Der Lebenserzähler

von Wolfgang Behrens

8. April 2008. Er hatte sich sagen lassen müssen, "wer kein Blut sehen könne, tauge nicht für die große Sache." Die das sagten, waren nicht irgendwer, sondern Leute auf die er etwas hielt, sehr viel sogar: sein Vater und dessen Weggefährte und Freund, der Komponist Paul Dessau. Und sie sagten noch mehr: "die Partei, das sei halt ein großer Kreis, und beim Zusammenrücken in schwierigen Situationen, nun, da werde eben ab und zu mal einer zerquetscht."

Das Wort schockierte den Heranwachsenden, und – so erzählt er es heute – es entschied sich etwas in ihm: "Zerquetschen ... wenn das so ist, dann verabschiede ich mich aus eurem Kreis, dann gehöre ich ab heute nicht mehr zu euch." Und so ist es geblieben: nein, Thomas Langhoff taugt wirklich nicht für die große Sache. Er ist kein Mann der Ideologien oder der radikalen Entwürfe. Doch er ist vieles andere: Ein Großer im Kleinen. Ein Seismograph des Dazwischen. Ein heiterer Skeptiker. Ein Prinzipienloser. Und ein durch und durch integrer Mensch.

Der verschlungene Weg des Außenseiters

Dass Thomas' Misstrauen gegen die Einheitspartei der DDR berechtigt war, musste die Familie Langhoff nur zu bald erfahren: Vater Wolfgang, damals Intendant des Deutschen Theaters Berlin, wurde nach einer den SED-Kulturwächtern missliebigen Aufführung ("Die Sorgen und die Macht" von Peter Hacks, 1962) wenn nicht zerquetscht, so doch unter unschönen Umständen zum Rücktritt gezwungen.

Während Wolfgang Langhoff trotzdem nie von der Partei abrückte, begann sein Sohn Thomas eine Karriere außerhalb der SED – es wurde der verschlungene Weg eines ewigen Außenseiters, der dann seltsamerweise 1991 auf den Platz seines Vaters führte: auf den Intendantensessel des Deutschen Theaters. Zehn Jahre blieb er dort und musste schließlich – auch hierin seinem Vater folgend – unfreiwillig seinen Hut nehmen: Der hemdsärmelige Berliner Kultursenator Peter Radunski verweigerte ihm 1999 eine für selbstverständlich erachtete Vertragsverlängerung. Seit 2001 ist Langhoff also wieder "draußen" und inszeniert als freier Regisseur.

Sammelsurium zum Festlesen

Eine Theaterlaufbahn unter dynastischen Vorzeichen. Thomas Langhoff feiert heute seinen 70. Geburtstag. Zu diesem Anlass hat der Verlag Das Neue Berlin ein Buch von Hans-Dieter Schütt – "Spielzeit Lebenszeit" betitelt – herausgebracht, das den Regisseur vor allem als Person zeigt. Schütt hat ausführliche Gespräche mit Langhoff geführt, zudem präsentiert er einige Tagebuchnotizen des angehenden Regisseurs sowie ein paar interpretierende Beschreibungen der jüngsten Langhoff-Arbeiten, in einem Extrakapitel lässt er einen Jugendfreund zu Wort kommen (dessen Erinnerungen an das zerrissene Berlin der 50er Jahre man sehr gerne liest), und dann gibt es noch Erinnerungen dreier Schauspielerinnen, einige Briefe von Vater Wolfgang an seine Frau und ein (leider unvollständiges) Inszenierungsverzeichnis.

Ein eigenartiges, fast unordentliches Sammelsurium ist das geworden, doch darin liegt auch der Reiz des Buches: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen", heißt es ganz richtig im "Faust". Und so dient der Band zwar kaum der systematischen Erschließung von Leben und Werk Thomas Langhoffs, doch zum Festlesen langt es allemal. Denn Langhoff und Schütt sind sich gegenseitig geistvolle und scharfsinnige Gesprächspartner, deren Plaudereien man immer mit Gewinn folgt.

Real existierendes Großbürgertum im Sozialismus

Und so lässt man sich – aufgestachelt von Schütts reflexionsgesättigtem Fragen – von Langhoff in die von ihm geliebten Zwischenwelten führen: in eine Jugend, die sich im Spannungsfeld des real existierenden sozialistischen Großbürgertums seiner Eltern und der ebenso realen Jugendbande bewegte; in die unpolitische und deswegen fast paradiesische Theaterprovinz Borna, wo der junge Schauspieler Langhoff sein erstes Engagement hatte; in die Krisen und Erfolge eines jungen Regisseurs in Potsdam und Berlin, eines Regisseurs, der sich eigentlich nie für einen Regisseur hielt ("Im Grunde sind wir Scharlatane, liebenswert durchaus, musisch, mit Theatergefühl, aber Regisseure, richtig, mit Zielen, mit geistigem Gerüst und analytischen Kenntnissen, das sind wird nicht", schreibt er in den 70ern in sein Tagebuch); und in eine Wende-Zwischenzeit, die gerade in ihrer scheinbar chaotischen Offenheit den Regisseur Langhoff zur Verantwortungsübernahme als Intendant reizte.

Ideologie- und Prinzipienferne

Und schließlich beginnt man über den Lebens- und Lebenswelterzähler Langhoff auch den Regisseur neu zu sehen: man ahnt, wie seine mit Menschenfreundlichkeit gepaarte Skepsis, seine Ideologie- und Prinzipienferne sich als Ergebnisoffenheit in seine Inszenierungen einschreiben. Und wie im besten Fall Langhoffs Misstrauen gegenüber allen Gewissheiten seinen Figuren zu einer so schwebenden wie zerbrechlichen, dabei stets vom Zweifel angefressenen Gegenwärtigkeit verhilft. Darin ist Langhoff groß. Auch wenn er für die große Sache nicht taugt.

P.S. Es ist eine Litanei, die sich heutzutage bei fast jedem Buch wiederholen lässt, aber man darf es auch nicht verschweigen: Das Buch ist leider schlampig lektoriert. Fehlende Buchstaben und andere Unaufmerksamkeiten gibt’s in Hülle und Fülle, und wie z.B. Dagmar Manzel zu dem neuen Vornamen Gudrun kommt (S. 254), bleibt ein Rätsel.

 

Hans-Dieter Schütt:
Spielzeit Lebenszeit – Thomas Langhoff.
Verlag Das Neue Berlin 2007.
287 S. EUR 22,90.

 

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