Kolumne Queer Royal – Georg Kasch und das jüngste Sprachgericht
Kill Your Enemies
von Georg Kasch
22. März 2016. Ein Wort kann eine Waffe sein. Das N-Wort zum Beispiel. Neulich, nach den Landtagswahlen, begab sich eine Spiegel-Online-Reporterin ins sachsen-anhaltinische Bitterfeld, um zu erfahren, warum ausgerechnet hier die AfD mit über 30 Prozent das landesweit beste Ergebnis erzielte, stärkste Kraft wurde und auch noch ein Direktmandat holte. Da benutzt bei Sekunde 20 ein älterer Herr das N-Wort mit so viel Hass und bebender Überzeugung, dass angesichts dieses Beispiels eigentlich auch dem letzten bürgerlichen Zweifler aufgehen muss: Solange Menschen diesen Begriff so verwenden, muss er tabu sein. Auch in historischen Kinderbüchern.
Den Sprachpolizisten machen
Allerdings brauchen derartige Erkenntnisse manchmal etwas länger. Auch bei mir. Als Berufsschreiber weiß ich ja, wie einengend das ist, wenn Wörter verboten sind oder Wendungen vorgeschrieben werden. Als junger Mensch las ich mal in einem Magazin für Kriegsdienstverweigerer die Empfehlung, auf alle Begriffe zu verzichten, die mit Krieg, Kampf, Schuss in Verbindung stehen. Wenn ich mich daran halten würde, wäre mein Satzbaukasten um ein paar hundert Wörter ärmer und dieser Text um etliche Worte kürzer.
Nun wurde ich neulich selbst zum Sprachrichter. Mein Kollege Wolfgang Behrens hatte eine Kritik zu "Othello" am Gorki-Theater geschrieben. Darin beschrieb er den Cassio, gespielt von Oscar Olivo, als "eine gespreizt schwuchtelnde Charge im Sonnenkönig-Outfit". Bumm! Als morgendlicher Redaktionsdienst zuckte ich beim Lesen kurz zusammen. Aber ich wollte nicht den Sprachpolizisten machen. Gerade weil ich als Betroffener vorher auch noch gefragt worden war: Wolfgang hatte extra angerufen, unsicher, ob die Wort-Verwendung okay sei. Die war auf die Spielweise bezogen, nicht auf die Person, und ich hatte beim Lesen gleich ein ziemlich genaues Bild dessen vor Augen, wie Olivo offenbar seine Rolle angelegt hat. Außerdem gibt es schwule Männer, die das Wort "Schwuchtel" als trotzige Selbstbezeichnung positiv umzumünzen versuchen, so, wie das in den 70ern mit "schwul" passiert ist. Und überhaupt: Vielleicht ist das mit diesen Sprach-Empfindlichkeiten auch übertrieben. Also sagte ich Ja.
Den inneren Revolver entsichern
Mittlerweile denke ich: nein. Seit einem Monat lässt mich der Begriff nicht mehr los. Was genau heißt Schwuchtel (und die verwandten Begriffe schwuchtelig, schwuchteln)? Das Deutsche Universalwörterbuch sagt: "(salopp, oft abwertend): [femininer] Homosexueller". Mal davon abgesehen, dass sich mir bei der Duden-Beschreibung der innere Revolver entsichert (als ob Begriffe wie weiblich und männlich genormte Stanzformen wären!): Schwuchtel ist in erster Linie ein Schimpfwort. Es gibt keine wertneutrale Ursprungsbedeutung. Es gibt vor allem eines: Verletzung.
Wenn mir also demnächst mal wieder morgens um acht ein Wort über den Weg läuft, von dem ich mir nicht sicher bin, ob es verletzend oder diffamierend wirkt, dann stelle ich mir den alten bösen Mann aus Bitterfeld vor. Wenn das Wort aus seinem Mund harmlos klingen würde, kann es stehen bleiben. Andernfalls wird es gestrichen. Wir Journalisten sind ja gewöhnt, unsere Darlings zu killen. Warum nicht zur Abwechslung mal unsere Feinde?
Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" versucht er, jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt zu blicken.
Zuletzt suchte Georg Kasch an dieser Stelle nach dem Helden, der der deutsche Mann angeblich mal war.
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Ich las gerade zufällig mal wieder in Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" rein und befand: Für ihre Zeit voll okay, Kampf gegen den Algerienkrieg usw. Von heute aus gesehen fraglich: Erstens, warum ist eine Frau das "andere Geschlecht"? Was ist so schlimm daran, auch mal feminin zu sein/wirken zu wollen? Ist ein Schwuler dann möglicherweise sexistischer als ein Heteromann, wenn er das Feminine so betont oder ist das nicht vollkommen egal? Weil er mit seinem femininen Auftreten ja nicht die Heterofrau abwerten will? Oder eben doch? (...)
Kurz: Diese sogenannten "Begriffspolizeifragen" sind im Grunde viel zu platt und unterkomplex gestellt, weil noch so viel andere Diskurse mit drin hängen (könnten).
Ach so, zu de Beauvoir noch: Sie schreibt im Abschnitt "Natur und Künstlichkeit" der Frau auch über die "Negerfrauen" als Mitglied "primitiver Völker". Das liest sich wirklich nicht schön. Schade, Frau Beauvoir.
Mir erscheint es viel sinnstiftender, dass wir uns besetzter Begriffe bemächtigen, ihrer Herr werden anstatt sie zu entsorgen / abzureißen / zu löschen.
Umgang statt Zensur. Arbeit statt Rückzug. Anstrengung statt Ausweichen. Kampf statt Kapitulation.
[habe das zuvor auch schon einmal etwas pointierter formuliert, aber der Beitrag wurde zensiert]
Und: Wo kann ich die Eintragung bestimmter ((mir) unliebsamer, ggf. noch quicklebendiger) Termini in das offizielle Schimpfwortregister vornehmen lassen? An wen kann ich mich wenden, um bestimmte Termini als "sauber" beglaubigen zu lassen? Wer erteilt (finale) Abschussgenehmigungen?
Immer schön deutsch: alles regeln! Was bei den Worten noch geht, wird bei den Gedanken (leider?) schon schwieriger. Der Eifer der Klatsch-Base und der der Moralin-Säure feiern Walpurgis. Nur wer im Konsens lebt, lebt angenehm: Das Gesprochene entlarvt den Sprechenden.
Wer bestimmt darüber, was ein (nicht zu verwendendes) Schimpfwort ist. Allein die geschichtliche Herleitung? Ist es eigentlich auch eine Beleidigung oder okay, wenn Wolfgang Herrndorf vom "König von Afrika" schreibt, der wütend rummotzt: "'Du hast mir nichts getan! Nein, nur deine Frau, der stinkende Haufen Kameldung!', brüllte der Alte, legte an und schoss Carl eine Kugel zwischen die Augen." Nein, das ist ein Witz, oder wie jetzt?! Ich erinnere hier auch an den Film "7 Psychos". An anderer Stelle schreibt derselbe Autor: "Keine Angst, ich bring dich schon nicht um!" Witz oder doch auch ernst gemeint? Ich musste jedenfalls drüber nachdenken.
Ich bin gegen Beleidigungen, kann mir aber trotzdem vorstellen, dass die in den Köpfen vieler Menschen rumschwirren, auch in meinem, übrigens. Manchmal passiert's eben leider einfach, manchmal macht man's wohl auch (siehe oben) aus purer Verzweiflung. Oder aus Spaß. Mit Verboten sind diese Worte ja nicht aus der Welt.
Herrndorf geht, würde ich sagen, deshalb so gut, weil er die Vorurteile gegenüber Menschen (inklusive sich sebst als Autor) so grotesk übertreibt, dass sie als Vorurteile kenntlich werden. Ich erinnere mich auch noch an diese Sache in "Tschick". Da endet die Spritztour der zwei Jugendlichen doch so (Autounfall), dass der Vater des reichen Jugendlichen sofort das (Achtung, Vorurteil!) arme, vernachlässigte Russenkind verantwortlich macht. Ich habe leider nicht mehr den Wortlaut, aber Herrndorf macht darüber möglicherweise klar, dass ein Gerichtsurteil klischeehafterweise den Reichen entlasten würde. Tja. Nur weil er reich ist? Sind Reiche immer nur gut? Und stimmt es nicht auch zugleich, dass arme Menschen oft einfach deswegen mehr Mist bauen, weil sie arm sind? Solche Widersprüche entdeckt man bei Herrndorf zuhauf. Und sie bleiben nicht einfach so platt da stehen, sondern man muss weiter drüber nachdenken. Auch über die Beleidigung eines Schweden (Lundgren) gegenüber einem Araber: "Na, heute schon dein Schaf gefickt?" Hä? Ich verstehe den bis heute noch nicht ganz. Klingt bloß lustig, irgendwie. Kann mir da vielleicht ein Araber weiterhelfen? Gibt's da auch eine Geschichte zu?
Danke für das Vornehmen: "Wenn das Wort aus seinem Mund harmlos klingen würde, kann es stehen bleiben."
Danke.