"I want to buy your soul"

von Alexander Jürgs

Mainz, 1. Mai 2016. Zunächst wird man eingelullt. Auf der Bühne stehen vier Tänzer, Gesichter und Hände jeweils in der gleichen Farbe wie die Kostüme: Gelb, Rosa, Türkis und Grün. Die Gitarre wird ruhig gespielt, das hat etwas von Meditationsmusik, hat etwas Esoterisches. Dann kommt ein Nackter auf die Bühne, mit einer afrikanischen Holzmaske im Gesicht, Schnüre baumeln vor Bauch und Geschlecht. Er tut so, als würde er zum Publikum sprechen, aber die Stimme kommt vom Band. Es ist eine Frauenstimme, die nun von einer Art paradiesischer Ur-Welt erzählt, in der die Menschen alles wie selbstverständlich teilen, das Essen, das Wasser, das Feuer, die Decken. Die vier Darsteller beginnen, sich zu bewegen. Synchron tanzen sie ihre Figuren, dazu läuft Beach-Boys-mäßiger Wohlfühlpop. Frauen wie Männer tragen langes Haar, sie nähern sich einander an, beschnuppern sich. Sie lecken einer dem anderen mit der Zunge durchs Gesicht, wie neugierige Tiere. Es ist eine Art Hippietraum, ein bisschen so wie von Walt Disney ausgedacht.

CULT 1 560 pad mainz u"Capitalism is a concept in which we measure out pai-hain, yeah" (frei nach John Lennon)
© Pad Mainz

Über Leichen

Natürlich geht das nicht gut, natürlich bleibt diese bizarre Harmonie nicht bestehen. Der Nackte tritt wieder auf, mit einem Messer in der Hand, und richtet ein Blutbad an. Wenn er zusticht, dann erklingt ein Geräusch wie aus einem Computerspiel. Nach und nach sinken die Darsteller zu Boden, die Musik ist jetzt elektronisch und düster, die Bühne in rotes Licht getaucht, das Kunstblut fließt. Der Nackte zieht die Körper über den Bühnenboden, schichtet sie zu einem Leichenberg auf. Er schmiert das Kunstblut auf die weißen Planen (abwaschbar!), die den Bühnenraum begrenzen. Er zeichnet ein blutrotes Dollarzeichen, ein Pfundzeichen, den Euro (warum eigentlich keinen Yen? Warum keinen Yuan?). Er betet die Währungszeichen an, er posiert auf den Körpern. Er wirft ein paar Münzen. Die Botschaft ist klar: Der Kapitalismus geht über Leichen.

CULT 2 hoch 280 pad mainz u"Trink, trink, Brüderlein, trink, lass doch die Sorgen zu Haus" © Pad Mainz

Krokodile beten

"Cult" heißt das Stück. Der Berliner Regisseur Georg Bütow, Jahrgang 1982, hat es mit einer Gruppe Schauspieler aus London inszeniert. Auf dem "Internationalen Performance Festival" des Mainzer Performance Art Depots wird es nun uraufgeführt, passender Weise am Abend des Maifeiertags, während in Berlin gerade zeitgleich die Revolutionäre 1.Mai-Demo über die Oranienstraße zieht. Antikapitalismus steht hoch im Kurs. Bütows Stück kommt dabei nicht ohne Proseminar-Deutsch aus, auch Nietzsches Übermensch wird zitiert. Wieder ist es eine Stimme vom Band, die sich an die Zuschauer wendet, die darüber aufklärt, das im Kapitalismus eine Religion zu erblicken ist, dass es sich bei ihm sogar um die extremste Kult-Religion handelt, die es jemals gab. Und der Nackte steht, nachdem er ein zweites Mal mit dem Messer gewütet hat, erneut an einer der weißen Planen. Wieder malt er in Blutrot die Währungszeichen, darunter pinselt er eine Weltkugel mit zwei Krokodilen, die den Mammon anbeten. Insgesamt dreimal wird die Bluttat an diesem Abend durchgespielt. Die Darsteller stehen immer wieder auf, tanzen in immer blutverschmierteren Gewändern. Sie verrenken sich, sie drehen sich, ihre Bewegungen wirken bald abgehackter, verzweifelter.

Seelenkäufer

Gegen Ende des Stücks stellt der Nackte sich noch einmal direkt vor den Zuschauerreihen auf. Die Stimme hat nun etwas Bedrohliches. Er will die Seelen der Zuschauer kaufen, heißt es, er wedelt mit Geldscheinen. "I want to buy your soul, it will not hurt you", verspricht die Stimme. "Five pounds, ten pounds, twenty pounds for your soul", werden geboten. Inhaltlich ist die Kapitalismuskritik in Bütows Stück doch arg flach. Verpackt wird sie in martialische und starke Bilder. Dem parallel stattfindenden Kreuzberger Spektakel ist sie damit im Grunde sehr ähnlich.

 

Cult
von Georg Bütow
Konzept und Regie: Georg Bütow, Choreografie: Martina Conti und Georg Bütow, Sound-Effekte und Live-Musik: Francis Botu, zusätzliche Kompositionen: Zeeshan Azad, Kostüme: Veronica Toppino.
Mit: Martina Conti, Isabella Bruno, Mathias Otto Werner Berndt, Oscar Silva, Georg Bütow.
Dauer: 1 Stunde und 20 Minuten, keine Pause

www.pad-mainz.de

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