Deutlich didaktisch

von Hermann Götz

Graz, 11. April 2008. Eines war bei der Premiere von Sophokles Antigone in Graz nicht zu übersehen. Intendantin Anna Badora, die hier auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, hat eine didaktische Ader. Das zeigte sich schon an der Spielplangestaltung. Denn diese Antigone war dramaturgisch gut eingeführt. Zu Beginn der Spielzeit hatte das Grazer Schauspielhaus in Kooperation mit dem "steirischen herbst" Gerhild Steinbuchs "Verschwinden oder die Nacht wird abgeschafft" zur Uraufführung gebracht, ein Stück, das sich zur Antigone als Ausgangspunkt und Inspirationsquelle bekennt. Im November folgte auf der Probebühne "Oedipus", die Vorgeschichte also, die von Ingo Berk sehr schlicht und ernsthaft in ein kühles Bühnenlicht gesetzt wurde.  

Ein Unterfangen, das schon allein dadurch beeindruckt hat, dass das große, tragische Leid hier weder ironische Brechungen benötigte, noch ausgewiesene Stardarsteller. Einen solchen hat Badora nun allerdings für ihre Antigone gebucht. Götz Argus gibt den Kreon. Er macht das, wie zu erwarten, ganz hervorragend, trägt die wieder unverblümt tragische Inszenierung, ohne dabei (und das war nicht unbedingt zu erwarten) seine sehr überzeugenden Bühnengegner Caroline Eichhorst (Antigone) und Dominik Maringer (Haimon) an die Wand zu spielen.

Migration und Fremdsein

Doch Anna Badora hat nicht nur bei der Stoffwahl auf Stringenz gesetzt, sie folgt auch thematisch einem roten Faden, den sie bereits bei ihrer Eröffnungsinszenierung in Graz mit Grillparzers Medea aufgenommen hat: Migration, Fremdsein, Herausforderungen, die aus der Begegnung unterschiedlicher Kulturen erwachsen. Sie ist dem Thema selbst mit Shakespeares "Wie es euch gefällt" bei ihrer diesjährigen Saisoneröffnung treu geblieben und sie packt es jetzt auch in die Antigone, indem sie den Chor mit Menschen aus 14 verschiedenen Ländern besetzt.

Eine kleine Multikulti-Versammlung, die sehr deutlich (sehr didaktisch eben) darauf verweist in welchen Zusammenhang die große Diskussion, die Sophokles mit seiner Antigone aufrollte, heute zu stellen ist, oder besser: wo die Entscheidung zwischen Staatsraison und menschlichen Werten in unserer Zeit wieder Relevanz erhält.

Schauspieler und Bühnengäste

Und tatsächlich: Die Sturheit mit der Kreon sich wider alle Menschlichkeit in genau jenes Gesetz verbeißt, das er selbst erlassen hat, erinnert sehr an die fatale Rhetorik nicht nur des österreichischen Innenministers. Womit jedoch noch nicht geklärt ist, was nun der Multikulti-Chor auf der Bühne tun soll – wenn er schon mal dort steht. Den Text sprechen Schauspieler, die sich unter die Bühnengäste mischen. Die Gäste geben einzelne Stichworte in ihren Sprachen, Afrikaner trommeln und tanzen ein wenig, auch gesungen wird immer wieder. Wirklich zwingend erscheint nichts davon.

Mehr noch als diese Versuche die Präsenz von 14 verschiedenen Kulturen auf der Bühne künstlerisch zu motivieren, stören aber die oft geradezu plumpen sprachlichen Aktualisierungen. Nicht ganz zufällig ist dem Premierenpublikum an der einen oder anderen Stelle ein unpassendes Lachen herausgerutscht. Dabei ist das, was da zu sehen ist, weder komisch noch lachhaft. Nein (auch hier): keine ironischen Brechungen! Doch das Pathos der Inszenierung stellt sich selbst ein Bein, wenn es meint, nicht ohne didaktische Hilfestellungen auszukommen.

 

Antigone
von Sophokles

Inszenierung: Anna Badora, Bühne:Stefan Brandtmayr, Kostüme: Uta Meenen, Musik:Gerd Bessler.  Mit: Carolin Eichhorst, Sophie Hottinger, Götz Argus, Frederike von Stechow, Otto David, Dominik Maringe, Thomas Frank.

Chor: Ionut Chiriac, Istvan Vincze, Thomas Klimann, Jakob Pertl, Maximiliano Jimenez-Arboleda, Eva Lennquist, Garabet Chopourin, Tatjana Prohaska-Marchried, Idia Ohenhen, Sophia Findner, Dawit Mandler, Hülya Schneekloth, Pedro Groß, Jetschka Dineva, Murad Seyitniyazov, Reda Marie Hasenhüttl, Christina Zamora, Petar Petrov, Yi Chen, Ping Xu, Aida Mashkouri-Najafi, Archil Svimonishvili, Natalya Patova, Sakine Doganay, Dragica Kramberger, Joy Juwe, Nisveta Sabic, Elena Jelezova.

www.theater-graz.com

 

Mehr über zeitgenössische Antigone-Interpretationen lesen Sie hier: nämlich wie David Bösch sie in Essen sah, die israelische Dramatikerin und Regisseurin Yael Ronen in Dresden oder Mareike Mikats Lesart in Heidelberg.


Kritikenrundschau

Colette M. Schmidt sieht in dem vielsprachigen Chor, den Anna Badora bei ihrer Grazer "Antigone" einsetzt, ein "klares Statement aus einer Gesellschaft, in der die Kulturen miteinander leben, während ein Herrscher die Katastrophe für alle herbeiführt." Schmidt freut sich im Standard (14.4.2008) über ein Wiedersehen mit Götz Argus, der in Graz unvergessen ist, weil er 1992 "eine Vorstellung mit blutig gehackter Hand weiterspielte." Respekt! "Zwischen dem Zorn, der Unsicherheit, bis zur späten Einsicht und dem stöhnenden Zusammenbruch" mache Argus nun "Kreon zur Hauptfigur". Für die Titelfigur habe Carolin Eichhorst "in der etwas zu schnellen Inszenierung wenig Zeit, um das widerstandsfähige Wesen Antigones ... ganz zu erzählen."

In der Presse (14.4.2008) schreibt Norbert Mayer, dass Anna Badora und ihrem Team "eine nachdenkliche Aufführung gelungen" sei, "die auch auf Werktreue baut". Auch Mayer macht Götz Argus als den "überragenden Darsteller des Abends" aus: "Allein sein hochkonzentriertes, melodisches Sprechen trägt das schwierige, formal strenge Stück. Dieser Kreon ist kein dumpfer Diktator, sondern ein Getriebener, der aus seiner Hybris nicht herausfindet und schließlich wie ein Hamster im Rad des Schicksals die Bühne umkreist." Carolin Eichhorsts Antigone sei "im Vergleich zu Kreon weniger differenziert dargestellt – Eichhorst spielt ein zum Schmollen neigendes, modernes Mädchen."

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