch hier aufeinander, doch sie reiben sich nicht erkenntnisstiftend aneinander und erzeugen keinen Mehrwert."

 

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