Hedda Gabler - Intendant Uwe Eric Laufenberg greift Ibsens Drama in Wiesbaden beherzt in die Hose
Sex and Crime, frei ab 14
von Shirin Sojitrawalla
Wiesbaden, 31. März 2016. Der dämlichste Moment ereignet sich gleich zu Beginn. Da krächzt Karlheinz Stockhausens berühmt berüchtigtes Verdikt über die Anschläge des 11. September 2001 aus den Lautsprechern. Von Geistern sprach er da, die in einem Akt etwas vollbrächten, was man in der Musik nie träumen könnte. Im Fanatismus der Täter und in ihrem Sterben nach der Tat, sah er dann das größte Kunstwerk überhaupt am Werk oder so. Das Zitat dient dem Abend als merkwürdiger Prolog. Gewiss, auch Hedda wird am Ende des Stücks die Schönheit des Selbstmordes Eilert Løvborgs preisen, doch stellt sie das in eine Reihe mit Stockhausens Verherrlichung der Terroranschläge? Scheint mir zu weit hergeholt. Was Stockhausen bewogen hat, sich derart zu äußern, ist unsicher. Bei Hedda Gabler indes, der stolzen Tochter eines Generals, ist von Beginn an klar, dass nur ihre abgöttisch geliebten Pistolen ein bisschen Schönheit in ihr vermaledeites Leben bringen.
Dabei speist sich die Faszination der Bühnenfigur Hedda Gabler von jeher aus ihrer Undurchschaubarkeit. Worin liegt ihre Bösartigkeit begründet? Ibsen legt zwar einige Fährten, ohne aber den Zauber seiner ebenso traurigen wie gemeinen Eisprinzessin zu zerstören. In Wiesbaden spielt nun die gleichzeitig engelhafte wie kaltschnäuzige Schauspielerin Judith Bohle Hedda Gabler. Zu Beginn tritt sie in weißen Hosen und Ringel-T-Shirt auf, später umfließen lange Röcke oder Kleider ihren aufrechten Gang. Ihrem immer wie frisch gewaschen und dennoch grün hinter den Ohren wirkenden Ehemann Jørgen Tesman (Janning Kahnert) scheint sie schon stimmlich überlegen. Sie hat ihn geheiratet, da sich keine sonstigen Optionen oder nur solche Optionen, die mehr Mut von ihr verlangt hätten, aufgetan haben.
Ibsens pornografischer Naturalismus
Intendant Uwe Eric Laufenberg oversext Hedda und das nach ihr benannte Stück genüsslich. Nymphoman dirigiert sie bei ihm nicht nur ihren Gatten aufs Sofa, sondern lässt sich auch von Richter Brack lecken und revanchiert sich ein paar Sätze später per Blowjob bei ihm. Auch der mauerblümchenhaften Thea (Kruna Savić) schiebt sie ihre rigorose Hand unter den Rock, gar nicht zu reden von ihrem einstigen Geliebten Eilert Løvborg. Quickie, Cunnilingus und Fellatio absolviert der Abend dabei spielend und, wie es sich bei Ibsen gehört, ausreichend naturalistisch.
Auf der Homepage des Theaters findet sich der Hinweis, die Vorstellung sei für Jugendliche unter 14 Jahren nicht zu empfehlen, und die Presseabteilung des Hauses spricht von einem "Sex-and-Crime-Drama". Hm. Doch die Sex-Szenen sind dann besser, als zu vermuten gewesen wäre. Der Quickie zwischen Hedda und ihrem Mann etwa, bei dem sie natürlich darauf achtet, oben zu sitzen, und er schon kurz nach ihrem beherzten Griff in seine Hose zum Höhepunkt kommt, charakterisiert die beiden Figuren und ihr Verhältnis zueinander einigermaßen präzise, und das ohne Worte und ziemlich schnell. Das gilt auch für die anderen Liebesspiele, die zudem meist noch für boulevardeske Heiterkeit sorgen.
Rätselhafte Vatertochter
Der von Uwe Kraus gegebene Richter Brack im mintfarbenen Hemd und farblich abgestimmten Socken ist sich dabei kein bisschen zu schade, Hedda schon beim ersten Auftritt mit Pornoblicken nachzustellen. Løvborg schließlich, den größten Konkurrenten von Tesman, stilisiert die Inszenierung als Seelenverwandten von Michel Houellebecq, der in der sinnlichen Begierde die Quelle des Unglücks ausgemacht haben will. Tom Gerber spielt Løvborg als waidwunden, erst ein bisschen, dann sehr abgerissenen Mann, ohne Willen zur Macht. Hedda Gabler kann er so nicht erobern, sich höchstens im Liebestod mit ihr vereinen.
Matthias Schaller hat den Salon der Tesmans als kaltes Wohnzimmer hergerichtet. Ein überdimensionierter Kamin fungiert als Raumteiler, der die Darsteller immer mal wieder vor den Blicken der Zuschauer schützt. Zu Anfang leuchten überall Blumen, vorne langstielige Lilien, Todesblumen. Der Raum mutet so gemütlich an wie ein Krankenzimmer oder eine Trauerhalle. Darin ein paar Sitzmöbel mit hellem Bezug. Die Hinterwand beherrscht die stimmungsvolle Fototapete eines Fjords, vermutlich der Oslofjord.
Die Handlung des Stücks nimmt keine zwei Tage in Anspruch, wiewohl es einem in Wiesbaden länger vorkommen mag. Trotzdem gelingt ein sehr okayer Abend, stringent erzählt, ohne vom Wesentlichen abzulenken. Beinahe drei Stunden lang umkreist die Inszenierung Hedda Gablers Persönlichkeit, die sich vorschnellen Diagnosen entzieht. Judith Bohle mimt die Vatertochter in all ihrer Rätselhaftigkeit und wahrt dabei das Geheimnis von Heddas So-Sein.
Hedda Gabler
von Henrik Ibsen
Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Uwe Eric Laufenberg, Bühne: Matthias Schaller, Kostüme: Susanne Füller, Dramaturgie: Andrea Vilter.
Mit: Judith Bohle, Janning Kahnert, Tom Gerber, Kruna Savić, Monika Kroll und Helga Schoon.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-wiesbaden.de
"Die Aufführung ist Ibsen pur, angereichert mit Musik für die künstlerische Form, in der sich die von Hedda gewünschte Entgrenzung hätte ausdrücken können, ausgeführt von einem exzellenten Ensemble" schreibt Viola Bolduan im Wiesbadener Kurier (2.4.2016) und lobt vor allem die "fesselnd stringente und konsequente zweite Halbzeit" sowie die Hauptdarstellerin Judith Bohle, "die in ihrer Partie alles bieten muss: das teilnahmslos Laszive, die verführerische Manipulation und das selbstbestimmte Ende. Sie kann das."
"Kaum auszuhalten, wie Jørgen Tesman, Hedda Gablers ungeliebter, staubtrockener Ehemann, jeder Floskel noch ein herablassendes 'was?' hinterherschiebt", schreibt Axel Zibulski in der Offenbach-Post (2.4.2016). "Schauspieler Janning Kahnert gelingt das im Wiesbadener Staatstheater ganz herrlich, ganz enervierend beiläufig." Insgesamt sei die Inszenierung "lang, aber nie langweilig, weil Laufenberg den sieben Personen auch in der Enge des Salons Luft zum Spielen lässt", vor allem der "großartigen, kühlen, schattierungsreich spielenden Judith Bohle" in der Titelrolle, die zeige, "wie sie ihrer Lust freien Lauf lassen kann, Menschen zu beeinflussen, zu manipulieren, zu beherrschen".
Als "geradliniges Konversationsstück" zeige Uwe Eric Laufenberg Ibsens "Hedda Gabler", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (2.4.2016). Als Schauspielertheater. "Judith Bohle ist eine hochelegante, aber moderne Hedda, ein glaubhafter Typ und äußerst unsympathisch durch den Wiedererkennungseffekt – und durch den erweiterten Spielraum für Frauen, der das Kapriziöse und Passive logischerweise unglücklicher wirken lässt", so von Sternburg. Insgesamt sei die Inszenierung nicht subtil, "auch Routine ist beim vielgespielten Stück dabei, und doch: Es funktioniert erneut."
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