Bruder Höfgen

von Andreas Wilink

Bochum, 13. Mai 2016. "Der Bursche ist eine Katastrophe. Das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden." Was Thomas Mann in seinem Essay "Ein Bruder" über Hitler schrieb, gilt auch für des Führers besten (fiktiven) Schauspieler Hendrik Höfgen. Im Bochumer Schauspielhaus ist einem der Kerl nur zu geheuer. Ein harmloser, das Ausnahmetalent mühevoll ausschmückender, einen Song lang gepflegten Gegenwarts-Zynismus vortragender Allerwelts-Theatermensch: Raiko Küster.

Im Grunde kann man nur damit scheitern, Klaus Manns "Mephisto" fassen zu wollen. Der Roman, 1936 im Exil verfasst, in der Bundesrepublik noch 1968 verboten und 1980 in die Freiheit entlassen, ist ein Zwitter: zwischen Satire, Fantasie und Melodram, politischer Propaganda, Polemik und Parabel, realistisch geschärfter Fernansicht, privater Fehde und schwuler Ranküne. Zudem Künstler-Roman wie alle Bücher Klaus Manns (ebenso wie die seines Vaters), mit Helden, die, so oder anders, strauchelnde Bürger sind. Dem bösen Blick dieses Zwitterwesens begegnet Daniela Löffners Inszenierung mit wildem Fuchteln. Das macht viel Wind. Und verwischt die eigene Spur.

Hier bin ich Theatermensch, hier darf ich's sein

Falschheit, Lüge und Wahrheit des "Komödianten" Höfgen, so sagt es die Figur Sebastian (ein Selbstporträt des Autors), sind kaum voneinander zu scheiden, weshalb Klaus Mann als Motto ein Zitat aus Goethes "Wilhelm Meister" wählte, das diese Ambivalenz benennt: "Alle Fehler des Menschen verzeih' ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih' ich dem Menschen."
In Bochum geht man es gemütlich an, heutig flau. Erst mal sieht es aus wie für einen Grönemeyer-Liederabend. Kulisse ist die Kantine, der Ort, wo der Theaterkünstler bei sich und Mensch sein darf. Der Raum (Thilo Reuther) verdoppelt sich mit Spiegeldecke, erweitert sich durch einen von Glühbirnen gesäumten Laufsteg, verengt sich zum Scheinwerfer-Lichtkreis, in dem Höfgen einen Mephisto darstellt, der zunächst als schlammbeschmierte Bestie die Black-Facing-Debatte neu anregen könnte. Eine seltsame Frage schwappt in die Kantinen-Bierlaune: "Sind wir jetzt heute oder 1926?" Eine bloß rhetorische Schutzbehauptung!Mephisto1 560 Thomas Aurin uEin Allerwelts-Theatermensch am Boden: Raiko Küster als Mephisto © Thomas Aurin

Löffner beschäftigt sich angestrengt zwei Stunden lang vorwiegend mit dem eigenen Betrieb und der Selbstreflexion des Mediums, zeigt die Theater-Instrumente, lässt die Ironie-Falle zuschnappen, switcht zwischen Kunst und Leben, zitiert sich durch die Dramenliteratur, montiert und zergliedert bis zur Unkenntlichkeit den mit einer Fülle an Personal und Positionen ausgestattetem Roman, knipst das Licht im Saal an, lässt Applaus brausen und extemporieren, spielt den Inspizienten per Lautsprecher ein, trägt Kulissen ab, stellt das Ensemble neben sich und seine Rollen, auf dass es seine gesellschaftliche Funktion analysiert.

Die Handlung teilt sich in zwei Hälften: die Jahre ab 1923 in Hamburg, in denen Höfgen mit dem Kommunismus liebäugelt, sich mit Barbara, Tochter von Professor Bruckner (Friederike Becht), vorteilhaft verheiratet und reüssiert, aber nur in der Provinz. Diese Phase betonte Ariane Mnouchkines Fassung von 1979, die ihre politisch-kabarettistische Revue stark biografisch "Mann"-haft einfärbte. Es folgt der eifernd bewerkstelligte Wechsel nach Berlin und der Höllenpakt, für den der Gesinnungslose jede Bindung und Überzeugung fahren lässt.

Umspielen der Theater-Metapher

Klaus Mann wollte einen Typus beschreiben, ein Symbol setzen, aber auch irgendwie den Ex-Schwager, Freund und Kollegen Gustaf Gründgens treffen. Wer in dem Kolportage-"Roman einer Karriere", den Bochum noch kolportagehafter gibt, ist überhaupt Mephisto? Der Prototyp des Mitläufers, die schillernd begabte und gefährdete Schauspieler-Existenz, verkauft seine Seele. Ist der faustische Mensch, Tatmensch und Täter, und sei es durch Unterlassung. Der Teufel wäre dann der Preußische Ministerpräsident, der Dicke, Herr über Flugzeuge und Bühnen (Günter Alt als Popanz) bzw. das Regime unterm Hakenkreuz. Aber Höfgen ist zugleich – seine Paraderolle, die Raiko Küster chaplinesk im Trikot hinlegt – Goethes Geist der Verneinung, obwohl er lieber ein Genie der Bejahung sein möchte. Er will nur "ein ganz gewöhnlicher Schauspieler" sein, ist aber Repräsentant des Systems.

Das selbstmitleidig jämmerliche Finale verweigert ihm die Aufführung. Setzt an seine Stelle die Rede des nationalen Dichters Pelz, der den intellektuellen Flirt mit dem Untergang, die Lust an der Verneinung feiert und Höfgen als dessen glänzendstem Vertreter huldigt. Aber so, wie sich das bei Löffner darbietet, ist es nur Banalisierung von Extremismus und Radikalismus. Nicht mal diffus gelingt ein zeitakuter Kommentar des Romans, sondern nur ein sich in seiner Lockerheit ungelenk verausgabendes Umspielen der Theater-Metapher, auch wenn momentweise Höfgens Psychopathographie und eitle Selbstverkennung aufscheint. Doch auch diesen Aspekt hält die sich an Episoden vertrödelnde Inszenierung nicht durch, die nach der Pause – Berlin in Lametta, tänzelndes Cabaret, fauler Budenzauber – doch pathetisch das historische Drama von Tod und Verzweiflung, Gewalt und Mord erzählen will, ihre Figuren wie irre steppen lässt und dabei vollends außer Takt gerät.

 

Mephisto
nach dem Roman von Klaus Mann
Fassung und Regie: Daniela Löffner, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Katja Strohschneider, Musikalische Einstudierung: Katharina Debus, Licht: Denny Klein, Dramaturgie: Kekke Schmidt.
Mit: Raiko Küster, Günter Alt, Friederike Becht, Juliane Fisch, Torsten Flassig, Martin Horn, Henrik Schubert, Michael Schütz, Klaus Weiss, Anke Zillich.
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

Für Dorothea Marcus in der Sendung "Fazit" vom Deutschlandradio (13.5.2016) kristallisiert Daniela Löffner in ihrem "spielerischen Erzähltheater" die zeitlos aktuelle Grundfrage heraus: "Wie positioniert man sich politisch, wenn die eigene Haut und Karriere auf dem Spiel stehen?" Sie analysiere nicht, sondern arbeite "das an ihrem leichtfüßig tiefgehenden Abend als die entscheidende, aktuelle Fragestellung" des 'Mephisto' heraus: "Wo liegen die Grenzen der Selbstkorrumpierung?"

Um "Tricks und Effekte, vom Maskenspiel über Eingriffe in den Spielraum (es gibt einen Laufsteg ins Publikum, auch die Intendantenloge wird einbezogen) bis zum Nackichtmachen", ist die Regisseurin aus Sicht von Jürgen Boebers-Süßmann vom WAZ-Portal Der Westen (17.5.2016) nicht verlegen. "Vor allem die erste Hälfe des langen Abends, der später zunehmend an Schmiss verliert, ist von suggestiver Bildkraft. Aber es fehlt die Fallhöhe, die aus diesem eigentlich grundsoliden Karrieristen Küster/Höfgen einen exemplarischen Fall, wie es Gründgens/Mephisto war, machen würde."

Raiko Küster spielt aus Sicht von Max Florian Kühlem von den Ruhrnachrichten (16.5.2016) "mit Bravour einen Menschen, der in seinem Streben nach Ruhm von Ehrgeiz zerfressen und blind war, aber eben auch eine zarte und zerbrechliche, zerrissene Künstlerseele, die sich hinter der Behauptung, unpolitisch zu sein, einen Schutzraum baute." Die Regisseurin wolle allerdings auch die verurteilende Sicht des heutigen Theaters und seiner Zuschauer auf die Geschichte aufbrechen. "So sind die Mitglieder von Daniela Löffners Ensembles immer auch Versuchskaninchen, wechseln um ihr Zentrum herum Rollen und Geisteshaltungen. Das erfordert ihnen manchmal ein performatives Spiel ab, das nicht immer gelingt."

Kommentare  
Mephisto, Bochum: unser Bruder?
Der Bursche ist wahrlich eine Katastrophe, aber als Charakter und Schicksal(katastrophal) interessant. Dabei Thomas Mann folgend: Ist Adolf H. etwa unser aller Bruder?
"Der Ärmste, der bereit ist, sich für sein Volk zu opfern, ist unendlich
wertvoller als der Reiche, der sich feige drückt und nicht für sein Volk
kämpfen will." (Rede vom 23. Nov. 193O)
Zugeschrieben:
"Wir sind 1939 nicht in den Krieg gezogen, um Deutschland vor Hitler...
den Kontinent vor dem Faschismus zu retten. Wie 1914 sind wir für den nicht weniger edlen Grund in den Krieg eingetreten, daß wir eine deutsche
Vorherrschaft in Europa nicht akzeptieren konnten."
(Sunday Correspotent, London, 17.9.1989)

Und was sagt man zu John F.Kennedy:
"Wer diese beiden Orte (Obersalzberg und Kehlsteinhaus) besucht hat, kann sich ohne Weiteres vorstellen, wie Hitler aus dem Hass, der ihn jetzt umgibt, in einigen Jahren als eine der bedeutensten Persönlichkeiten
hervortreten wird, die je gelebt haben."
Der Gegner Winston Churchill, 1937:
"Auch wenn man Hitlers System nicht mag, so kann man doch sein patriotisches Werk bewundern. Wenn unser Land besiegt wäre, würde ich hoffen, daß wir einen Vorkämpfer finden, der genauso unbezähmbar ist,
um unseren Mut wieder herzustellen und uns zu unserem Platz unter den
Nationen zurückzuführen."

"Ich habe seit 1927 Adolf Hitler gewählt und preise mich glücklich,
im Jahr der Nationalen Erhebung über den Dichter des Augustus lesen zu dürfen. Denn Augustus ist die einzige Gestalt der Weltgeschichte, die man
mit Adolf Hitler vergleichen kann."
(Felix Jacoby, jüdischer Althistoriker, in einer Vorlesung über "Horaz"
im Sommer 1933)
"Hitler, das ist ein toller Bursche: So muss man mit politischen Gegnern
umgehen."
(Kommentar Stalins zum Handeln Hitlers beim Röhmputsch am 3O. Juni 1934)
Mephisto, Bochum: danke für die Kritik
http://www.deutschlandradiokultur.de/mephisto-von-klaus-mann-in-bochum-wie-sich-politische.1013.de.html?dram:article_id=354205

Vielen Dank an Dorothea Marcus und D-Radio-Kultur.
Danke für eine Kritik, die mich neugierig macht auf den Theaterabend (Ich werde die dritte Vorstellung sehen).
Danke für eine Kritik, die sich anscheinend offen und unvoreingenommen mit der Inszenierung befaßt.
Ich danke einer Kritikerin, die es nicht nötig hat mit eitler, überheblicher Attitüde zu zerstören, sondern die vermittelt, indem sie deutlich macht wie sie zu ihrem Urteil kommt und welche Deutungen sie daraus ableitet.
Mephisto, Bochum: atemberaubend
Wenn man eine Kritik damit anfängt, dass man "Im Grunde nur scheitern kann", dann gibt man dem Abend von vornherein keine Chance. Das ist schade aber leider sehr üblich bei den vielen Menschen die sich Kritiker nennen und ständig meinen es besser zu wissen. Das ist soooo langweilig! Kann eigentlich auch ein Kritiker mit einer Kritik scheitern, bevor er sie geschrieben hat?
Ich fand den Abend atemberaubend. Wild, naiv, berührend, unmittelbar, gesellschaftskritisch, absolut heutig, beängstigend und virtuos. Vielen Dank dafür und dafür, dass Theater so großartig ist!
Mephisto, Bochum: was Churchill sagte
zu 1 ist mir was passendes untergekommen:

dieser krieg wäre nie ausgebrochen
wenn wir nicht unter dem druck der amerikaner
und neumodischer gedankengänge
die habsburger aus österreich
und die hohenzollern
aus deutschland vertrieben hätten.
indem wir in diesen ländern ein vakuum schufen,
gaben wir dem ungeheuer hitler die möglichkeit,
aus der tiefe der gosse
zum leeren thron zu kriechen.

winston churchill 1945

1937 aber sagte derselbe politiker: (siehe oben unter 1)

1937 ist hitler für ihn noch ein patriotischer vorkämpfer
nach dem weltbrand 1945 also ein nach dem thron kriechendes ungeheuer
welches aus der unergründlichen tiefe der östreichischen gosse kam . . .
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