Wer tot ist, geht auf die Nerven
von @regenbericht
4. April 2016. Im Gegensatz etwa zu Redakteuren können Dramatiker ihre Karrieren nicht im jugendlichen Alter von Mitte sechzig beenden. Nein, der Schriftsteller muss weiter arbeiten, unaufhörlich inspirieren, wirken und nachwirken.
Ein oft verwendete Phrase in Theaterkritiken lautet: "Büchner/Lessing/Goethe ist an diesem Abend lebendiger denn je." Wenn Faust also auf psychedelischen Drogen vom Schnürboden baumelt, Woyzeck von der Pharma-Lobby erpresst oder Holofernes von ISIS-Kämpfern enthauptet wird, dann nur um unsere Dramatiker auf der Bühne der Jetztzeit wieder auferstehen zu lassen. Und tatsächlich: Als René Pollesch kürzlich Bert Brecht in Zürich zu einem neuen Leben unter falschem Namen erwecken wollte, meldete dieser sich persönlich zu Wort, aber nicht auf der Bühne.
das nervt @radiotheorie ich will keinen neuen namen https://t.co/09NGvYqrO9
— bertolt brecht (@radiotheorie) 4. April 2016
Nicht etwa das Theater, sondern das Netz ist nämlich der Ort, an dem unsere großen Literaten weiterleben. Unaufhörlich twittern sie hier um ihr Andenken. Keine leichtes Los, so ganz ohne Körper.
TO WHOEVER HATH MY HEAD:
— William Shakespeare (@Shakespeare) 27. März 2016
Thou art a fool, a knave, and a lousy, whore-bitten pander. But give me some aspirin. I've a migraine.
Auf Twitter wie im Leben heißt es teilen und geteilt werden, aber Shakespeare lässt sich davon den Spaß nicht verderben.
Breakfast with Boccaccio is always dangerous. He made me laugh so hard I choked on a bit of muffin. #RenSA16
— William Shakespeare (@Shakespeare) 2. April 2016
Aristoteles, der große Dramentheoretiker, erfindet sich posthum ganz neu und erwägt den Schritt in die Politik.
For example:" I would definitely support Donald Trump @realDonaldTrump @Aristotle #whatwouldaristotledo" :)) #wisdomproblems
— Aristotle (@Aristotle) 1. April 2016
Was das Selbstbewusstsein angeht ...
After the way I beat Gov. Scott Walker (and Jeb, Rand, Marco and all others) in the Presidential Primaries, no way he would ever endorse me!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 28. März 2016
sind Trump und der Philosoph ohnehin Brüder im Geiste:
YOU THINK YOU KNOW, BUT YOU HAVE NO IDEA. #knowledge #universe #idea #QuantumMechanics #Aristotle
— Aristotle (@Aristotle) 25. Februar 2016
Auch Karl Kraus will den Anschluss nicht verpassen und versucht sich bei coolen Medienschaffenden ins Gedächtnis zu rufen ...
Am Scheideweg bedarf es großer Geister, um die Spreu nicht nur vom Weizen zu trennen, sondern auch beim Namen zu nennen. @saschalobo
— Karl Kraus (@Karl_Kraus) 11. Mai 2010
... mit mäßigem Erfolg.
"Man könnte größenwahnsinnig werden: so wenig wird man anerkannt."
— Karl Kraus (@Karl_Kraus) 9. Mai 2010
Noch schlimmer: Heinrich von Kleist muss das Andenken an sein Käthchen neben C&A feiern.
Das Kleist-Jahr 2011 in Heilbronn. Im Fleischhaus (= früheres Naturhistorisches Museum, Kramstr. 1, zwischen C&A und Stadtgalerie).
— Heinrich von Kleist (@HeinrichvKleist) 18. Januar 2011
Keine Frage: Twitter bietet jede Menge Grund für schlechte Laune, weswegen sich Thomas Bernhard durchaus wohl fühlt.
Wir wollen etwas Zureichendes sagen [...] und sagen etwas vollkommen Unzureichendes, ja etwas Peinliches, Widerwärtiges, Dummes.
— Thomas Bernhard (@dailybernhard) 28. März 2016
Ob im Shitstorm oder in der Filterbubble ...
immer an der Grenze der Verrücktheit
— Thomas Bernhard (@dailybernhard) 18. Februar 2016
niemals diese Grenze überschreiten [...]
verlassen wir diesen Grenzbereich
sind wir tot
irgendwie muss es ja weiter gehen,
What an effort to keep alive!
— Franz Kafka (@franzkafka_) 12. Dezember 2011
denn der Autor ist nicht tot. Er ist auf Twitter. Folgen Sie ihm. Er trendet.
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