Der alte Affe Angst - Ersan Mondtag versetzt in Frankfurt Oskar Roehlers Film mit Euripides' "Alkestis"
Verdammte, verfickte Körper
von Alexander Jürgs
Frankfurt, 22. April 2016. Die Couch, hier ist sie ein verspiegelter, niedriger Tisch, pure Oberfläche. Die Therapie hat etwas von einer Teufelsaustreibung, mit einem energischen Schrei geht sie los. Linda Pöppel, die die Marie spielt, geht in die Hocke. Sie brüllt, die lockigen Haare wippen lustig durch die Luft. Ein halbes Jahr lang haben sie nicht miteinander geschlafen, seine Neurosen hat sie ja noch ertragen, die Sache mit dem Hund aber (er will sich partout nicht um das Tier kümmern, schließlich ist er Autor, braucht Freiraum, sonst klappt es nicht mit der Fantasie), die war einfach zu viel. Und überhaupt, dieses Reden über schlechten Sex: Das ist doch Dreckskacke. Dann lacht Marie sich schlapp. Kate Strong, die Ballett tanzte, bevor sie zu Frank Castorf ins Ensemble wechselte und die heute als freie Schauspielerin arbeitet, fällt in die Lachkrämpfe mit ein. Max Mayer, der den Robert gibt, steht bedröppelt daneben. Was für ein urkomischer Mist, so eine komplizierte, verkorkste Beziehung.
Die Freude an der Installation ist spürbar
Ersan Mondtag, Jahrgang 1987, Schulabbrecher (Otto-Falckenberg-Schule) und Shooting Star (mit seiner Kasseler Inszenierung Tyrannis wurde er zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen), nimmt sich am Frankfurter Schauspiel Oskar Roehlers großartigen und harten Film "Der alte Affe Angst" vor. Der Abend firmiert als Uraufführung. Roehlers Film erzählt von einem Paar, das um die Liebe kämpft. Marie ist Kinderärztin, Robert Theaterregisseur, man teilt sich ein schmuckes Apartment in Berlin. Er liebt sie, schafft es aber trotzdem nicht mehr, mit ihr zu schlafen, stattdessen besucht Robert heimlich eine Prostituierte. Sein Vater, zu dem er jahrelang keinen Kontakt hatte, erkrankt an Krebs. Die Lebensgefährtin hält es mit dem kranken Mann nicht mehr aus, will den Sohn in die Pflicht nehmen. Der aber flieht vor der Verantwortung. Mit Starbesetzung hat Oskar Roehler seinen Film gedreht: Vadim Glowna spielte den Vater, André Hennicke gab den Robert, für ihre Darstellung der Marie wurde Marie Bäumer mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.
Mondtag verbindet den Film von Roehler mit Versatzstücken aus dem Euripides-Stück "Alkestis", das von grenzenloser Gattenliebe erzählt. Er lässt einen Chor auftreten in eng anliegenden Ganzkörperturnanzügen und mit Prinz-Eisenherz-Perücken. Er stellt ein sich drehendes, ebenfalls verspiegeltes Rondell aus antiken Säulen in die Bühnenmitte. Und er schafft starke Bilder, mit knallroten Neonröhren, mit über die Bühne schleichenden Figuren, mit einlullend-schöner Streichmusik (von Diana Syrse) und Grillenzirpen vom Band. Die Nähe zur Bildenden Kunst, die Freude an der Installation, ist spürbar.
Es geht hier nicht einfach darum, die Handlung abzuspielen. Die filmische Vorlage nutzt Mondtag als Initialzündung für eine eigene, rätselhaft bleibende Erzählung. Da tanzt dann etwa Kate Strong als kranker Vater über den marmorierten Bühnenboden und brabbelt vor sich hin: Was für ein fantastischer Tempel, was für ein Scheiß-Bühnenbild, was für ein Scheiß-Darsteller, was für ein Scheiß-Körper. Was für ein verdammter, verfickter Körper. Der Abgrund ist dauerhaft nah. "Wir haben Angst, wir haben Angst, wir haben Angst" hat der Chor schon ganz am Anfang gesungen.
Am Ende steht gleißendes Licht
Die Figuren wirken oft teilnahmslos, als wäre ihnen das, was ihnen zustößt, im Grunde egal. Fast beiläufig schildern sie den Schmerz. Oder sie agieren wie Erzähler, beschreiben den Fortgang der Geschichte aus der Distanz. Den Großteil der Film-Handlung rattert Linda Pöppel in einer guten Minute herunter: die Entdeckung des Betrugs, der anschließende Streit, der Verlust des Babys, der Selbstmordversuch. Das überbordende (antike) Drama, das die Säulen, die weißen wallenden Gewänder und der Chor versprechen, verweigert Mondtag seinen Zuschauern.
Am Ende stehen die Darsteller am Meer. Man hört die Wellen, die Möwen. In königsblauen Strichen ist der Strand auf weiße Bahnen gezeichnet, einfach und reduziert. Man macht die Ruinen eines Tempels aus, die da im Sand verstreut liegen. Die Darsteller haben sich abgewendet, betrachten das Bild. Wir sehen nur ihre Rücken, einzig Max Mayer als Robert ist in diesem Moment noch dem Publikum zugewandt. Es ist düster, das Rot der Neonleuchten hat etwas Bedrohliches. Und dann, ganz plötzlich, ist alles hell erleuchtet. Wir sind geblendet, das gleißende Licht schmerzt. Nach nicht einmal eineinhalb Stunden ist das Stück vorbei. Ersan Mondtag hat in den Frankfurter Kammerspielen eine verwirrende, eine verstörende Inszenierung erschaffen.
Der alte Affe Angst
von Oskar Roehler
Fassung von Ersan Mondtag mit Texten aus Euripides' "Alkestis"
Uraufführung
Regie: Ersan Mondtag, Bühne: Stefan Britze, Kostüme: Raphaela Rose, Musik: Diana Syrse, Choreinstudierung: Wolfgang Runkel, Dramaturgie: Michael Billenkamp.
Mit: Linda Pöppel, Max Mayer, Kate Strong. Chor: Doris Deckinger, Beatrix Freidank, Dietlinde Guth, Helga Höfert, Gabriele Marhold-Wormsbächer, Angelika Meixner, Elisabeth Thielicke, Reinhard Ecker, Franz Erb, Jörg Gottschlich, Otfried Hagen, Henner Rosenschon.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau schreibt über die Inszenierung des von ihr als "gut im Geschäft" beschriebenen Ersan Mondtag: "Es geht (…) um vieles, es ist im Einzelnen auch gut zu verstehen, wiewohl die Bilder (…) auch Rätsel aufgeben." Es seien Rätsel, "die nicht direkt zu lösen sein dürften". Alles könne etwas bedeuten oder absichtsvoll nichts bedeuten. "Man könnte natürlich sagen: Das ist volles Risiko." Und trotzdem zeige sich dahinter auch eine Branche, die sich in verlegener Suche nach neuen Möglichkeiten und Angeboten anscheinend im Zweifelsfall auch mit einem erstaunlich harmlosen Oberflächenreiz zufrieden gebe. "Die Forderung nach einer Spur von Verbindlichkeit und Präzision sei nicht die Forderung nach Einfachheit, im Gegenteil erweist sich auch in 'Der alte Affe Angst' gerade das Unverbindliche und Unpräzise als einfach bequem."
Marcus Hladek von der Frankfurter Neuen Presse findet: "Kaum einer versteht sich wie Mondtag auf kurze originelle Kammerspiele mit Sprengkraft." Nach einer Hälfte des Abends triumphiere mehr und mehr die Dialogform, "und das Paar kämpft um seine Liebe". Der erratisch agierende Chor, die hysterische Marie, der halbirre Robert, die aus dem Chor ausgefällten Vater- und Mutter-Stimmen und nicht zuletzt ein großes Stück rohes Fleisch würden aber nie Realismus aufkommen lassen. "Tolles Kunst-Stück!"
Mondtag habe Roehlers Film "frech fort geschrieben", so Shirin Sojitrawalla in der tageszeitung (26.4.2016). Mondtag setze der Erzählung des Films immer wieder Bilder und Atmosphären entgegen, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen gelesen werden können. "Seine Arbeiten kundschaften die Grenzbereiche zwischen Theater und bildender Kunst aus. Das geht diesmal auch mit Penetranz einher, hinterlässt aber immer betörende Vieldeutigkeiten. Unausgegoren scheint der Abend trotzdem, manch starker Einfall verliert zudem in der Wiederholung an Gewicht."
"Mondtags Blick auf Roehlers intensiven Beziehungsfilm aus dem Jahr 2003 ist rätselhaft und verstörend uneindeutig", schreibt Matthias Bischoff im Regionalteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (25.4.2016). Psychologie und antike Tragödie seien die beiden Pole einer Inszenierung, die sich unübersehbar auf die Seite der Antike schlage, "in der die Seelenabgründe der Menschen eben nicht aus sich selbst, sondern nur im Zusammenspiel mit größeren Mächten erklärt werden können und wo es freie Entscheidungen letztlich nicht gibt". Mondtag erzeuge immer wieder "wirkungsvolle und vieldeutige Bilder, die seinen sehr eigenwilligen, absichtsvoll verwirrenden und verdunkelnden Zugriff auf Roehlers Filmvorlage unterstreichen".
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