Warum Warum - Peter Brook lässt Miriam Goldschmidt öffentlich nachdenken
Raum, Person, Fragen
von Andreas Klaeui
Zürich, 17. April 2008. Es hätte eine Theatergeisterbeschwörung werden können. Die Phantasmen von Antonin Artaud, Edward Gordon Craig, Wsewolod Meyerhold, Charles Dullin reinkarnieren sich in einer Schauspielerin, die auf der Bühne die Frage stellt: Wie kann man spielen? Wie kann man Leidenschaft spielen, Dünkel, Zorn, Verletzung… Die Entstehung des Theaters aus dem Bühnenmoment. Beschwörend fing es an: vor einem leeren Raum, Miriam Goldschmidt ist in einer Gasse zwischen den Zuschauertribünen mehr zu ahnen als zu sehen, "vor uns ein Ort", lässt sie hören: " ... ohne Form, eher ein breites, leeres Viereck ..."
Sie schreitet voran auf die Spielfläche, ist lang nur von hinten zu sehen, ihr weisser Turban, der rote Plaid über ihren Schultern, bis sie sich umdreht und den Theaterraum augenblicklich in Besitz nimmt – ein starker, ein suggestiver Auftritt.
Sinn des Lebens steht im Manuskript
Eine Person, ein Raum, und schon tauchen die Fragen auf: Wer bin ich? Wer war ich? Warum lebe ich? "Moment, das steht hier drin", meint Miriam Goldschmidt, durchraschelt ihre Manuskriptseiten, ganz alltäglich nebensächlich, findet die Stelle: "Nur wenn ich lebe – ach nein: Nur wenn ich spiele, lebe ich", und schon sind wir in der schönsten Theatertheorievorlesung, ohne es überhaupt gemerkt zu haben. Das ist ein toller Anfang; leider kann der Abend die Höhe nicht durchhalten. Er blitzt in manchen Momenten nur so von Esprit und Energie; in andern trocknet er fast vollständig aus.
Miriam Goldschmidt ist eine fabelhafte Komödiantin, sie staunt schalkhaft, sie stampft auf, bleibt in sich versunken stehen; sie zeigt grosse Schauspielergesten oder verharrt in bebender Reglosigkeit; sie mimt magnetisierende Auftritte und melodramatische Abgänge; sie baut feste Gedankenbrücken über Wortflüssen. Es ist beeindruckend, wie viel Anschaulichkeit, wie viel Konkretion sie den theoretischen Texten zu geben vermag; wie viel Körper.
Doch steht dies alles zunächst unter einem formalen, gleichsam sportlichen Aspekt (und ist deshalb auch sehr anfällig für die "Tagesform" der Schauspielerin). Was sich bis zum Schluss nicht zeigt, ist ein tragendes dramaturgisches Fundament. Die Textreihung bleibt additiv, wohl reichhaltig, aber wenig zwingend; so dass der Abend bei aller grundsätzlichen Fragestellung am Ende doch kaum in die Tiefe geht.
Fragmentbewirtschaftung
Gewiss, es gibt manch betörende Momente – das Käuzlein, dessen Ruf Miriam Goldschmidt nachahmt, fliegt imaginär gleich über die Bühne, die Shakespeareschen Geister, die sie sieht, erscheinen fast plastisch vor den Zuschaueraugen – und allein schon der Blick in die Werkstatt vermag doch zu faszinieren, die "Backstage"-Perspektive auf Schauspielerkniffe und Kunstgriffe. Aber etwas fehlt ...
Es hat sich immer wieder gezeigt, dass Peter Brook da am stärksten ist, wo er eine Geschichte erzählt, ohne viel äusseren Aufwand, nur auf einem Teppich, aber unnachahmlich natürlich und lebendig; hell und klar. In "Qui est là?" (vor zehn Jahren in Paris) stellte Brook die nämlichen Fragen wie jetzt anhand einer "Hamlet"-Adaption. Szene für Szene fragten sich die Schauspieler: Hier muss man weinen, hier tritt ein Geist auf – wie kann man das spielen? Und Craig, Meyerhold, Stanislawski antworteten damals wunderbar beiläufig. In "Warum Warum" nun gibt es keinen Bühnentext mehr, an dem entlang sich die Fragen stellen könnten. Es gibt nur noch Fragmente. Es bleiben Fragmente.
Warum Warum
Eine Theaterrecherche von Peter
Brook
Nach Texten von Antonin Artaud,
Edward Gordon Craig, Charles Dullin, Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold, Zeami
Motokiyo und William Shakespeare.
In einer Fassung von Peter Brook und
Marie-Hélène Estienne. Deutsch von Miriam Goldschmidt.
Regie: Peter Brook, Künstlerische Mitarbeit: Lilo Baur, Licht: Philippe Vialatte, Musiker: Francesco Agnello.
Mit: Miriam Goldschmidt.
www.schauspielhaus.ch
Kritikenrundschau
Nicht ganz glücklich ist in der Neuen Zürcher Zeitung (19.4.)
Barbara Villiger-Heilig mit diesem Theaterabend geworden, den sie kurz
und unfertig, insgesamt vor allem aber als "absturzgefährdete Wanderung
auf dem zerklüfteten Grat zwischen
gespieltem Leben und gelebtem Spiel" empfand. Im Wesentlichen hat das
aus Sicht der Kritikerin mit Peter Brooks Protagonistin Miriam Goldschmidt zu
tun, die sie mit ihrem monologisierenden Gleiten von Figur zu Figur
zwar immer mal wieder faszinieren kann, deren gespenstisch ausagierte
Wechsel zwischen Sprachen, Spielweisen, emotionalen und sonstigen
Gemengelagen der Kritikerin aber auch Bauchschmerzen bereiten. Immer wieder wirkt die
Schauspielerin dabei nämlich auf sie, "als befände sie sich auf einer
Probe und nicht an
der Premiere. Ein schwarzer Stuhl und ein hölzerner Rahmen in Türgrösse
sind die einzigen Requisiten, an denen sie sich halten kann und an
denen sie tatsächlich Halt zu suchen scheint. Papierblätter mit
Textstellen helfen ihr, den Faden nicht zu verlieren, der sich freilich
nie zu einer eigentlichen Geschichte spinnt."
In der Frankfurter Rundschau (19.4.) findet Peter Iden
den Abend zwar gerade durch die Vergeblichkeit des Mühens von Peter
Brooks Protagonistin Miriam Goldschmidt "traurig-schön, für Augenblicke
sogar berührend", nämlich "durch das, was sie leisten will und nicht zu
leisten vermag". Trotzdem fällt sein Urteil insgesamt negativ aus. Denn
Peter Brooks einstündige Theaterlektion bleibt am Ende für ihn ohne
Lehre, und vor allem nur eine Folge von "gelinde
sektiererischen Übungen", deren Schwäche für Iden darin besteht, "dass
sie
selber die Form von Auftritten haben". Das sei "das Tautologische und
das
Vergebliche daran: Theater ist Theater ist Theater".
"Wo? Wo war es geblieben, das Wunder der brookschen Berührung? Das
traumwandlerisch sichere Theater der emotionalen Tuchfühlung?" fragt im
Zürcher Tagesanzeiger (19.4.) Alexandra Kedves.
Denn entgegen ihrer Erwartungen an den "Magier des Minimalismus"
produziert Peter Brook während der sechzig Minuten diesmal "nicht
Knall,
sondern Quintensound". Und zwar mittels eines schrägen Instruments,
dessen Klang sich zwar nach Fernost anhören, das aber trotzdem aus Bern
stammen und "Hang" (Hand) heißen würde. Es sehe aus
"wie zwei zusammengeklebte Woks und kommentiert die Suchbewegung der
Schauspielerin, ihre Zweifel, ihre Leidenschaft mit ironischer,
melodiöser Monotonie". Miriam Goldschmidt reiße ihre "riesigen,
espressoschwarzen Augen
auf, schleudert uns die Frage entgegen "Wo wohnt das Ich?"; und das
Hang macht Pling. Die Lippen – diese Lippen! – verzerren sich drohend:
"Das Theater ist eine gefährliche Waffe, tückisch wie das Feuer!"; und
das Hang macht Pling." Hier spürt die Kritikerin zwar Brooks
chaplinesken Humor durchscheinen, der im vorliegenden Fall zu ihrem
Bedauern aber nur die "Geburt des Theaters aus dem Geist der
Langeweile" instrumentiert.
In der Tageszeitung Die Welt (19.4.) freut sich Reinhardt Wengierek
zwar, "dass wir ihn noch haben, den großen alten Mann des
Welttheaters". Angesichts seiner jüngsten Arbeit entfährt ihm dann aber
doch: "Ach wie langweilig, diesmal nichts Betörendes. Und schon gar
nichts
Erhellendes, Durchsichtiges". Miriam Goldschmidt erscheine "als
befremdliche Märchentante. Mit opulentem
Turban, rotem Überwurf, gleißendem Amulett und immer wieder
unverständlich nuschelnd. Eine Schamanin, die geheimniskrämerisch und
bedeutungshubernd Textschnipsel der (im PR-Text annoncierten)
Moderne-Klassiker Meyerhold, Craig, Artaud und Zeami (No-Theater)
verstreut. Dazu ein paar Sentenzen vom unvermeidlichen Shakespeare. Und
glockengleiches Geklöppel wie im anthroposophischen Kindergarten von
Francesco Agnello auf dem Hang, einem lokal-exotischen Blechinstrument
aus dem Kanton Bern." Fazit: "Ach wie doof, großer alter Mann, schöne
gute Schauspielerin" stellen nichts als "folgenlose Allerweltsfragen".
Etwas gnädiger ist Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung
(19.4.), der den Abend als "exquisite Nichtigkeit und philosophisches
Amuse-Gueule für den verwöhnten Theatergaumen", als hingehauchte
"luftige Séance" beschreibt, die mehr Lecture-Performance als
Theaterabend sei. Trotzdem hat er gewichtige Einwände: "So
sehr Theaterspielen bei Brook immer schon ein Nachdenken über Theater
war - ist umgekehrt Nachdenken auch schon Spielen? Dem Abend in Zürich
bekommt es nicht gut, dass er das Theater selbst zu seinem Thema
macht." Doch zum Gegenstand
der Erkenntnis könne das Theater nur insofern werden, als es zugleich
deren Mittel ist. "Es gilt daher, die Leiter wegzuwerfen, auf der man
empor gestiegen ist." Schließlich sei Brook stets der Wittgensteinianer
des Theaters gewesen, für den die Grenzen des Spiels immer auch
zugleich die Grenzen der Welt gewesen sind.
Allein unter Nörglern bricht einzig Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
(19.4.) in Jubel aus, der diesem sechzigminütigen "herrlichen
Gottesdient" augenscheinlich mit höchstem Genuß gefolgt ist. Denn was
hier zu sehen war, stellt für Stadelmaier "sozusagen eine
Recherchegeisterbeschwörung" dar. "Vorgetragen, zelebriert, beraunt und
zauberisch mit Sprüchen überzogen von einer dunkelfarbigen Schamanin,
einer Hexe, einer grotesk-heiligen Priesterin in weiten, grauen Hosen
unterm großen, grellroten, gegürteten Schal, den sie wie einen Mantel
trägt, ein riesiges Amulett um den Hals, auf dem Kopf einen zerfransten
Turban. Die Augen kugelnd, glühend, den breiten Mund derart mahlend
geöffnet, als könne sie mehr als vier Dutzend Theatertheorien oder
Warum-Fragen verdauen." Aber auch Stadelmaier giert bald nach mehr: "Theorie. Wenn auch grandios gespielte
Theorie," ruft er schließlich aus und will
jetzt den Löffel Gift mehr, "den jede richtige Inszenierung Peter
Brooks als Heilmittel für uns Theaterleidende bereithielte".
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ich suche nach den integralen Text von "Warum".
Könnten Sie es mir bitte bei mail senden.
Vielen dank
Valerie papy
0684175643