Werther lieben - die Uraufführung von Thomas Arzts Stück am Theater Phönix Linz leidet an Johannes Mailes hyperrealistischem Barbecue-Setting
Die Liebe zerbröselt
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 13. Mai 2016. Das Brett mit Trauben, Käse, Wurst. Die Gläser fürs Bier. Und endlich, der Laib Brot. Charlotte, hier Coco genannt, arrangiert die Dinge auf dem Gartentisch. Abend ist's, das Gewitter vorbei, der Mann schon zuhaus. Nein, nichts fehlt mehr zur sogenannten Mittelstandsidylle, alles da, alles gut. Mit ihrem Max und mit der Aufrechterhaltung dieser Mittelstandsidylle hat sie bis dahin aber auch längst genug mitgemacht. Nach insgesamt 15 Kostümwechseln steht Katharina von Harsdorf am Ende zitternd in eine wärmende graue Weste gehüllt und macht traurige Miene zum traurigen Spiel. Denn wo Brot geschnitten wird, da fallen Brösel. Sei es Goethes Werther, der beim Anblick der Brot schneidenden Charlotte, dort Lotte genannt, in eine Liebe zerbröselt. Oder sei es gleich die ganze Liebe, die beim Anblick der Sturm-und-Dranglosigkeit der Idylle auseinanderfällt.
Aus Zeit und Vernunft gefallen
Mit dem Laib Brot beginnt in der Romanvorlage die leidvolle Liebesgeschichte. Mit Brot und einer erschöpften, Brot schneidenden Coco endet im Theater Phönix in Linz die Uraufführung von "Werther lieben". Der Text von Thomas Arzt gruppiert eine Abfolge von leidvollen Liebesszenen irgendwo ins heutige Oberösterreich. Zeitsprünge gibt es, und Wiederholungen. Im Mittelpunkt des Geschehens eine Charlotte, die nicht nur unter der Jovialität des Dialektalen zu leiden scheint, sondern sich überhaupt nach irgendetwas Echterem, Wilderem gesehnt hätte. "Es ist kitschig. Es ist viel zu kitschig. Ich wollt es doch gar nicht so kitschig", wiederholt sie bei jeder Wiederholung der Hochzeitsszene. Diese torpediert Werther, hier Ulrich genannt, auf immer neue Weise. Felix Rank stolpert in immer neuen Kostümen hinein ins Geschehen und bleibt immer gleich aus der Zeit und aus der Vernunft gefallen.
Sie lieben und wissen nicht mal, wo die Flasche Wein steht: Felix Rank, Katharina von Harsdorf, Markus Hamele © Christian Herzenberger
Seine ausschweifenden Reden über die Liebe als Verschwendung unterstreicht Rank mit großen Gesten. Als neuzugezogener Philosophiestudent verausgabt er sich beim Joggen und streicht hingebungsvoll durch den Vorgarten seiner verfallenden Mühle. Als ein solcher neu zugezogener Philosophiestudent wird er zum interessanten Exotikum für Charlotte und ihr Verlobter Max deswegen immer uninteressanter. Dann kommt's, wie es kommen muss und am Ende fügen sich alle in ihr unausweichliches Unglück: in die monogame Beziehung. Bei der es ja immer sogenannte Ausrutscher geben soll, die aber als solche unter allen Umständen aufrecht erhalten bleiben müssen. Denn auch Max, das ist Markus Hamele, als grober Verlobter, träumt von Sex mit einer anderen, einer Prostituierten in Zürich. Trotzdem setzt er sich am Ende zu Coco an den Gartentisch, sie schweigen sich an, das Licht geht aus.
Joggen, weinen, schreien
Die Inszenierung von Johannes Maile bebildert die Handlung bis hin zur Sexszene auf Video. Was nicht aufs Video ausgelagert ist, findet Platz auf der Bühne von Georg Lindorfer. Rechts das ordentliche Einfamilienhaus für Charlotte und Max, links das romantisch verkommene Gemäuer von Ulrich. Gejoggt wird viel, geweint und geschrien auch. Die beiden Comic Relief Figuren Betty und Götz, befreundet mit Coco und Max, umschwirren das Paar voller Sorge um deren Zukunft. Machen Photos, bringen Baupläne, reisen mit Koffer nach London oder sitzen lässig Bier trinkend bei der Grillparty herum.
Dass inmitten dieses Hyperrealismus dann doch auch inszenatorische Fehler passieren, ist ärgerlich. So kündigt der Text das Gewitter erst an, auf der Bühne ist aber schon der Regen zu hören. So spricht auch der Text von der Flasche Wein "drüben", während sie doch direkt davor am Gartentisch steht. Filmischer als Hollywood hat die Inszenierung das Interesse ganz auf die Ausstattung und gar nicht auf die Nachvollziehbarkeit der Sprechakte gerichtet. Dabei versucht sich das Stück auch an interessanten Überlegungen. "Es ist mehr die Frage nach dem, was ist, wenn uns die Sprache fehlt, für das, was ist", erklärt Ulrich die Philosophie. Diesem Abend fehlt die Sprache nie, da gibt's doch für alles ein Requisit.
Werther lieben
von Thomas Arzt
Regie: Johannes Maile, Bühne: Georg Lindorfer, Kostüme: Elke Gattinger, Lichtgestaltung: Nico de Rooij, Musik: Armin Lehner, Video: Erik Etschel, Dramaturgie: Sigrid Blauensteiner.
Mit: David Fuchs, Markus Hamele, Katharina von Harsdorf, Felix Rank, Isabella Szendzielorz
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.theater-phoenix.at
"Autor Arzt hat zwei Textebenen geschaffen, einerseits die Dialoge, andererseits 'Gedanken', die aus dem Off kommen und in besonderer Weise die Sehnsüchte und Liebeshoffnungen ausdrücken", schreibt Werner Rohrhofer im Neuen Volksblatt (15.5.2016). "Gelungen auch die Inszenierung von Johannes Maile, der geschickt reales Geschehen auf der Bühne mit Videoeinspielungen verbindet und damit mehrere 'Orte' der Handlung schafft. Die Musik von Armin Lehner und die Kostüme von Elke Gattinger runden den positiven Gesamteindruck ab."
"Keine postmoderne Neudeutung der berühmten Dreiecksgeschichte, keine zwanghafte Aufmaschelung des Klassikers für das Heute. Sondern ein absolut eigenständiges Theatererlebnis, das die Seelenverwandtschaft zu Goethe nur subtil zelebriert" hat Lukas Luger gesehen und schreibt in den Oberösterreichischen Nachrichten (14.5.2016): "Mit sicherer Hand leitet Regisseur Johannes Maile die Figuren durch das Geschehen." Der ganze Abend zeige, dass die Themen, die Goethe verhandelte, bis heute eindringlich seien.
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