Der Sturm - Andreas Kriegenburg verlegt in Frankfurt Shakespeares Spätwerk in eine japanische Zauberwelt
Von roten Schirmen und Bonsai-Bäumen
von Grete Götze
Frankfurt, 15. April 2016. Fast am Ende der Intendanz von Oliver Reese bringt das Schauspiel Frankfurt William Shakespeares letztes Stück "Der Sturm" auf die große Bühne. Darin vergibt Prospero, der Herzog von Mailand, schlussendlich seinen einstigen Feinden, schwört seinen Zauberkräften ab und erlöst die ihn Umgebenden von seinem Fluch. Vorher hat er seinen Bruder, der ihn einst um den Thron gebracht und im Meer ausgesetzt hatte, sowie dessen Gefolgschaft schiffbrüchig werden und an jene Insel spülen lassen, auf der er seit seiner Aussetzung mit Tochter Miranda, dem Luftgeist Ariel und dem Knecht Caliban lebt.
Diese Insel hat der Bühnenzauberer Andreas Kriegenburg in eine japanisch anmutende Wasserlandschaft verwandelt. In blaues Licht getaucht, werfen ihre Wellen kleine Kräusel auf einen riesigen weißen Bonsai-Baum, der in der Mitte der Landschaft thront. Seine Blätter könnten Buchseiten sein, aber auch Origami-Faltblätter. Vor ihm erzählt in kalkweiß gewandet Prospero (Felix von Manteuffel) seiner ebenso eigenartig wie der Baum gekrümmten Tochter Miranda von ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit als eigentlich rechtmäßige Prinzessin von Mailand. Katharina Bach, aus der letztjährigen Was Ihr Wollt-Inszenierung von Jorinde Dröse noch in der Verkörperung von Shakespeare-Heldinnen geübt, wirkt mit weißem langem Haar wie ein Fabelwesen, das in seiner kindlichen Entrücktheit in die magische Bühnengegenwart passt.
"Sturm oder Wasserrohrbruch?" ist hier die Frage
Auf diesem Eiland herrschen andere Gesetze: Indem Prospero einen Sturm heraufbeschwören kann, rächt sich der einst Gestürzte endlich an seinem Bruder und dessen Verbündeten.
Der Sturm, der den Schiffbruch verursacht, er ist in dieser Inszenierung ein wildes in Klaviertasten-Hauen des Luftgeistes Ariel, den Franziska Junge als irre-stimmungswechselnde Kreatur gibt. Offenbar soll sie gleich zu Beginn vermitteln, dass nun eine Komödie gegeben wird, denn bevor sie sich ans Klavier setzt, watet sie durch das Bühnenwasser und murmelt: "War hier nen Wasserrohrbruch? Da kriege ich ja ne Erkältung". Erste Lacher. Nacheinander plumpsen dann die Schiffbrüchigen durch die schrillen Töne verursacht von einem riesigen Strickleiter-Netz herunter, bevor sie sich in der Wasserlandschaft wiederfinden, in der sie die Genarrten sind.
Japan? Warum eigentlich Japan?
Andrea Schraads Kostüme verdeutlichen, wer hier zu welcher Gruppe gehört: Die Inselbewohner tragen alle weiße Gewänder, um Ariel herum schweben ständig vier hell gewandete Geister mit weiß geschminkten Gesichtern. Die genarrten Neuen auf der Insel tragen schwarze weite Röcke, die an japanische Kampfkunst erinnern. Und die lustigen Trunkenbolde, die in fast keinem Shakespeare-Stück fehlen, tragen natürlich bunte Strumpfhosen.
So weit, so simpel. Der Regisseur entwirft mit insgesamt vierzehn Menschen auf der Bühne imposante, schöne Bilder. Etwa wenn Ariel und die anderen Geister um Miranda und ihren Geliebten Ferdinand (Nico Holonics) herumschwirren und vor jeder möglichen Berührung des Paares ihre roten Schirme zu pulsierenden Herzen werden lassen. Aber schon nach kurzer Zeit wirken die japanischen Flötenklänge und die fließenden Bewegungen der Geister artifiziell. Zumal sich zwar ästhetisch, aber nicht wirklich inhaltlich erschließt, warum Kriegenburg die Insel in eine japanische Welt versetzt. Verstärkt wird der artifizielle Eindruck dadurch, dass die Schauspieler den von Frank-Patrick Steckel neu übersetzten Text über Mikroports sprechen.
Mit Mutti an die Bar
Wo es nicht ästhetisch-stilisiert ist, da wird es albern-derb: Als Trinculo (Christoph Pütthoff) und Stephano (Sascha Nathan) ihren Matrosen-Auftritt haben, müssen sie norddeutsch sprechen und Witze dieser Art erzählen: "Ich kill den Mann – Kilimandscharo." Als sich nach einer guten Stunde gerade der Vorhang zugezogen hat, blafft der viehisch-böse Caliban die Zuschauer an: "Dachtet Ihr etwa, es ist schon Pause und ihr könnt schön mit Mutti an die Bar gehen?" Das Premierenpublikum schenkelklopfend.
So stimmig und aus einem Guss Andreas Kriegenburg in Frankfurt 2013 etwa Die Möwe inszenierte und den ganzen Saal in einen Zustand Tschechowschen Wartens versetzte, so sehr zerfällt dieser Abend in seine Einzelteile: Klamauk, Bildwucht und moralische Einsicht beim Happy End. Und er entgeht nicht dem Verdacht, dass die schönen Bilder und die japanische Atmosphäre hier manchmal wichtiger gewesen sein könnten als ein wirkliches Nachdenken darüber, warum man den "Sturm" heute spielen sollte.
Der Sturm
von William Shakespeare
Deutsch von Frank-Patrick Steckel
Regie und Bühne: Andreas Kriegenburg, Kostüme: Andrea Schraad, Dramaturgie: Claudia Lowin.
Mit: Katharina Bach, Michael Benthin, Thorsten Danner, Nico Holonics, Franziska Junge, Oliver Kraushaar, Felix von Manteuffel, Sascha Nathan, Elena Packhäuser, Carlos Praetorius, Christoph Pütthoff, Martin Rentzsch, Sina Weiss, Sam Michelson.
Dauer: Drei Stunden, eine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
Das sei "ein Abend mit meisterhaften Zügen und geistigen Tiefpunkten, und einiges wirkt so, als wäre es nicht fertig geworden", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (18.4.2016). Es gebe Szenen, die seien "fast wie im Cirque du Soleil, aber hundertmal weniger langweilig", und das "Meisterstück innerhalb der meisterhaften Züge" sei Ariel in der Darstellung von Franziska Junge. Es gebe aber eben auch Szenen, "die sich mit Steckels [des Übersetzers] mürbem Sprachwitz nicht begnügen und ihn aufzwirbeln zum Schenkelklopf- und Augenrollangebot. Das geht eine verdammt lange Weile so." Und da die "Positionierung der Schiffbrüchigen (...) in den Bereich Als-wäre-es-nicht-fertig-Geworden" gehöre, gehe die gesellschaftliche Konstruktion des gesamten Stückes nicht auf.
Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Shakespeares "Sturm" betone das Künstliche der Szenerie, was Tilman Spreckelsen in der Frankfurter Allgemeinen (18.4.2016) durchaus einleuchtet: All das, was diese Inselwelt ausmache, sei "eigentlich zu klein für einen wie Prospero, der die Verhältnisse durchschaut, weil er sie selbst entworfen hat, aber zu groß für alle, die er mit seinem Verblendungszauber belegt." Die "andere Seite des Stücks allerdings, die burleske Handlung" entpuppe sich "als Schwachpunkt dieser Inszenierung. Und das nicht, weil Kriegenburg ihr nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte. Im Gegenteil: Lang und immer länger breiten sie ihre Witze aus, fallen anfangs amüsant, später zunehmend ennuyant aus der Rolle, um mit dem Publikum zu kommunizieren." Wer derlei nicht lustig finde, "habe schlechte Karten, zumal das fort und fort geht."
"Kriegenburgs Bilder und der gelöst schwebende Rhythmus und Tonfall seiner Regie machen diesen 'Sturm' aus", meint Marcus Hladek in der Frankfurter Neuen Presse (18.4.2016). "Kriegenburgs Abstehen von thesenhaft spitzen Deutungen" lasse "den 'Sturm' ganz Spiel sein, Schauspielertext 'gegen Interpretation', auch wenn er der alten Vorliebe für aktive Szenografien mit Kletterfaktor und physikalischer Herausforderung frönt. Diese Offenheit lässt den Darstellern Raum."
Kriegenburg beginne mit dem "imposanten" Eröffnungsbild der riesigen Schiffswand und dem Netz mit Schiffbrüchigen, die zum Klaviergehämmer zucken, so Jürgen Berger von der Süddeutschen Zeitung (22.4.2016). Leider bleibe es allerdings "der stärkste Moment des Abends", der sich in seinem "Bonsai- und Origami-Idyll" in "verkünstelten Bildfindungen" verliere. Was Kriegenburg mit Shakespeares Figuren "in dieser Japan-Welt im Sinn hat, erschließt sich nicht."
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Das soll Steckel so übersetzt haben? Das könnt ihr mir aber unterm Wasser erzählen. Das klingt eher nach Jürgen Kruse oder Helge Schneider.
"Kasimir und Karoline" wurde nicht von Andreas Kriegenburg, sondern von Christoph Mehler in Szene gesetzt! Für die anderern vier oben genannten zeichnet Andreas Kriegenburg verantwortlich.