Presseschau vom 9.-15. Mai 2016 – Stimmen zur Konferenz "Theater und Netz. Vol. 4" von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung in Berlin

Abseits der Spielwiesen

Abseits der Spielwiesen

9. Mai 2016. Die Konferenz "Theater und Netz" fand am 8. Mai 2016 zum vierten Mal in Berlin statt, gemeinsam kuratiert und veranstaltet von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung.

Für Deutschlandradio Kultur (9.5.2016) berichtet Gerd Brendel von der Konferenz und beschreibt eine Entwicklung: "Digitale Medien und Theater: Das war noch vor einem Jahr am gleichen Ort auf der letzten Tagung vor allem ein spannendes Experimentierfeld, auf dem es überwiegend um neue ästhetische Erfahrungen ging und neue Formen der Zuschauer-Teilhabe: Twittern aus der Premiere, Internet-Streams direkt aus dem Theater." In der vierten Ausgabe klinge das "mittlerweile fast nach rührender Spielwiese, denn die Zeiten, als die digitalen Medien noch utopische Orte waren, an denen alternative Formen von Teilhabe an der realen Gesellschaft ausprobiert wurden, sind vorbei. Längst dienen Facebook, Youtube und Twitter dem rechten Rand der Gesellschaft und seinen wutschnaubenden Protagonisten als Bühne."

"Das Theater scheint als Ort von Öffentlichkeit und Reflexion doch nur ein kleiner Raum, verglichen mit der digitalen Sphäre", berichtet Katrin Bettina Müller für die taz (10.5.2016) von der Konferenz. "Ging es in früheren Tagungen von 'Theater und Netz', wie Esther Slevogt, Initiatorin vonseiten der Nachtkritik schildert, noch um das Internet als Instrument für die Öffentlichkeitsarbeit der Bühnen und für neue ästhetische Möglichkeiten, so hatte sich der Fokus diesmal weit geöffnet. Auch deshalb, weil man sich einer Auseinandersetzung mit den Inszenierungsformen des rechten Extremismus und Populismus nicht mehr entziehen kann." In den Blickpunkt ihres Artikels rückt die taz-Kritikerin die Extremismus-auf-YouTube-Performance von Arne Vogelgesang: "Das Verblüffende ist, dass die Performance so offensichtlich aus geliehenen Posen, geklauter Musik, abgenutzten Sätzen und stereotyper Schnitttechnik zusammengesetzt ist, dass die Bilder eher nach Satire auf Extremismus aussehen denn als ernst gemeinte Appelle."

Am 14. Mai ludt Susanne Burckhardt Esther Slevogt und Arne Vogelgesang zum ausführlichen Konferenz-Nachgespräch in ihre Sendung Rang I im Deutschlandradio Kultur ein – es geht unter anderem darum, was mit Insututionen der Mitte wie dem Theater passiert, wenn das Netz die Diskurse übernimmt und was Theater von den (Bürger)bühnen im Netz lernen können. Das Gespräch ist hier nachhörbar.

Die Kulturfritzen sortieren auf ihrem Blog erste Eindrücke ihres Bloggercafés bei "Theater und Netz" 2016. "Besonders auffällig ist, dass es sowohl den Blogger_innen als auch den Theaterleuten an konkreten Visionen mangelt, wie eine spannende Zusammenarbeit, ein lohnendes Miteinander aussehen kann", schreiben Anne Aschenbrenner & Marc Lippuner. "Alle wollen (irgendwie), so richtig weiß aber keine_r, wie und wo man anfangen könnte." Es mangele nicht an Bewusstsein oder wechselseitigen Erwartungshaltungen, sondern an Utopien.

Not amused ist Ute Vogel auf ihrem Blog Vogelsfutter, wie schon die Überschrift "nicht Fisch, nicht Fleisch" verrät – vor allem, weil die Podien und Vorträge ihrer Ansicht nach entweder das Theater oder das Netz berührten, aber nie beides zugleich. "Wenn man sich wirklich genau auf diese Schnittstelle von Theater und Netz konzentrieren würde, könnte die Konferenz wirklich einzigartig sein und man würde nicht Gefahr laufen, sich von der re:publica, bzw. Performersion oder ähnlichen Formaten überholen zu lassen."

Kommentare  
Presseschau Theater und Netz: zur Abschlussdiskussion
Habe über Böll-Stiftung die Abschlussdiskussion gehört. Dankbar, dass wenigstens 2 Zuhörer die interessanteren Widersprüche bei den Befragten offenlegen wollten.(u.a. Simon Schwarz) Hegemann vollkommen verstrickt: das Paderborner Theater als wichtiger als die Volksbühne für seine private Lebensrettungs-Erfahrung, das Theater als geschlossene Anstalt, die letzte Bastion für Ratlosigkeits-Erhalt und Bewahrer von Unerklärtem: erklärt aber seine Judith-Abhandlung. Und wirtschaftet überzeugend für die kultivierte Volksbühnen-Ratlosigkeit. Und zwar sehr schlecht. Poetisch hat die Westen-Ficken-Sprachwahl keinerlei Logik. Trotz ddes herbeigezerrten Beispiels. Sie hat einzig nur PR-Logik. Die Drittstimme, auf die er sich als Erfahrungswert beruft, macht ja auch inzwischen als Agentur PR... Alles ziemlich (selbst)verlogen.Trotz aller gegenseitigen Beteuerungen ogottwirstellenunsvorallemimmerselbstsoinfrage!!! In dem Zusammenhang interessant, dass Carl über das Theater, das ihm das Leben rettete, ausgerechnet sagt, es sei "Gold wert". Schien mir ein wahres Wort zu sein in seinem Reden, das vor allem May nicht wehtun wollte, obwohl es ihn nicht einmal künstlerisch akzeptierte... Seine Aussagen zum Kapitalismus-Tribunal hingegen waren klar nachvollziehbar. Der Kapitalismus ist vor allem - wie wir seit Marx wissen - ein Ökonomisches Gesetz. Weshalb man ihn nicht anklagen braucht. Man braucht nur anklagen, wie Staaten unter diesem Gesetz mit dem Sozialen und mit nationalen Souveränitäten umgehen... Interessant auch, wie Kira Kirsch in Wien erfolgreich an etwas arbeitet, was in Berlin so selbstverständlich ist, dass sie hier dafür belächelt zu werden glaubt: "Sichtbarkeiten zu zeigen". Ein guter Ansatz: Etwas zeigen, was ohnehin sichtbar ist als Kunst... In der gewählten Einführungsfrage von Rakow, das vollmundig als Zitat eingeführte "Spiel der Übertretung", fällt nicht auf, auch Rakow nicht, dass der Autor dieser netten Spieletheorie das Verschwinden der Mitte durch Langweiligkeit einerseits als Kunst-Motiv beschreibt und andererseits deren vermeintliche Notwendigkeit damit begründet, die "Virilität" der sozialen Mitte mit Hilfe des Übertretungs-Spiels gesellschaftlich notwendig zu erhalten. Ja, was denn nun? Ist die Mitte nun sozial sensationslos und ihre Sensationslosigkeit alleiniger Garant für Staats-Erhalt? Oder ist sie durchaus viril, so dass sie nur durch gespielten Aufstand als Garant des Staatsschlafes erhalten werden kann????
Presseschau Theater und Netz: Publikum als Podium
Mir fällt noch etwas ein: weiß einer, ob jemand den Carl Hegemann noch gefragt hatte, nach der Abschlussdiskussion, ob er den dem Herrn Diaz, den er gesucht hatte in Wien am Burgtheater, um ihm seine Redezeit zu schenken, es hinterher geschrieben hat? Wenigstens. Dass er sich geschämt hatte nach dessen Auftritt und seine Rede, nachdem er ihm seine Zeit dafür nicht habe schenken gekonnt, nicht halten konnte? Der Herr Diaz war ja schnell nach diesem Auftritt adressierbar. Das hätte ihn vielleicht gefreut und bestärkt, wenn der Carl Hegemann ihn hätte spontan wissen lassen, was er uns communitystisch zwei Jahre später nun alle wissen ließ. Weil einer gefragt hat. - Danke auch diesem Frager. Man wird den Eindruck nicht los, dass das Publikum - auch andernorts, es gibt Inszenierungen, die damit umzugehen wissen, das neue und bessere Podium ist.
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