Kleindramatisches Diskursgut

von Nikolaus Merck

Berlin, 11. April 2008. Nummer 16, 17 und 18. Uff, das wär' geschafft. Die Deutschlandsaga der Berliner Schaubühne  auf der Zielgeraden, 18 Kurzstücke in einem halben Jahr. Ur-auf-füh-rungs-werk-statt. Und wir mitten drin. "Wo sin'n hier die Faschos?", brüllt Niels Bormann von unten, street-fightin'-man-gerecht in Kapuzenpulli und militantem Schwarz. "Kann nix sehn!" brülllt Ina Tempel von oben zurück, wenn schon nicht mit dem Kopf in den Wolken verschwunden, so doch immerhin zwischen der Deckenverkleidung im Vorraum der Studiobühne. Dirk Laucke trifft im "Stück gegen sich selbst" den aufgeregten Ton der ewig militanten Schwaben aus Kreuzberg und Friedrichshain haargenau.

Heftig rumoren Tempel und Bormann zwischen den eng gedrängten, kichernden Zuschauern, räumen Leergut weg, schwadronieren von der Revolution und Bullenspitzeln. Und weil das Leben eine Baustelle ist, sind Revolution und Faschos nach 15 Minuten perdu und die beiden bekommen zusammen ein "Discowürmchen". Derweil ihr Sachbearbeiter von der Arbeitsagentur mal eben Peter Hartz entführt hat. Um ihn auf ein paar Probleme seiner Reformen aufmerksam zu machen. Wie etwa die unverbesserlich faulen Menschen, denen man den deutschen Geist mit Strenge und am besten im Arbeitslager wieder einbläuen sollte.

So geht das zu in der Schaubühne und nicht nur beim jung-anarchischen Flügelmann der Deutsch-Dramatik Laucke. Als "Versuche, die Schichten der Geschichte aufzubrechen, um einzelne Teile betrachten und beschreiben, also interpretieren zu können", besingt die Dramaturgie ihre Unternehmung, in der auch schon einmal bloß die Schlagworte des Jahrzehnts aneinander gereiht und von vorgeblichen, wie wilde Tiere im Käfig gehaltenen Medienleuten zertanzt werden.

Jump-Style-Performanzereien

Da gibt es kostbare Momente: wenn etwa Ursula Doll, die Haare hoch gesteckt, in engem schock-gelblichen Business-Kostüm (aus einer Zeit, die noch nie gewesen sein wird) mit Angelina Jolie-Sonnenbrille die Hüften kreisen lässt: "Fashion, fashion, fashion." Man könnte den Text auch bei einem Techno-Konzert ausrufen lassen, oder als Anfeuerungsschleife für Jump-Style-Performanzereien, sein inhaltliches Leichtgewicht wäre dasselbe. Allein die Schauspieler hätten es vemocht, "Mashup", so heißt diese Wortsammlung des 30-jährigen Schweiz-Australiers Simon Froehling, zu einer Voodoo-Seance zu upgraden. Das lässt sich mit bloßem Auge schon bei diesem als Premiere missverstandenen Probelauf erkennen.

Es ist ein Problem der Uraufführungswerkstatt am Lehniner Platz, dass sie Uraufführung immerzu groß und Werkstatt viel zu klein schreibt. Dabei war der Etikettenschwindel schon nach dem ersten Dreier-Abend zu den fünfziger Jahren aufgeflogen. "Mashup" beispielsweise hätte größerer Konsequenz in der konzertanten Anlage und längerer Probenzeiten bedurft und es hätte sich als wahrhaft ekstatisches Gustostückerl entpuppen können. Wie schon bei den kleindramatischen Jahrzehnt-Betrachtungen zuvor, wunderten wir uns auch bei der 00er Ausgabe wieder über die Lässlichkeit, mit der handwerkliche Standards einfach beiseite gelassen wurden.

Im Schatten pubertärer Mädchenblüten

Darja Stockers "Vielleicht ein Pferd", die Geschichte zweier Freundinnen zwischen Mexiko und Berlin, etwa brach unter der überladenen Bühne förmlich zusammen. Um das beim Lesen noch dicht gewebte Stück zu zerreißen, hätte es da nicht einmal des krassen Fehlers bedurft, die eine der beiden Freundinnen als Stimme pur ins Off zu verlagern und der phänomenalen Ursula Doll die ganze Last der Darstellung der pubertären Mädchenbeziehung alleine aufzubürden. Natürlich meistert sie die Aufgabe mit leicht gebeugtem Rücken und ihrem unnachahmlich zwischen Bitternis und Irrsinn siedelndem hexischen Lächeln, sie schafft es sogar, noch mit Flossen bewehrten Füßen grazil die Bühne zu queren.

Doch die Möglichkeiten der Geschichte sind vertan. Am Ende haben wir auch nach dem 18. Stücklein über Deutschland recht wenig über das Land erfahren, in dem wir leben. Wir haben Kabarett gesehen, Unfertiges und häufig kaum mehr als Angedachtes. Dabei: mit Schauspielern wie sie die Schaubühne mit ihrer unermüdlichen Fünferbande vorweisen kann und Skizzen der Güte "Wo sind die Faschos?" – "Kann nix sehn!" bestreiten andere Häuser ganze Kultreihen im Rangfoyer oder im Klo. Nur käme niemand anderswo auf den Gedanken, derartige Divertimenti mit einem tönenden Titel wie "Deutschlandsaga" zu hoch karätigem Diskursgut aufzublasen.


Deutschlandsaga
Uraufführungswerkstatt
3 Kurzstücke zu den 00ern

Stück gegen sich selbst
von Dirk Laucke
Einrichtung: Jan-Christoph Gockel

Mashup
von Simon Froehling
Einrichtung: Robert Borgmann

Vielleicht ein Pferd
von Darja Stocker
Einrichtung: Robert Borgmann

Raum: Magda Willi, Bühne und Video: Jochen Schmidt, Kostüme: Esther Krapiwnikow, Musik: Alexander Britting.
Mit: Niels Bormann, Ursula Doll, Bettina Hoppe, Felix Römer, Ina Tempel, Gitarrist und Sänger: Alexander Brilling.

www.schaubuehne.de

 

Mehr zur Deutschlandsaga an der Schaubühne lesen Sie hier: die 90er Jahre, die 80er Jahre, die 70er Jahre, die 60er Jahre und die 50er Jahre.

 

Kritikenrundschau

Die taz (14.4.2008) bleibt unermüdlich bei der "Deutschlandsaga" der Schaubühne am Ball. Esther Slevogt ahnt im Beitrag Dirk Lauckes "Stück gegen sich selbst" "den Versuch, aus den Typen und Klischees, die das Thema Deutschland am Fließband produziert, so etwas wie eine kleine fiese Komödie zu bauen." Aber so recht wolle das nicht gelingen. In Simon Froehlings Kurzdrama "Mashup" vermutet sie eine simple Botschaft: "Der Neoliberalismus löst alle Kontexte auf, weshalb natürlich auch das Knabbern an der deutschen Identität keinen Sinn mehr macht." Und in Darja Stockers "Vielleicht ein Pferd" stelle sich leider so recht "keine Geschichte ein, die einen Sinn im Gesamtkontext dieser Reihe" ergebe. Da es zum Abschluss der "Deutschlandsaga" noch einen Best-of-Sampler aller Folgen geben wird, entfährt Slevogt zuletzt der Seufzer: "Der Krampf geht weiter."

"Am Ende ist's ein Song. Der Bühnenboden ist mit knallbunten Klamotten übersät, in der Ecke ein Bett, hinten eine Bar und über allem schweben schön schnulzende Popverse. Es sind wolkige Zeilen vom Leben im Hier und Heute. Man seufzt ein bisschen." Schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (15.4.2008). Auch das 18. Dramolett der Deutschlandsaga, Darja Stockers "Vielleicht ein Pferd", inszeniert von Robert Borgmann, zeige wieder "die Crux des Unterfangens": Für 500 Euro Salär lieferten die Autoren oft "eilige Entwürfe ab, die als Materialsammlung noch durchgehen mögen, als Deutschlandbild- und Geschichtserkundungen aber unter erheblichem Substanzmangel litten" – was die Regisseure wiederum gern dazu verführt hätte, "hastig in die Vorlagen einzugreifen und die Stücke eher zu verschlimmbessern." Die Schaubühne habe einen "schweißtreibenden Dramen-Ausdauerlauf hingelegt", für den man ihr den "Durchhalte-Orden ersten Grades" verleihen möge. "Unter ästhetisch-politischen Gesichtspunkten war's allerdings meist ein ermüdender Marsch durch die Wüste."

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