Danke für die Wahlkampfhilfe!

von Wolfgang Behrens

1. März 2016. Kann sich noch jemand an Frank Schwalba-Hoth erinnern? Als ich noch nicht einmal ein Zuschauer war – jedenfalls noch kein Theaterzuschauer –, war das einer meiner Helden. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens hatte der Mann einen kultverdächtigen Doppelnamen. Und zweitens hatte Schwalba-Hoth 1983 einen ebenso kultverdächtigen Blut-Anschlag verübt: Er, der damals für die Grünen im hessischen Landtag saß, hatte sich bei einem Empfang für US-Kommandeure auf Paul S. Williams, General des V. US-Korps, gestürzt und ihn mit Blut bespritzt, das er sich vorher selbst abgezapft hatte. Das löste in der Öffentlichkeit enorme Abscheu und bei meinen Klassenkameraden und mir große Bewunderung aus: Zum einen war das Ganze albern genug, um unser spätkindliches Kicherbedürfnis zu befeuern. Zum anderen aber hatte die Aktion immerhin einen so revoluzzerhaften Anstrich, dass sich auch unsere frühpubertären Fantasien darin wiederfinden konnten.

kolumne wolfgangJetzt – 33 Jahre nach dieser Blutspritz-Attacke – bekommt Schwalba-Hoth Gesellschaft, und ich könnte mir neue Helden aufs Panier heben. Denn vor zwei Tagen hat ein Aktivist des Peng Collectives im Rahmen einer filmisch dokumentierten Kunstaktion eine Torte im Gesicht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch untergebracht, während er bei Albrecht Glaser, ebenfalls AfD, nur die Schutzhand traf. Übrigens haben Storch und Glaser vorher nicht gewusst, Teilnehmer*innen dieses Happenings zu sein. Ich könnte nun ähnlich begeistert sein wie 1983, denn erstens ist Peng Collective doch ebenfalls ein echt cooler Name, und eine Torte ist – zweitens – natürlich auch wirklich lustig, zumal der Aktivist ja als Clown verkleidet war. Aber ich bin mittlerweile 33 Jahre älter geworden, und mit der frühpubertären Revoluzzer-Fröhlichkeit ist es nicht mehr so weit her.

Ist doch nur Kunst!

Das Peng Collective wartet mit einer famosen Begründung für seinen "tortalen Krieg" auf: "Wer den moralischen Grenzübertritt verhindern will, muss notfalls auch von der Sahnetorte Gebrauch machen. So steht es im Gesetz." Was in der Tat prächtig Madame von Storchs haltloses Gerede vom Schusswaffengebrauch bei illegalem Grenzübertritt parodiert. Allerdings hat Storch von der Schusswaffe bislang noch nicht Gebrauch gemacht – das Peng Collective von der Sahnetorte schon. Ich hege keinerlei Sympathien für die politischen Überzeugungen von Beatrix von Storch – aber ich bin fest davon überzeugt, dass Artikel 1 des Grundgesetzes auch für sie gilt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Es ist schon eigenartig, dass manche Aktivisten diesen Grundsatz zu verteidigen glauben, indem sie Ausnahmen zugestehen. Aber mit gutem Grund heißt es im Gesetz nicht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar, außer wenn der Mensch Beatrix von Storch heißt und/oder widerwärtiges rechtes Gedankengut verbreitet." Nein, Artikel 1 gilt absolut, so schwer einem diese Einsicht angesichts bestimmter Hetzer*innen auch fallen mag.

Natürlich nehme ich die Aktion viel zu ernst: Es ist ja doch "nur" Kunst! Aber man stelle sich mal eine Pegida-Künstlerin vor – warum sollte es das nicht auch geben können? –, die einem Flüchtling als symbolisches Zeichen der Willkommenskultur eine Torte ins Gesicht klatscht. Wie würde unsere Reaktion ausfallen? Amüsiert? Meine jedenfalls nicht. Ich wäre empört, und so empöre ich mich auch jetzt.

Opfer-Ikone fürs Abendland

Was übrigens hätte dagegen gesprochen, die Aktion auf der Ebene der symbolischen Repräsentation zu belassen, anstatt mit Storch und Glaser authentische Darsteller*innen zu bemühen? Eine Torte auf einem Foto-Gesicht der Frau von Storch – so wie Kurt Schwitters' Bierfilz im Gesicht des Dr. Schenzinger – hätte die Botschaft hinreichend deutlich gemacht. Aber Repräsentation ist halt derzeit out. Und so ist ein unangenehmer Nebeneffekt der ganzen Sache, dass sich Frau von Storch nun wieder einmal zur Märtyrerin stilisieren darf, was sie auf Facebook auch schon kräftig tut. Nicht den gekreuzigten Christus sieht man da, sondern die beworfene Beatrix: eine neue Opfer-Ikone fürs Abendland! Es fehlt nur die Bildunterschrift: "Danke, Peng Collective, für diese Wahlkampfhilfe."

Schwalba-Hoth übrigens ist ein Jahr nach seinem Blut-Anschlag, von dem ich mich hiermit – jawohl, die alten Helden müssen runter vom Sockel! – distanziere, ins Europaparlament eingezogen. Hat das Peng Collective jetzt die große internationale Karriere vor sich?

behrens2 kleinWolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist Redakteur bei nachtkritk.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne Als ich noch ein Zuschauer war wühlt er in seinem reichen Theateranekdotenschatz – mit besonderer Vorliebe für die 1980er und -90er Jahre.

 

Zuletzt machte Wolfgang Behrens an dieser Stelle ein Geständnis in Sachen Claus Peymann.

 

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Kommentare  
Kolumne Tortenwurf: Tortenschlacht-Reenactment
Sehr geehrter Herr Behrens, ich möchte Ihnen gleichfalls entrüstet beipflichten: Schon aus ästhetischen Gründen sollte es sich seit diesem wunderbaren Film "Das große Rennen rund um die Welt" verbieten, sich künstlerisch einer Tortenschlacht zu bedienen. Das habe ich bereits meinen kleineren Kindern beigebracht und seitdem sparen wir als Familie darauf, ein einziges Mal zusammen mit allen die es mögen, diese Tortenschlacht in realitas nachspielen zu können. (Spenden willkommen, Geld muss nicht gewaschen oder verbrannt werden, es darf auch gerne gesamtgesellschaftlich äußerlich vertortet werden!) Und jeder will immer dieser bescheuerte König sein, der hahahhahahaha - hinterher tortal beschmaddert aus dem Tortenkeller kommt, in das leere Fass neben der Tür greift und sagt: ach, da ist ja meine Krone - hahahahahahhaha-
Kolumne Tortenwurf: keine Kunst
Lieber Herr Behrens!
Danke für die Zeilen.Als ich noch Zuschauer war, liefen Aktionen wie die aktuelle des Peng Kollektivs unter dem Label "Agitation und Propaganda" es waren wenn überhaupt "Aktionen"...politische Aktionen, die nie und nimmer unter dem Begriff Kunst zu rezipieren waren. Dies nicht, weil sie keine Kunst sind. Auch nicht 2016...auch nicht mit dem "Brand" Artivism versehen.
Kolumne Tortenwurf: keine Idee
Da hat einer nichts. Keine Idee, einfach gar nichts. Torte und Clown sind keine Idee und trotzdem bekommt er die Aufmerksamkeit. Er hat eine einzige, recht schwache Pointe, "tortaler Krieg", eine Pointe, die ein Komiker, wie Hagen Rethel vielleicht links fallen lassen würde, während er sein Hauptprogramm absolviert, aber er schafft einen Focus. Darin sehen wir eine Klischeehafte Figur, wie sie im Othello am Gorki als Gegenspieler der Hauptfigur auftreten könnte. Lächerlich, ärgerlich, falsch. Ein Schuss ins eigene Knie.
Kolumne Tortenwurf: Aktionismus
Nun, ja - Kunst ganz gewiss nicht. Aktionismus und Propaganda schon. Why not. Wird der AfD trotzdem keine Stimme mehr bringen, höchstens den In-Kreis etwas stärken. (...)
P.S.: Herr Schwalba-Hoth war damals Lehrer in meiner Parallelklasse. Nur mal so von Hesse zu Hesse, Herr Behrens :D
Kolumne Tortenwurf: Humor fehlt
Tja, Humor sucht man in der Kunst-, Theater- und Kritikerwelt wohl vergeblich... hätte man sich aber auch denken können. Aber natürlich ist es einfacher, politischen oder auch künstlerischen Protest als frühpubertäre Phantasie abzutun, statt sich zu fragen, was man in der Zwischenzeit vielleicht selbst an politischer Haltung verloren hat. Ich würde mir stattdessen in dieser Gesellschaft mehr Aktionen mit revoluzzerhaftem Anstrich wünschen, es gibt leider viel zu wenig davon und stattdessen viel zu viel angepasste l´art pour l árt.
Kolumne Tortenwurf: komisch?
Liebe Aktionskunst,

was war denn bitte komisch? Der Clown lebt doch nur von Frau Storch. Ohne sie wäre er nichts. Und mit ihr war es leider auch nichts.
Kolumne Tortenwurf: am Genick
Es ist längst zu spät. Worte sind nutzlos geworden. Die Saat sprießt bereits. Bei einem Konzert in Köln wurde einer der weltbesten Cembalospieler (Mahan Esfahani) solange angepöbelt, bis er gezwungen war mit seinem Konzert aufzuhören.
(Siehe Spiegelartikel)
Als er unterbrach um auf Englisch das Publikum zu fragen, was denn los sei,wurde er angeblafft, er solle gefälligst Deutsch sprechen!

Ich bezweifle, daß die Zuseher sich diesen Ton, gegenüber Ricardo Muti, erlaubt hätten.
Aber laut einem (nicht sehr fairem) Sprichwort, hat man die Deutschen entweder zu Füßen oder am Genick.

Erbärmlich.
Kolumne Tortenwurf: Witz erklären
@#Aktionskunst: "Tja, Humor sucht man in der Kunst-, Theater- und Kritikerwelt wohl vergeblich... " geht mir ähnlich!!! habe den eindruck man wolle mir hier einen witz erklären und dazu noch beweisen, dass dieser "tortenanschlag" verfassungsfeindlich sei. so viel aufhebens um so wenig.
Kolumne Tortenwurf: strukturelle Analogie zu Nazi-Aktionen
Kompliment für diesen Kommentar, lieber Wolfgang Behrens. Auch Künstler haben die Würde des Menschen zu respektieren (ebenso wie andere fundamentale Persönlichkeitsrechte). Und sie sollten ihr Tun besonders dann selbstkritisch reflektieren, wenn sie von der symbolischen zur faktischen Tat schreiten. Sonst landen sie unversehens in der strukturellen Analogie zu Neonazi-Aktionen, bei denen Buttersäure im Briefkasten missliebiger Kritiker landet.
Kolumne Tortenwurf: ethische Fragen
all die überlegungen mögen sachlich richtig sein, und mein vollstes verständnis gilt dem menschen, der sich im laufe seines lebens ja meist nach mehr ruhe und sachlichkeit sehnt. und strategisch ist das bestimmt auch alles sehr, sehr richtig.
aber so lange ich noch nicht in der kiste liege, erwäge ich bei meiner sympathie für politische aktivitäten auch ethische fragen, und da kann nichts anderes rauskommen als: happy birthday to you, Frau Storch!
p.s.: zitat detlef "...unversehens in der strukturellen analogie zu neonazi-aktionen..." - relativierung und nazi-vergleiche können ziemlich gefährlich sein. nazis singen auch - sollen wir deshalb aufhören zu singen? hallohallo, erde an detlef: eine sahnetorte wurde ins gesicht von einer person geworfen, die fordert, auf menschen zu schießen. keine säure, keine verletzungen. außer vielleicht für den stolz. der im übrigen etwas ganz anderes ist als die würde.
Kolumne Tortenwurf: Stolz und Würde
tja naja: Stolz mag etwas anderes sein als Würde. Aber etwas g a n z anderes??? Wie genau ist Stolz anders als Würde??? Wenn sie so genau wissen, dass er etwas g a n z anderes ist, dann wissen sie das bestimmt genau zu definieren???
Kolumne Tortenwurf: GAU
Die Aktion ist keine Kunst, etabliert, daß es ok ist, andersdenkende körperlich zu attackieren und schafft es außerdem, die Kulturförderung in Zweifel zu ziehen, da die Herrschaften im Rahmen von Doppelpass durch die Kulturstiftung des Bundes unterstützt werden. Ich finde es einen ziemlichen GAU.
Kolumne Tortenwurf: Begriffsklärung
Wenn jemand einen Schießbefehl fordert, dann darf man ihn auf der symbolischen Ebene meines Erachtens daran erinnern, was das bedeutet.

Insofern es 1. eine symbolische Aktion und 2. für ein Publikum/Zuschauer inszeniert ist, ist es Kunst. Nicht symbolisch, also auch keine Kunst, sondern Terror wäre es gewesen, wenn der von Frau von Storch gewünschte Schießbefehl auf einer realen Ebene auf sie selbst angewendet worden wäre.

Dies nur zur Klärung der Begriffe.
Kolumne Tortenwurf: unterkomplex
Sehr geehrter Guttenberg!
Eine gewagt unterkomplexe Kunstdefinition liefern sie hier...gerade so unterkomplex wie die Aktion um die es ist geht.
Kolumne Tortenwurf: Morddrohung
Das Hoffen auf eine Morddrohung ist der ultimative Kick und zertifiziert jeden Förderantrag!
Kolumne Tortenwurf: zynisch
Herr Baucks, das ist zynisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand oder hier die Peng-Menschen auf Morddrohungen hoffen. Wenn, dann wäre wiederum das zynisch... Die Aktion hat mich zumindest mal dazu gebracht, mir ein paar Sachen über Peng im Internet anzusehen: kreativer, politischer Aktivismus und öffentliche Kampagnen im Bewußtsein, für die 'richtige Sache' zu kämpfen. Nah am Zentrum für politische Schönheit. Warum es dafür Kulturfördermittel geben sollte, ist mir schleierhaft, aber schlimm ist das nicht. Es würde mich aber inzwischen dennoch interessieren, was das Theater Dortmund zu dem Vorgang zu sagen hat, der Tortenwurf ist ja sowas wie eine Koproduktion?
Kolumne Tortenwurf: lange Geschichte der Aktionskunst
Interessant in dieser (ja auch immer wiederkehrenden) Debatte ist doch auch die (Kunst-)Geschichtsvergessenheit um politische Aktionskunst. Als gäbe es diese Verzahnung erst mit dem ZPS! Dabei sind die Referenzen, auf die sich auch heutige Künnstler*innen noch beziehen, doch so viel älter und diverser, denkt man z.B. an Interventionskunst, die Situationisten, Beuys und die soziale Plastik, Schlingensief (dabei hat Peng nicht mal "Tötet Möllemann" gerufen sondern nur ne Torte geworfen...) und und und... aber das ist natürlich heute (leider) alles schon längst ins Establishment eingewandert und mit dem Hochkultur-Stempel versehen, das geht natürlich. Die Diskussionen um neuere Formen künstlerischen Protests dagegen werden in einer ziemlich reaktionären Art und Weise geführt, die manchmal wirklich zynische und selbstentlarvende Züge annimmt und dabei doch meist nur den eigenen eng gefassten Kunstbegriff zu sichern sucht.
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