Presseschau vom 26. Mai 2016 – Trierer Medien berichten über Turbulenzen am Ende der ersten Spielzeit von Neuintendant Karl M. Sibelius
Besucherschwund und Personalquerelen
Besucherschwund und Personalquerelen
Trier, 26. Mai 2016. Seit der Intendant Karl M. Sibelius das Theater Trier übernommen hat, berichtet die Trierer Presse von Aufbruchsstimmung wie von Skandalen und Turbulenzen (siehe die Presseschau vom 18. Oktober 2015). Den Stand neuer Turbulenzen zum Spielzeitende fasst der Trierische Volksfreund (23.5.2016) in mehreren Texten, u.a. überblickshaft unter dem Titel Dauerbaustelle Theater Trier, zusammen.
Aktuell verzeichne das Theater einen Rückgang der Abonnentenzahlen von 1592 auf 1504. Die Besucherzahlen seien, wie bereits gemeldet, unter Sibelius um 20 Prozent gesunken. Aus dem Umbruchsjahr 2015 mit dem Wechsel von der Intendanz Gerhard Weber zu Sibelius komme das Theater mit einem Minus von knapp einer Million Euro heraus. Offen sei zudem, wie die Hauptspielstätte des Theaters Trier saniert werden könne, nachdem ein Neubau aus Kostengründen von der Kommune abgewiesen wurde.
Streitfall Gräff-Stück
Sibelius sei vom Kulturdezernenten aufgefordert worden, seine Auftritte als Schauspieler künftig einzuschränken und sich auf seine Aufgaben als Generalintendant zu konzentrieren. Aktuell lastet auf der Schauspielsparte ein Streit um das abgesagte Auftragswerk "Die rote Wand" von Autor Lothar Kittstein. Das Stück sollte die Aufarbeitung eines Trierer Kriminalfalls um die Studentin Tanja Gräff leisten.
Schauspieldirektor Ulf Frötzschner hatte Kontakt zur Mutter von Tanja Gräff aufgenommen, aber keine Zustimmung zum Projekt erhalten. Auf Gräffs verspäteten Einspruch hin wurde es abgesetzt, auch wenn die Persönlichkeitsrechte gewahrt gewesen sein. "In diesem Fall habe aber ein 'diffuses Gefühl der Moral' über die Rechte der Kunst entschieden", referiert der Trierische Volksfreund die Position von Autor Lothar Kittstein.
Dem lokalen Portal trier-reporter.de zufolge habe Triers Kulturdezernent Thomas Egger in einer Sitzung des Kulturausschusses "personalrechtliche Konsequenzen" gefordert. "Die beträfen dann nach Auffassung des Dezernenten einzig Schauspieldirektor Ulf Frötzschner, den Sibelius bereits abmahnen ließ und im April entlassen wollte", so der trier-reporter.de weiter. "Dem reporter liegt ferner ein nicht unterschriebener Auflösungsvertrag zwischen Frötzschner und der Stadt Trier vom 26. Februar 2016 vor. Demnach sollte das Vertragsverhältnis zum 31. Juli 2017 beendet werden."
Kritik von "art but fair" an den Arbeitsbedingungen am Haus
Der Verein "art but fair", der für gerechte Arbeitsbedingungen für Künstler streitet, kritisiert Sibelius, das Projekt "Die rote Wand" nicht ausreichend begleitet zu haben. In einem Offenen Brief, der u.a. auf der Facebook-Seite des Vereins veröffentlicht ist, werden dem Intendanten darüber hinaus mehrere Fragen zum Umgang mit dem Personal des Hauses vorgelegt. Es sind Fragen zu Abmahnungen, Kündigungen und Abfindungen.
Sibelius war in seiner Zeit als Leiter des Theaters an der Rott Eggenfelden einer von vier Intendant*innen, die die "art but fair"-Selbstverpflichtung für faire Arbeitsbedingungen an Theatern unterzeichneten. In seiner Reaktion auf den Offenen Brief, die auf dem Nachrichten-Portal lokalo.de vollständig abgedruckt ist, hat Sibelius darum gebeten, seine Selbstverpflichtung aufzulösen, da ihn die "Unterstellungen" im Brief "erschüttert" und ihm "Schaden zugefügt" hätten.
(Trierischer Volksfreund / facebook.com/artbutfair / trier-reporter.de / lokalo.de / chr)
Anm. Red., 30. Mai 2016. In einer ersten Version dieser Presseschau war ein Zitat aus dem Onlineportal trier-reporter falsch wiedergegeben worden. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass die Entlassung von Schauspieldirektor Frötzschner bereits beschlossen ist. Die entsprechende Passage ist jetzt mit den Originalzitaten des trier-reporters wiedergegeben.
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Ist es so schlimm, einen solchen Fall wie den von Gräff aufzuarbeiten. Warum nicht?
Ist es nicht normal, dass ein neuer Intendant erst einmal Abonnenten verliert und Zuschauer? Ja.
Die Arbeit von art but fair schätze ich sehr, da sind die Mahnungen allerdings Ernst zu nehmen, auch wenn das nicht in absolute Kontrolle ausarten darf. Wenn ein Intendant aus dieser Selbstverpflichtung austritt, ist art but fair aber auch nicht geholfen. vielleicht mal telefonieren?
Aber die wichtigste Lehre. Hört bitte auf Schauspielern oder Regisseuren die Verantwortung für eine Theater zu geben, wenn diese sich nicht selbst verpflichten, sich mindestens in den ersten drei Jahren voll auf das Haus zu konzentrieren. Ein Theater zu leiten, das macht man nicht nebenher. Vielleicht ist es jetzt die Zeit, dass Fachleute das übernehmen, die gut ausgebildet sind in künstlerischen, aber auch betriebswirtschaftlichen, rechtlichen und kommunikativen Fragen, und die sich nicht so schnell platt machen lassen. Sonst werden die Theater von der Politik platt gemacht.
Ich habe mich mal durch die "lokale Berichterstattung" gewühlt. Und wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was dort zu lesen ist, ist das für das Theater eine kleine Katastrophe. Ok, ein Zuschauerrückgang ist in der ersten Spielzeit eines Intendanten "normal" (kann aber auch anders kommen), die daraus resultierenden Mindereinnahmen sind es also auch. Aber darum geht es nicht.
Zerwürfnis mit dem Schauspieldirektor / kein Verwaltungsdirektor mehr, also keine betriebswirtschaftliche Kontrolle des Intendanten / Massive Überziehung der Budgets / Kritik aus den Ensembles am Führungsstil des Intendanten / von den Regisseur*innen, die in dieser Saison im Schauspiel gearbeitet haben, scheint keiner/keine mehr in Trier arbeiten zu wollen / wieder einmal ein Intendant, der glaubt alles allein zu können
Vielleicht ist Sibelius einfach überfordert mit der Leitung eines Mehrspartenhauses. Ob es eine "Kampagne" gegen ihn gibt, kann ich nicht beurteilen, es scheint jedoch einiges für Leitungsversagen zu sprechen.
Auf Sibelius Facebookseite fanden sich immer wieder Post's der FDP, beispielsweise Reden von Lindner.
Ein Schelm wer dabei böses denkt.
Fast alle anderen Parteien sprechen sich klar für den Erhalt des Ensemble/Mehrspartenbetriebs aus.
http://www.trier-reporter.de/theater-trier-schwere-vorwuerfe-scharfe-kritik/#comment-9203
Intendantenbashing liegt mir fern, aber wie kann es zu solchen Aussagen aus dem Kulturausschuss kommen???
"realistische Kosten und Finanzierungspläne" ... Sorry aber das ist nun wirklich Handwerkszeug, wer das nicht beherrscht, sollte kein Unternehmen leiten ...
Nur... - mal objektiv betrachtet - ist das ganze eine ziemliche Katastrophe, was hier in Trier abläuft: (...)
Bei dem Vorgang um das „Rote Wand“-Stück ist der Intendant natürlich entscheidend mitverantwortlich. Er muss sich im Zweifel vor seine Leute stellen, das ist sein Job, statt mit solch einer Personalentscheidung von der Kritik an seiner eigenen Person abzulenken (...).
Hier nützt es nicht mehr, wenn die Politik den Intendanten schützt, sondern sie muss aufklären, damit das Vertrauen in die Kunst nicht verloren geht, und dann nicht am Ende wirklich das Rostock-Virus greift.
Wer ist in Trier vor Ort, oder im Theater und könnte uns hier auf dem Laufenden halten, denn die Gemengelage ist doch recht schwierig.
Nachtkritik, habt Ihr eine korrespondierende KollegIn vor Ort oder könntet bei der Pressestelle mal nachfragen.
Ich fürchte, das nächste Theater nach Rostock und Hagen wird erheblich beschädigt. Merci!
dennoch, selbst wenn er auf der richtigen (gibt es das überhaupt?) Seite wäre, es ist ungezogen, so wild umher zu ballern und die Menschen zu kündigen.
Zudem gibt es nur eine sehr eingeschränkte Berechtigung für die Nichtverlängerungspraxis beim Intendantenwechsel.
Künstlern nicht einmal ins Gesicht sagen zu können (und es rechtlich nicht zu müssen), was genau dem neuen Intendanten künstlerisch nicht gefällt oder passt, ist doch ein recht armseliges Zeugnis für Direktoren, die vorbildhaft ein Haus leiten und lenken zu müssen.
Trier ist das beste Beispiel dafür, dass genau diese Praxis zu überdenken ist. Man muss sich mit den Kolleginnen und Kollegen schon ernsthaft auseinander setzen, bevor man sich entschliesst, sich von ihnen zu trennen. Es handelt sich hier um Menschen, die dadurch völlig ungeschützt sind. Jeder Intendantenwechsel bedeutet Unsicherheit und Angst, für Menschen, denen eigentlich ausreichend Freiräume für eine angstfreie künstlerische Arbeit geschaffen werden sollten. Genau das geschieht nicht. Der Bühnenverein sollte hier sehr stark in sich gehen.
Und im vollen Ernst teile ich die Meinung vieler, dass man genau diese ängstliche Nichtverlängerungspraxis beim Intendantenwechsel aussetzen muss, damit sich der Neue Intendant die Kollegen im Ensemble gut ansehen und mit ihnen arbeiten kann. (Ausgenommen davon die Leitungsebene, insofern sie dem Intendanten nicht gleichgestellt ist.) Man kann gut eine Friste von einem Jahr setzen, aber das heisst mit Chancen statt mit Angst zu arbeiten. Es wäre so einfach.