Die Farben des Fridaismus

von Nikolaus Merck

Berlin, 5. April 2008. Biographisches auf dem Theater zu verhandeln, ist immer so eine Sache. Was kann man dadurch erfahren? Das Bekannte noch einmal, bloß ästhetisch in eine Form gebracht? Oder gibt es Punkte im betreffenden Leben, auf die es sich lohnt, den Finger zu legen, weil man etwas über den Menschen lernen kann?

Regisseurin Anja Gronau, Schülerin von Jürgen Flimm, hat Erfahrung mit Lebensgeschichten. Mit ihrer am Berliner (Klein-)Theater unterm Dach entwickelten Trilogie der klassischen Mädchen Grete, Käthe und Johanna schaffte sie es bis in den Festivalzirkus. Bloß - dabei handelte es sich um neue Versionen alter Geschichten, die immerhin GoetheSchillerKleist zuerst vorgelegt hatten und die Gronau nur um- und neu montieren musste.

Ikonografie mit Wirklichkeitsbruchstücken

Für ihr neues Stück hat sie nach Real-Materialien gegriffen, das ist schwieriger. Zumal wenn die Wirklichkeitsbruchstücke bereits ikonografisch schematisiert wurden, wie im Fall der Frida Kahlo. Malerin, Kommunistin, Schmerzensfrau. Damenbart, zusammengewachsene Augenbrauen, indianische Mutter, deutscher Großvater, berühmter Ehemann. Na ja.

Die Frauenbewegung jedenfalls hat Frida immer gemocht. Warum eigentlich? Weil sie, die Versehrte, sich neben ihrem übermächtigen Kerl Diego Rivera, dem Maler sozialistischer Wandbilder, behauptet hat? Mit winzig kleinen Selbstportraits, wie das die drei Fridas in Anja Gronaus Drei-Frauen-Stück selbstironisch immer wieder vorführen? Der Mann obliegt der Kunst in klassenkämpferischer Absicht, ausgerechnet bei Ford in Detroit, wie die ihrem Diego verfallenen Fridas ätzen, derweil die Frau sich als schmerzensreiche Schönheit inszeniert und so die wenig kommode Innenseite bei Revolutionärs zu Hause zum emanzipatorischen Thema macht?

Liebesbeziehung mit Pigmenten

Aber ist das etwas Neues? Braucht es dafür gleich einen ganzen Theaterabend? Nein, sagt Anja Gronau und versucht etwas anderes. Was hat Frida Kahlos Leben bestimmt? Die Farben ihrer indianisch-mexikanischen Herkunft und der Schmerz, den sie ununterbrochen litt, seit sich bei einem Busunglück eine Eisenstange durch ihren Unterleib gebohrt hatte.

Die Farben finden sich wieder in Olaf Habelmanns fantasievollen Kostümen: ein 1000motiviges helles Kleid nebst dunkler, um den Oberkörper geschlungener Decke, passend zum rotenroten Mund und den strahlenden Augen der blonden Martina Schiesser; ein lila-blaurot florales Kleidgewand für die kleinere, dunkle und kurzhaarige Katharina Eckerfeld und Männerhosen, gestreift, sowie eine blau-grün-bunte Bluse für Kristina van Eyck, die an der Krücke geht wegen ihres kaputten Knöchels, was sich bindet ins Spiel, als sei es so gewollt. Rote Halbabsätze und bunte Sandalen vervollständigen das prächtige Farbentableau.  

Wahnsinn in Grüngelb

Die Farben sind fantastische, modische Deckung der Frau, Distinktionsmerkmal, Traumausdruck. Zu Beginn benennt sie Martina Schiesser, wenn im völlig dunklen Raum ihre Zigarette aufglüht und sie dem „Grüngelb: noch mehr Wahnsinn/ Alle Gespenster tragen/ Kleider in dieser Farbe, oder/ wenigstens Unterkleider“ nachschmeckt als unterhielte ihre Zunge eine Liebesbeziehung mit den Pigmenten. Das sind die Farben.

Der Schmerz, das sind sie alle. Martina van Eyck an der Krücke, stumm oft, wenn die anderen strahlend und hüpfend von splitternden Knochen und Sehnen jubilieren, die sie an der Bushaltestelle fest knoten und als Springseil verwenden wollen. Der Schmerz ist Katharina Eckerfeld, die sich auf Martina van Eycks Schoß setzt und sagt: "Ich bin der Schmerz. Ich geh hier nicht weg." Der Schmerz ist der Fix- und Drehpunkt, ist das Tier, das den Frida-Körper, wenn sie lacht und liebt und malt von innen aushöhlt. Der Schmerz sind alle Pole zwischen denen Kahlos Leben sich aufspannt, ihr Himmel und ihre Hölle zugleich.

Schmerz und kommunistischer Glamour 

Aber Schmerz gespielt ist nicht wirklich abendfüllend. Wenigstens nicht im Theater unterm Dach an diesem Abend. Die Frauen sind wundervoll, alle drei, die Regie ist gewieft und witzig, wie sie das Traurige zum Belächelten, das Unerträgliche zum mit einem kleinen Teufelsfletschen Weggetanzten umwertet. Wie die drei Frauen miteinander spielen, sich stützen, anfeuern und einander in die Parade fahren, ist so beschwingt wie gekonnt, aber es ermangelt eben doch eines Gegenstands, der die Erzählung lohnte.

So bleibt es bei den bekannten Versatzstücken des Fridaismus: Farben, Schmerzen, Kleider. Zigaretten, Männer, Eifersucht auf den womanizer Rivera, ein bissel kommunistischer Glamour. Schade, dass wir Heutigen nicht mit ins Spiel gebracht wurden, unsere Fleischeslust, mit der wir Ikonen wie diese Frida so begierig verschlingen wie Großtante Gertrud ihre Illustrierte mit den Royals aus London und Monaco. 

 

Frida [Kahlo] – Farbiges Band um eine Bombe
Stückentwicklung von Anja Gronau, Sabrina Glas und Ensemble

Regie und Konzept: Anja Gronau, Künstlerische Mitarbeit und Dramaturgie: Sabrina Glas, Bühne: Mechthild Feuerstein, Kostüme: Olaf Habelmann. Mit: Katharina Eckerfeld, Martina Schiesser, Kristina van Eyck.

Koproduktion des Theaters unterm Dach mit dem Societätstheater Dresden und dem Forum Freies Theater Düsseldorf

  

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