Das Leben ist ein Schlachthaus

von Hartmut Krug

Berlin, 12. Mai 2016. Der Roman ist berühmt, aber heute wohl nicht wirklich viel gelesen. Die Geschichte von Franz Biberkopf, der nach vier Jahren aus dem Gefängnis kommt, wo er gesessen hat, weil er aus Eifersucht seine Freundin erschlug, und nun bei seinem Versuch scheitert, im Großstadtmoloch Berlin ein ordentliches Leben zu führen, die kennt man vor allem durch Fassbinders Film. In Berlin hat sich das Theater seit 1999 immerhin gleich drei Mal an Döblins Roman versucht. Ben Becker spielte den Biberkopf 1999 am Maxim Gorki Theater, in einer Fassung von Oliver Reese und einer Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg. Frank Castorf hat seine Zürcher Inszenierung des Romans 2005 im Skelett des Palasts der Republik gezeigt, während Volker Lösch ihn 2009 an der Schaubühne mit Knackis als Sozialreportage zu aktualisieren versuchte.

Passionsgeschichte und Totentanz

Sebastian Hartmann zeigt "Berlin Alexanderplatz" am Deutschen Theater nun als eine existentielle Geschichte, als eine Art Passionsgeschichte, die naturgemäß zum Tode des Menschen führt. Wir sehen einen Totentanz, der von viel biblischer und religiöser Ikonographie bestimmt ist. Dabei erzählt Hartmanns Bühnenfassung Döblins Roman nicht linear, sondern nur punktuell nach, und er öffnet ihn zu Assoziationen und allegorischen Aspekten.

Alexanderplatz2 560 ArnoDeclair hGroßbildbauer Sebastian Hartmann: vom leeren Raum zur Videoatmosphärenbühne © Arno Declair

Anfangs vermitteln ein Erzähler (Moritz Grove) und ein Chor die Rahmenbedingungen von Biberkopfs Lebenslauf, dann wird das Geschehen immer wieder in grellweißes Licht gesetzt: Batterien von Leuchtröhren umrahmen den leeren Bühnenraum, auf dem Bühnenarbeiter drei große, segelartige Kulissenteile hin und her schieben. Auch die sind nicht nur voller Leuchtröhren, sondern funktionieren gleichzeitig als Spielorte.

Der Sex ist den Menschen ein Trost

Biberkopf zieht eine Kiste hinter sich her, aus der Minna steigt, die Schwester der von Franz aus Eifersucht erschlagenen Ida. Sie gerät mit dem zudringlichen Franz in ein anfangs abwehrend lustloses sexuelles Gerangel, bis sie recht aktiv und fordernd wird und sich eine hochkomödiantische Sex-Szene entwickelt (wunderbar: Andreas Döhler und Katrin Wichmann). Später wird auch Felix Goeser mit kräftiger Körpersprache einen ganz anderen Franz spielen und mit dem ersten Franz wenig verblüfft zusammentreffen. Wenn Minna schließlich wieder in ihre Kiste steigt, bekommt Franz aus der Requisite einen Blumenstrauß und eine Schnapsflasche gereicht, die er an Minna weitergibt. Das wiederholt sich mehrmals als variierter Running Gag.

Der Sex ist in dieser Inszenierung immer wieder ein Trost und ein Lebenszeichen für die Menschen. Selbst wenn am Ende ein Mann, der nackt und wie am Kreuz an einem erleuchteten Kulissenteil hängt, von einem engelsgleichen, strahlend weißen Wesen herabgeholt wird, kommt es zur ausführlichen, aber zarten erotischen Begegnung. Zu zweien geht alles besser, hat Döblin geschrieben. Und der Alkohol hilft den Menschen durchaus ...

Hartmanns ehrgeizig in verschiedene Deutungsstränge ausgreifende Inszenierung erhält ihre szenische Kraft auch dadurch, dass sie sich weder vor Komik noch vor tieferer Bedeutung scheut. Ja, sie sogar zueinander fügt. Wenn ein Jude kommt und Franz mit der Erzählung vom Betrüger Stefan Zannowich, der am Galgen endet, warnend belehren will, dann wird dies durch die unterschiedliche Größe der beiden zugleich zu einer Slapsticknummer. Wie die Zeitrevue, mit der Michael Gerber komische Couplets ganz ohne Gesang vorträgt. Dagegen setzt Markwart Müller-Elmau die Erinnerungen und Überlegungen eines Kommunisten.

Wie leben wir, wie leiden wir?

Wie lebt und leidet der Mensch?, fragt die Inszenierung mit Döblin. Sie erzählt die Geschichte von Hiob und die von Abraham und Isaak, und sie zeigt, immer wieder durch die Projektion von wunderbaren animierten Zeichnungen Tilo Baumgärtels, das Schlachthaus mit seinen Schweinehälften als tödliches Vernichtungssystem und Kommentar – so lebt und leidet der Mensch. Was Franz in Berlin erlebt und wo er ist, zeigen uns Baumgärtels Zeichungen ebenfalls: Hinterhöfe, Nutten, Baumalleen und mit drehenden Rädern das die Menschen verschlingende System der Stadt. Eine weitere Reflexionsebene ist das Deutsche Theater, das durch Videobilder eines Raumes mit Kristallleuchter und dem Schriftzug des Hauses selbst auf die Bühne geholt wird.

Die Fülle der Bedeutungsebenen und das tolle Ensemble lassen immer wieder vergessen, dass Hartmann oftmals zu viel erzählen will. Und dass er manchmal nicht den richtigen Rhythmus findet und die Inszenierung in Spannungslöcher fallen lässt.

Nach der zweiten Pause wird es zuweilen zäh, auch, weil die sonst so schätzenswerte Almut Zilcher als Tod in der Auseinandersetzung mit Franz in Lautstärke und Bedeutungseifer heftig übertreibt. Aber insgesamt ist dies eine ambitionierte Inszenierung, die immer wieder überzeugende szenische Formen für ihre philosophischen Behauptungen über das Leben der Menschen findet.

 

Berlin Alexanderplatz
nach dem Roman von Alfred Döblin, Fassung von Sebastian Hartmann, Meike Schmitz und dem Ensemble
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Lichtdesign und Videogestaltung: Voxi Bärenklau, Videoanimation: Tilo Baumgärtel, Musik: Sebastian Hartmann, Dramaturgie: Sonja Anders, Meike Schmitz, Künstlerische Leitung Chor: Christine Groß.
Mit: Andreas Döhler, Edgar Eckert, Christoph Franken, Michael Gerber, Felix Goeser, Moritz Grove, Gabriele Heinz, Benjamin Lillie, Wiebke Mollenhauer, Markwart Müller-Elmau, Katrin Wichmann, Almut Zilcher.
Dauer: 4 Stunden 30 Minuten, zwei Pausen

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

Einen "sehr assoziationsfreudigen und interpretationsoffenen Abend" hat Christine Wahl gesehen und schreibt im Tagesspiegel (14.5.2016): Sebastian Hartmann "umschifft (…) nicht nur die naturalistische Milieukitschgefahr, sondern findet überhaupt eine sehr eigene Form der Roman-Dramatisierung." "Vergleichsweise viele Szenen" versuchten, "neben der per se immer wirkungssichereren Komik ein gewisses Pathos zuzulassen statt sich mit einer Brechung komfortabel herauszukatapultieren", so Wahl: "Das geht zwar nicht immer gut, ist aber – zumal es verständlicherweise von den meisten Regisseuren vorsichtshalber vermieden wird – die wesentlich schwierigere Übung und so gesehen, auch vom Gesamtresultat her betrachtet, durchaus bemerkenswert."

Sebastian Hartmann reduziere die "Moralapostel und Denknachhelfer" aus Alfred Döblins Roman "noch ein bisschen unmissverständlicher auf ihren Kern", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (14.5.2016). "Was sieht Franz? Was sehen wir? Was wollen wir sehen von den Grausamkeiten der Welt?" Diese Fragen spiele Hartmann an diesem "kurzen langen, unangenehm aufgeräumten Bühnenabend" immer wieder durch. "Statt Döblinscher Polyphonie und Montage (…) ein reduziertes Erzähl-Theater, das auch vor Klischees und Kitsch nicht haltmacht. Trotzdem verlässt man das Theater angestochen."

André Mumot hat das Theater "wie ein geprügelter und doch sehr glücklicher Hund, mit übervollem Kopf und wild in die Welt hinausschießenden Gedanken" verlassen und gibt im Deutschlandradio Kultur Fazit (13.5.2016) zu Protokoll: Gegen Hartmanns "Berlin Alexanderplatz" sähen all die anderen Adaptionsversuche der letzten Zeit klein, ziemlich verschwitzt und banal aus. "Hier, vor hellweißer Wand und einigen Neonlicht-Konstrukten erinnert das Theater daran, dass es aufregend sein könnte, wenn es nur wollte, schwierig und zugleich erhellend, betörend und krass, fleischlich und metaphysisch, gedankenschwer und so voller Leben, dass man selbst ins Schwitzen kommt, dass man einzelne Momente im eigenen Magen spürt und in den eigenen Knochen." Nicht alles fessele das Interesse gleichermaßen in diesem "waidwunden, bisweilen unzusammenhängend wirkenden Exerzitium". Manches rutsche ab, verliere sich für Momente, so Mumot: "Zugleich aber bleibt ein Abend, der Theater immer als große Kunstform begreift und nutzt, als Medium, in dem sich die letzten Dinge mit Feuer, mit Leidenschaft und Gedankenkühle gleichermaßen verhandeln lassen."

Das Experimentelle, das Populäre: die Werbung, die Schlager, die Montagen, mit denen Döblin seine Beschreibung des Zwanzigerjahre-Berlins auf ein Niveau gehoben hat – "das wurde entweder reprofanisiert oder schlicht rausgehalten", so René Hamann in der taz (17.5.2016). "Das Politische, das in genau diesem Döblin'schen Verfahren lag, hat Hartmann bewusst nicht sehen oder zulassen wollen. Oder für seine prätentiösen Zwecke missbraucht."

Ziemlich angetan ist Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (18.5.2016): "Das Wagnis und die große Qualität dieser Roman-Erkundung bestehen unter anderem darin, dass Hartmann, statt brav den Plot nachzubuchstabieren und ein literarisches Werk mit seiner Handlung zu verwechseln, Döblins Verfahren von Collage und Assoziation sehr kraftvoll in die Mittel des Theaters übersetzt und sich am Kern des Romans, Biberkopfs Passion, abarbeitet." Weil Hartmanns Regiekünsten das Kraftmeiertum und die Freude am Plakativen nicht fremd seien, gebe es auch die großen Ausrufezeichen. Laudenbachs Fazit: "viereinhalb Stunden Theater mit Wumms".

Joachim Lange schreibt in der Leipziger Volkszeitung (18.5.2016) und wir führen diese Kritik hier mit auf, weil die LVZ Sebastian Hartmann in seiner Leipziger Zeit nicht durchweg wohl gesonnen war: Dem Regisseur, der in seiner "postleipziger Zeit" offensichtlich" an "Souveränität deutlich zugelegt" habe, sei "tatsächlich mal so was wie ein Bühnenroman" gelungen. Er respektiere den "verständlich gesprochenen Text" auf "geradezu ehrfürchtige Weise". Vor allem aber adaptiere er das Vorgehen Döblins und transformiere es in sein Medium. Hartmann setze auf die "Suggestivkraft der Collage" und spiele seine Fähigkeit "gekonnt aus", aus "noch jeder handfesten Geschichte ins Surrale abzuheben". Dabei alles "fein dosiert" oder "witzig".

 

 

Kommentare  
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Leserkritik
Hier liegt das Grundproblem des Abends: Er ist exzellent gedacht, das Grundmotiv der – am Ende vom Tod Almut Zilchers mit Vehemenz vorgebrachten – Akzeptanz des Todes als Grundvoraussetzung des Lebens, das nur gelebt werden kann, wenn man seine Sinnfreiheit begreift, manifestiert sich in starken Bildern und atmosphärisch dichten Momenten. Das Zusammenspiel von Spiel und Reflexion, das Ineinandergreifen der Zeitebenen, die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart erzeugen eindringliche Miniaturen großer philosophischer Kraft. Nur finden sie nie zusammen. Der Abend braucht lange, um seinen Rhythmus zu finden und bricht auch in Folge immer wieder auseinander. Wo es Döblin gelingt, unterschiedlichste Tonfälle und Perspektiven zu einem großen literarischen Mosaik zu vereinen, herrscht bei Sebastian Hartmann vor allem Stückwerk. Viel zu oft und zu lange kann sich der Zuschauer zurücklehnen und das boulevardeske Treiben gutgelaunt verfolgen, zu dominant ist das Dröhnen von Döhlers Biberkopf, als dass sich eine echte Polyphonie, wie sie Hartmann zweifellos anstrebt, ergeben könnte. So liegt hier der Zauber – und davon gibt es einigen – im Detail, in einigen intensiven, Epik und Dramatik verschränkenden Bildern und Szenenfragmenten, die dem Raum weit öffnen, in dem sich Tod und Leben treffen. Ein Raum, der hier Berlin heißt. Ihn zu durchschreiten, gelingt dem Abend nicht.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/05/13/stadt-der-toten/
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Hinweis
Wo kann man denn hier Dinge posten, die viele Leute interessieren könnte und die unter Presseschau nicht abgebildet wurden?

Auf Deutschlandradio Kultur liefen eben sehr interessante Beiträge im "Länderreport". Kann man auch nachhören:

http://www.deutschlandradiokultur.de/arbeitsalltag-an-berliner-buehnen-theatermacher-ueber.1001.de.html?dram:article_id=354052

http://www.deutschlandradiokultur.de/berliner-theater-neue-gesichter-neue-stoffe.1001.de.html?dram:article_id=354051

(Sehr geehrter Stefan, auf diese Beiträge haben wir im Febuar 2016 hingeweisen: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12129:presseschau-vom-11-februar-2016-deutschlandradio-kultur-ueber-den-arbeitsalltag-von-berliner-theatermacher-innen-mit-migrationshintergrund&catid=242:presseschau&Itemid=62
Mit besten Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
Berlin Alexanderplatz, Berlin: in einer Kunstdiktatur würde er ausgepeitscht
Also ich bin durch Onster Truck im Dt gelandet und habe dort dann Woyzeck von Sebastian Hartmann sehen dürfen. Ich fands einfach grauenhaft in seiner verkrmapften kUnstanstrengung. ich finde so jemand müßte in einer Kunstdiktatur öffentlich ausgepeitscht werden, der so etwas macht. Aber wir leben ja zum Glück im Land der Theaterfürsten und der Claceure ( wie schreibt man das?). Aber dieser spürbare Wunsch sich an den großen Epen abzuarbeiten ist schon wieder so bescheiden wie subtil. die Volksbühne wird geschlossen am DT wird masturbiert und Nachtkritik steht Spalier.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Risiken werden belohnt
Tja.. mir hat's gefallen, ich fand es streckenweise sogar großartig. Für mich ist das nach dem Woyzek der zweite große Wurf von Hartmann am DT, wobei mir (als offensichtlich einem der wenigen im Bekanntenkreis) sogar der 'Löwe im Winter' schon gut gefallen hatte.
Die Schauspieler samt und sonders große Klasse (wobei ich gerne Gabriele Heinz hervorheben würde, weil sie mich angerührt hat. Ja, und Moritz Grove, weil es ein Vergnügen ist, ihm zuzuhören, ein toller Erzähler), die Regie geht Risiken ein und wird mit Erfolg belohnt, die Bühne, nebst Videoprojektion bestechend. Wunderbares Überwältigungstheater.
Einzig der dritte Akt (?) hat's mir etwas schwer gemacht, der Dialog mit dem Tod war mir zu lang geraten. Aber immerhin habe ich mir gleich heut morgen das Buch gegriffen, ein besonderer Text, dem der Abend meines Erachtens voll und ganz gerecht wird.
Und @Florian: glücklicherweise leben wir ja weder in einer Kunst-, noch sonst wie gearteter Diktatur. Insofern darf auch jeder seine Meinung hier und anderswo zu Protokoll geben. Aber ist es eine zu große Anstrengung, den eigenen Text wenigstens nochmal grob zu überfliegen, bevor man 'Senden' drückt? Dann verstehen vielleicht auch andere, was man sagen will. Und 'Claqueur' schreibt man so.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: teils groß, aber hob nicht ab
sehe das ähnlich wie "dabeigewesen".
der Abend hatte viele große, überwältigende Momente, nach einem sehr konzentrierten, dichten und auch sehr komischen ersten teil, begann der zweite teil sehr vielversprechend, mit einer grotesken, absurden auch wilden Szene, der rouladenesser und dann diese spejbel und hurvinek Nummer, grandios. auch Thilo baumgärtels videos passten gut ins Gesamtkunstwerk.
ich fand es leider dann nicht immer radikal genug, es "hob nicht ab", das Raumschiff Hartmann doch doch eher geerdeter, als man es gewohnt ist. im 3. teil dann zu viele Hänger, wo ich dachte, jetzt, jetzt muss es gebrochen werden, muss gegengezeichnet werden… aber dann kam meist nichts. aber großartige Spieler, und dennoch ein sehr guter Abend, der auch nachhallt, wo ich aber am ende das Gefühl hatte, da hätte mehr draus werden können.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Verknüpfungen
einspruch. der 3. teil ist (eben bis auf jene elend lange szene doehler-zilcher) ähnlich beeindruckend, wie der epilog bei fassbinder. assoziationen/verknüpfungen des zuvor bereitgelegten. grandios.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: von allem zuviel
Nach knapp viereinhalb Stunden verlässt das Publikum wie erschlagen kurz vor Mitternacht das Deutsche Theater.

Regisseur Sebastian Hartmann bietet von allem zu viel. Zu selten gelingen beeindruckende Momente, wie die Szene unmittelbar vor der zweiten Pause, als Videoaufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln des Deutschen Theaters (vom Kronleuchter bis zum Foyer) auf die Bühne projiziert werden. Aber dann folgt noch eine weitere Stunde, in der Almut Zilcher in länglichen Passagen als Tod auftritt.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/05/13/leidensweg-premierenkritik-berlin-alexanderplatz-am-deutschen-theater/
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Link zur Musik
Ich stimme der Kritik von Hartmut Krug größtenteils zu, habe den Abend ähnlich erlebt.
Leider kein neues "Krieg und Frieden", dazu fiel der dritte Teil zu sehr ab, wurden die Möglichkeiten der Bühne nicht ausgeschöpft, war das Ensemble nicht homogen genug. Dennoch bleibt Hartmann einer der spannendsten Regisseure Deutschlands und mein persönlicher Lieblingsregisseur.
Hier der Link zur großartigen Musik aus Teil 1 und 2:
https://www.youtube.com/watch?v=oEECEkyzHHM
Berlin Alexanderplatz, Berlin: beeindruckend
Also in fand den Abend großartig. Nicht nur das Ensemble war im Spiel eine Wucht, auch die vielen kleinen Einzelszenen mit dem Lokal-Kolorit ergaben ein tolles Gesamtbild. Die Regieeinfälle, vorallem die s/w-Video-Animationen fand ich beeindruckend. Und am besten war die Club-Musik, passend zum Video, zur Metropole / zur Großstadt. Kurzum: Ich kann diesmal Sebastian Hartmann nur loben und bin beeindruckt von seiner Inszenierung. Hoffentlich sehen wir mehr von ihm und überhaupt mehr davon im DT - mehr Großes, mehr Grenzgängertum und mehr Esprit gepaart mit Philosphischen Gedanken, Transzendentem, dass wünsche ich mir künftig.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: weitere Kritik
Ich sehe es genauso wie http://www.morgenpost.de/kultur/article207564139/Berlin-Alexanderplatz-wird-unterkuehltes-Grossstadt-Drama.html

Ich bin traurig, dass Hartmann inzwischen so müde ist, sich selber nachzuspielen ("Krieg und Frieden"). Schade. Ende. Alt.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Hartmann nach Oberammergau?
Eins vorweg: Wir besuchen seit einiger Zeit pro Jahr ca. 50 Theateraufführungen im deutschsprachigen Raum (Wien, Hamburg, Frankfurt, München, Berlin); u.a. Inszenierungen von S. Hartmann in Frankfurt ("Dämonen", "Revisor"), die wir als schlüssig und originell empfanden. Wir können uns aber nicht erinnern, jemals so fassungslos ein Theater verlassen zu haben wie das Deutsche Theater nach der "Alexanderplatz"-Premiere. Um einen Einwand gleich vorwegzunehmen: Die Kritik gilt nicht den Leistungen der Schauspieler, obwohl nicht ganz zu verstehen ist, warum sie dabei mitgemacht haben.
Die Kritik gilt ausschließlich der Inszenierung. Ihr fehlt jedes Timing. Jede Szene steht isoliert im Raum (natürlich Montagetechnik!) und wird gnadenlos ausgewalzt. "Ich leide. Mach ein Ende!" (Zitat aus dem dritten Teil) trifft es unfreiwillig genau. Die verschiedenen Motive (z.B. "Schlachthof", "Hiob") versteht man nach kurzer Zeit und könnten trotz ihrer Plattheit auch toleriert werden, wenn sie nicht ohne Sinn und Zweck - es sein denn, die Ermüdung der Zuschauer ist Absicht - wiederholt würden. Es fällt schwer hier nicht an den alten Theaterwitz zu denken: "Als ich um Zehn auf die Uhr schaute, war es halb neun."
Durch diese penetrante Zurschaustellung einzelner Motive verschieben sich die zentralen Themen des Romans in absurder Weise. Um einen Eindruck von dem Großstadt(!)-Roman zu bekommen, sollte man sich, wenn man ihn schon nicht gelesen hat, den Film "Berlin-Symphonie einer Großstadt" (1927) ansehen. Das ist die Basis und der Kern des Romans.
Die religiöse Komponente gibt es natürlich auch - aber doch nicht in diesem Umfang. Vielleicht war es ja die Intention Hartmanns, sich für die Intendanz der Passionsspiele in Oberammergau zu bewerben. Eine solche Peinlichkeit wie den nackten 'Jesus' am Kreuz (als Triptychon (!) in Szene gesetzt) würde man ihm aber dort nicht durchgehen lassen. Nicht weniger peinlich ist der offensichtlich humorig gemeinte Beginn der Aufführung. (Man lese dazu im Vergleich die grandiose Schilderung der Entlassung Biberkopfs im Originaltext, um zu erkennen, welche Welten zwischen diesem und der albernen Inszenierung Hartmanns liegen.)
Was soll an einer gefühlt viertelstündigen Rammelei lustig sein? Ein Teil des Publikums hat sich trotzdem köstlich amüsiert. Wahrscheinlich handelt es sich um einen besonderen Berliner Humor. Ähnliches hat sich nämlich auch im "Hamlet" am BE (2014) gezeigt, bei dem der Schauspieler Chr. Nell als Hamlet immer wieder in Tom-und-Jerry-Manier mit dem Kopf gegen Wände rennt und dabei immer wieder Gelächter hervorruft.
Dass es in Berlin auch anders geht, hat uns die Schaubühne mit zwei beeindruckenden, durchdachten Inszenierungen gezeigt: "Wallenstein" und "Der Volksfeind".
Berlin Alexanderplatz, Berlin: ausgerechnet Leipziger Kritik
Ich möchte auf eine Kritik in der Leipzig Volkszeitung (18.05.2016) hinweisen. Bemerkenswert ist dabei auch, dass es eine Leipziger Zeitung ist. Vielleicht kann diese mit in die Kritikerrundschau aufgenommen werden.

(Lieber Torsten,
wir kommen an die Kritik nicht heran, können Sie uns ein Scan schicken?
Gruß
jnm)
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Leipzig ex post
Nun ja, die Leipziger Volkszeitung. Immerhin macht sie sich die Mühe, über eine Inszenierung aus Berlin zu berichten. Vielleicht ahnt der Rezensent, was für einen Regisseur man aus Leipzig weggeschickt hat. Der Verweis auf den verständlich gesprochenen Text ist aber doch eher lächerlich. Und wenn da jemand von einer "gewonnenen Souveränität in der postleipziger Zeit" schreibt, kann man sich nur fragen, ob derjenige die großartigen Romanadaptionen von "Zauberberg" und "Krieg und Frieden" in der Leipziger Zeit nicht gesehen hat. Eine lesenswerte Kritik von Hans-Dieter Schütt veröffentlichte heute übrigens das "neue deutschland".
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Link
"Das Theater ruiniert sich selbst", ein interessanter Kommentar auf Deutschlandradio Kultur:


http://www.deutschlandradiokultur.de/romane-statt-dramen-das-theater-ruiniert-sich-selbst.1005.de.html?dram:article_id=356242
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Besuch zu empfehlen
stefan - so richtig kann ich nicht nachvollziehen was an diesem kommentar interessant sein soll - reaktionär, eitel, gar anachronistisch trifft es eher - man möchte dem Verfasser einen Besuch im Alexanderplatz empfehlen, dass er sich selbst korrigieren möge. Dem Theater an sich, und mit genügend Seitenhieben an seine Macher, vorzuwerfen es würde sich selbst ruinieren, wenn es im epischen nach Erzählweise und Relevanz sucht ist nicht nur im Brechtschen Sinne weltfremd - es ist "genuin" (um das Kern/Lieblings-wort des Verfassers zu zitieren) an unserer Gegenwart vorbei - steckt doch in dieser genuinen Geschichte ein Großteil unseres Verderbens. Nichts für ungut, nein nicht interessant!
Berlin Alexanderplatz, Gastspiel Ruhrfestspiele: Link
https://www.wa.de/kultur/sebastian-hartmanns-berlin-alexanderplatz-ruhrfestspielen-8351455.html

"Entgegen zahlreichen Deutungen, die Biberkopf als Opfer seiner Zeit sehen, zeigt Sebastian Hartmann die Romanfigur als Versager, der nicht hinsieht, wenn Verbrechen passieren. Anständig ist er nicht. Und was wollen wir sehen, ist die Frage, die die Inszenierung stellt."
Berlin Alexanderplatz, Berlin: Ensemble
Habe den Roman noch nicht gelesen und kann darum nicht beurteilen, ob die Inszenierung ihm gerecht geworden ist. Aber die Schaupieltruppe war / ist so exzellent, dass ich beschwingt und gerührt und dankbar nach Hause ging.
Berlin Alexanderplatz, Berlin: mit Ehrfurcht
Ich kenne nicht den Alexanderplatz in Berlin.
Aus dem Döblin Roman mehrmals was heraus-gelesen gelesen.
Den "verständlich gesprochenen Text" respektiert Hartmann auf "geradezu ehrfürchtige Weise". Bei mir selber ist da keinerlei ehrfürchtige Weise, lese ich im Alexanderplatz-Roman. - Weil ich kein Berliner bin vielleicht, und Berlin nicht kenne?
Ich habe keine Ehrfurcht vor Alfred Döblin. Seine Romane sagen mir wenig - er spricht (schreibt) nicht zu mir. Im Traum sagte er mir, es sei ihm vollkommen gleichgültig, ob ich ihn "ehrfürchtig lese oder gar nicht lese.
Heute Nachmittag aber las ich auf einer Bank (Kinderspielplatz) am großen Strom seine Erzählung "Im Himmel - Der Erzengel Gabriel" - und ich muss sagen, sie hat mir gefallen und hat mich sehr belustigt. Ich kann diese Erzählung denen empfehlen, die sich sonst bei Döblin ein bisschen langweilen, so wie ich. Hartmut Krug (Das Leben ist ein Schlachthaus) schreibt: "Der Roman ist berühmt, aber heute wohl nicht wirklich viel gelesen. Die Geschichte von Franz Biberkopf . . ."
Vielleicht ist es der Staub der Zeit, der auf dem Geschriebenen (1929) liegt . . . Berlin Alexanderplatz ist aber das erfolgreichste Buch Döblins - und, siehe da - zähl zu den Hauptwerken der deutschen Moderne.
Man lese und staune: Der Roman verkaufte sich in den ersten zwei Monaten 2O Tausend Mal! - Es wurde ein Welterfolg! Walter Benjamin erkannte kritisch in dem Roman "die äußerste, schwindelnde, letzte, vorgeschobene Stufe des alten bürgerlichen Bildungsromans" sowie eine "Education sentimentale". "Die Linkskurve", eine Parteizeitung der KPD sahen im Roman einen "reaktionären und konterrevolutionären Angriff auf die These des organisierten Klassenkampfes". Der Nationalsozialismus verbot und verbrannte die Bücher Döblins (außer "Wallenstein").
Volker Klotz: "Berlin Alexanderplatz ist der erste und bis heute
einzige belangvolle Roman in deutscher Sprache, der vorbehaltlos die zeitgenössische Großstadt zu seiner Sache macht." Die englische Zeitung "The Guardian" listete den Roman unter die 1OO größten fiktionalen Werke ein.
Ich sollte versuchen den Roman von Anfang bis zum Ende zu lesen, schon der "literarischen Bildung" wegen - in Berlin, und den Alexanderplatz "ehrfürchtig" betreten . . .
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